Rosch Haschana

Ergänzungen: S. Weinmann

Immer mehr sich selbst werden

“Und ein Engel von Haschem rief ihm zu und sagte: „Awraham – Awraham!“ und er sagte: „Hier bin ich!“ [Berejschit 22:11]

„Awraham – Awraham!“: Es ist ein Ausdruck der Liebe, wenn er seinen Namen wiederholt [Midrasch Raba 56:7; Raschi zur Stelle].

Wir können sehr gut verstehen, dass Awraham in diesem Moment liebevoll angesprochen wurde. Soeben hatte er auf äusserst dramatische Weise seine Bereitschaft gezeigt, seinen eigenen Willen demjenigen des Allmächtigen gänzlich zu unterwerfen. Wieso ist die Wiederholung des Namens ein Zeichen der Zuneigung?

Im Frühling reizt es mich hie und da, einige Blumen zu pflanzen. Besonders die elegante Sonnenblume hat es mir angetan. In der Gärtnerei liegen auf dem Gestell diese kleinen Päckchen mit den bunten Bildern, auf denen büschelweise hochgewachsene Sonnenblumen zu sehen sind. Das reicht in der Regel, um mich zum Kauf einiger dieser Päckchen zu bewegen. Hoffnungsvoll stecke ich einige Kerne in die Erde und warte auf die wundervollen Ergebnisse.

Nach wenigen Tagen fangen einige Pflänzchen an, ihren Kopf aus der Erde zu strecken. Einige Wochen später sind sie bereits ein gutes Stück zum Himmel hin gewachsen. Kurz nach dieser Phase kommt dann die grosse Enttäuschung: Die Pflanzen beginnen, sich zu neigen und zu biegen, immer stärker, bis sie schlussendlich allesamt auf dem Boden liegen bleiben. In Gegenden, wo es oft regnet und manchmal sehr windig ist, benötigen die Blumen eine Stütze. Dann müssen sie mit einem Stab gestützt werden.

Schlussendlich freue ich mich auf den Tag, an dem ich in den Garten schaue und entdecke: Die zwei- bis drei Meter hohe Sonnenblume, die aus der Erde spriesst, gleicht dem Bild auf dem Päckchen mit den Samen. Dann werde ich voller Freude ausrufen: „Da ist sie, die Sonnenblume!“, wenn ich die grossartige Pflanze bestaune und nochmals „Da ist sie ja, die Sonnenblume!“, wenn ich die täuschende Ähnlichkeit zum Bildchen auf der Verpackung der Samen erkenne. Es stimmt exakt überein!

Der Sohar erklärt, dass der Name eines Menschen gedoppelt wird, wenn er sein Potenzial, seine vorgegebenen Möglichkeiten ausschöpft. Wenn das Bild von dem, was ein Mensch erreichen kann, dem entspricht, was der Mensch auch wirklich erreicht hat, dann wird sein Name aus Zuneigung wiederholt. Und auch wenn er Stütze vom lieben G-tt erhalten hat, wenn er es nötig hatte.

Der Rambam schreibt in „Hilchot Teschuwa“ („Regeln zur Rückkehr/Reue“) [5:2], dass jedermann so rechtschaffen wie Mosche Rabbejnu werden kann. Die geistige Grösse (nicht die körperliche) hängt davon ab, wie weit er fähig ist, seinen freien Willen auszuüben um ein Zaddik (rechtschaffener Mensch) zu werden und sich nicht vom bösen Trieb oder von äusseren Lebensumständen beirren lässt. Gibt es einen Menschen, der die Stufe von Mosche erreichen kann? Die Torah sagt uns ausdrücklich am Schluss [Dewarim 34:10], dass es nie mehr einen Propheten wie Mosche geben wird. Seine unvergleichliche Grösse wird niemand mehr erreichen können. Was will uns der Rambam mit seiner Behauptung sagen?

In der Jeschiwah rührte ein Freund von mir – lange bevor es populär wurde – in einer grünen Gesundheitsmischung, während sich die anderen Kaffee und Kuchen hingaben. Da machte sich einer an meinen lieben Freund heran und fragte ihn ziemlich unverschämt: „Meinst du, dass du gesünder bist als wir?“ Mein Freund gab ihm eine treuherzige, aber treffende Antwort: „Nein, aber viel gesünder als ich es früher war!“

Von niemandem wird verlangt, ein Mosche Rabbejnu oder Awraham Awinu zu sein. Beide holten das Beste aus dem heraus, das ihnen in ihre Wiege gelegt worden war.

Vor rund 250 Jahren lebten die zwei heiligen Brüder Rabbi Elimelech (Meilech) von Lizensk und Rabbi Susche von Hanipol. Rabbi Susche pflegte ständig zu sich zu sagen: „Susche, Susche, man wird dich nie fragen, warum du nicht wie Meilech warst, die Frage wird lauten: Susche, Susche warum warst du nicht Susche!“

An Rosch Haschana lesen wir von Awrahams überwältigender Grosstat, der Akejda (Bindung von Jizchak). Dabei sollten wir uns in Erinnerung rufen, dass man von uns nicht verlangt, dass wir besser oder heiliger sein sollen als jeder andere auf diesem Planeten. Das Flehen des Schofars und das ständige Ticken der Uhr mahnen uns jedoch, mehr und mehr uns selbst zu werden.

Ketiwah weChatimah towah – ein gutes neues Jahr!

Quellen und Persönlichkeiten:

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Die Bearbeitung dieses Beitrages erfolgte durch Mitarbeiter des Jüfo-Zentrums in Zürich

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