Elul und Selichot

Perspektiven zum Monat Elul 5779

Aus Rückschau soll Vorschau werden

Aus „Die Jüdische Zeitung“ Nr. 34, 1.Elul 5769 / 21.August 2009

Von Rabbiner Dr. Th. Weisz s.A.

Leben wofür und warum? Sind die Annehmlichkeiten und Genüsse unseres Lebens Sinn und Zweck unseres Daseins, oder hat unser Leben und Hiersein einen höheren und einen tieferen Sinn? Die Existenz Jisraels und seine Aufgabe hat der Prophet Jeschajah (43, 21) uns enthüllt. Sie ist gänzlich verschieden von der der anderen Völker. Der Allmächtiger sprach durch seinen Mund: „Dieses Volk habe ich mir gebildet, Mein Lob sollen sie verkünden“, Jisrael hat nicht weniger Begabungen und Talente als andere Völker, die sich damit rühmen – aber alle Gaben Jisraels, mit denen es begnadet wurde, unterliegen der einzigen Aufgabe: Das Lob des Allmächtigen zu verkünden. Das Leben des Einzelnen und der Gemeinschaft hat nur ein einziges Ziel: Die Ehre G’ttes, Seine Grösse und Allmacht und Güte bekannt zu machen. Diese Ehre des Schöpfers fortwährend zu verdeutlichen ist die Lebensaufgabe Jisraels. Nur das ganze Leben genügt für diese hohe Aufgabe; Stunden oder Augenblicke der Andacht reichen dafür nicht aus, der Tag und die Nacht, die Familie und der Beruf, die innerste Gedankenwelt und alle Beziehungen zur Umwelt, jede bewusste Lebenssekunde ist Material und Möglichkeit dieser Heiligung des g’ttlichen Namens, aus allem kann und soll G’ttes Lob und Ehre erstehen.

Dieses Lob und diese Ehre erwachst aus der genaueren und willigsten Erfüllung des g’ttlichen Willens für Jisrael, der Torah, die das Naturgesetz Jisraels – Gesetz für seine Natur – darstellt. Die Torah erfüllt und formt das ganze Leben in allen seinen Aspekten, sie verwandelt die ganze Fülle des menschlichen Daseins in eine fortwährende Erkenntnis und Lobpreisung des Schöpfers.

Um diesen G’tteswillen für Jisrael zu erfüllen, muss man ihn – natürlich – kennen lernen, muss

ihn erlernen, ihn verwirklichen. Hier ist die ewige Aufgabe des Volkes, sein tägliches „Na’asseh weNischma“, die Tat Jisraels, die aus dem erlernten und verstandenen G’tteswort erwächst.

Sofort ergeben sich Fragen über Fragen:
Für meine Gedanken: Was weiss ich vom G’tteswillen der Torah, was ist mir bekannt, was habe ich gelernt, was habe ich verwirklicht? Wie viele Stunden des Tages oder der Nacht habe ich der Ehre meines Schöpfers gewidmet? Welche Teile des G’ttesgesetzes sind mir noch völlig unbekannt, was weiss ich vom Tenach, von der Mischnah, Gemara, den Posskim (Dezidoren)? Was lerne und erlerne ich an jedem Lebenstag, was ist mit Deinen festgesetzten Torahzeiten geschehen, Deine Existenz und Deine Aufgabe zugleich zu erfüllen?

Für meine Worte: Ich spreche Tausende von ihnen jeden Tag, welche und wie viele gehören meinem Lebensziel und Lebenssinn an? Welche Gebete habe ich wirklich gebetet, welche G’ttesnamen habe ich mit Ehrfurcht und Andacht ausgesprochen, nicht gewohnheitsmässig heruntergesagt, sondern jedes Wort in seine Bedeutung gewollt und verstanden?

Für meine Taten: Wie viele gehören mir, meinem Broterwerb, der Sicherheit meiner materiellen Existenz, wie viele meinem Leibe – und wie viele gehören meiner Seele, meiner Ewigkeit, meinem Schöpfer und Seiner Ehre? – Wie viele Taten und Worte habe ich meinen Mitmenschen gewidmet in ihrer Not und Verlassenheit mit dem Volk Jisrael und Erez Jisrael bekundet, meinem Volke, das noch in vielen Ländern verfolgt und unterdrückt ist, meinem Lande, das von Feindschaft und Gefahr umringt ist?

Es gibt noch mehr Fragen, viel mehr, Fragen, die ich hier nicht fragen will -. Wir haben 40 Tage von Elul-Beginn bis Jom Kippur zu ihrer Beantwortung – aus Rückschau soll Vorschau werden, das alte Jahr soll zu einem gänzlich neuen reifen. Das ist die Fülle der Torah und der

Tefillah, des G’tteswillen und meines Gebetes, auf der anderen Seite die ganze Fülle des Lebens, die nur durch Torah geformt werden kann und muss. Dies ist die Rückkehr und Umkehr zum Quell unseres Lebens, zum Allmächtigen und Allgütigen, zu wissen und zu bekennen:   

 Ich bin nicht so gewesen, wie ich hätte sein sollen. Ich bin nicht so gewesen, wie ich hätte sein können.

Ich habe keine Zeit mehr zu verlieren – ich muss sie gewinnen. Ich darf nicht länger warten, ich muss neu beginnen.

Nicht morgen. Nein, heute, jetzt. Sofort.

„We’im lo achschaw ejmatai!“ – Wenn nicht jetzt, wann denn? (Sprüche der Väter 1, 14)

 

Quellen und Persönlichkeiten:

Rabbiner Dr. Theodor Weisz s.A., Rabbiner der IRGZ - Israelitischen Religionsgesellschaft Zürich, 1947 - 1972.

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Die Bearbeitung der Gedanken dieser Woche erfolgte durch Mitarbeiter des Jüfo-Zentrums Zürich

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