Rav Frand zu Paraschat Toldot 5779

Rav Frand  zu Paraschat Toldot 5779

Keduscha (Heiligkeit) – eine Realität

Ergänzungen von S. Weinmann

Die Torah beschreibt wie Ja‘akow sich mit den Kleidern seines Bruders Ejsaw (Esau) verkleidete und so das Zimmer seines blinden Vaters betrat. „Jizchak roch den Duft seiner Kleider (Begadaw) und sprach: „Siehe, der Duft meines Sohnes ist wie der Duft eines Feldes, das der Ewige gesegnet hat.“ [27:27].

Der Midrasch Rabba zur Stelle [65:18] bemerkt, dass der vorhin übersetzte Passuk (Vers) „Jizchak roch den Duft seiner Kleider (Begadaw)“ nicht mit dem Wort „Begadim“ (Kleider) sondern mit dem Wort „Bagdim“ (von „Baged“ – ein Verräter/Abtrünniger) erklärt werden sollte, (denn der Duft der Ziegenfelle, die Ja’akow an den Händen und am Hals anhatte, riecht äusserst schlecht). Jizchak „roch“ (d.h. er spürte mittels Ruach Hakodesch (g’ttlicher Eingebung)) die Verräter/Abtrünnige des jüdischen Volkes. Jizchak wusste auf prophetische Weise, dass Ja‘akow rebellische und gegen G’tt verräterische Nachkommen haben wird. Dies inspirierte Jizchak, Ja‘akow einen Segen zu geben.

Was ist die Bedeutung dieses Midraschs? Wieso inspirierte eine ungünstige Prophetie Jizchak, Ja‘akow zu segnen? Das nachfolgende Beispiel eines Verräters, das dieser Midrasch dann aufführt, bietet den Schlüssel zum besseren Verständnis.

Der Midrasch erzählt von einem Vorfall mit einer Person namens Josef Meschissa. Als die Römer den Plan hegten das Bejt Hamikdasch (den heiligen Tempel) zu zerstören, fürchteten sie sich das Bejt Hamikdasch zu betreten. Sie sagten, wir benötigen einen Juden, der zuerst hineingeht und sich als erster an den Geräten des Tempels vergreift (um zu sehen, ob nichts passiere). Sie nahmen einen Juden mit – der ein Verräter gegen seinen G’tt gegen seine Nation war – damit er als erster in den Tempel eindringe. Sie sagten ihm, dass er sich als Lohn für seine Tat ein Stück der „Beute“ des Bejt Hamikdasch nach Wahl nehmen dürfe.

Josef Meschissa drang ein und nahm sich die Menora (den goldenen Leuchter). Stellen Sie sich vor, wie tief ein Jude sinken kann, dass er den goldenen Leuchter stiehlt! Die Römer sagten ihm dann, dass ein gewöhnlich Sterblicher keinen derartigen Gegenstand bei sich zuhause haben sollte. „Geh zurück und nimm dir irgend etwas anderes, nur nicht den goldenen Leuchter.“

Josef Meschissa antwortete: „Ich kann nicht noch einmal hineingehen.“ Sie versprachen ihm, dass die gesamten Steuereinnahmen der kommenden drei Jahre ihm gehören sollten, aber er blieb fest. „Ich kann nicht noch einmal hineingehen. Ist es nicht genug, dass ich meinen G’tt einmal erzürnt und seinen Tempel beschmutzt habe? Soll ich das nochmals tun? Ich kann es nicht.“

Die Römer folterten ihn, indem sie ihn zu Tode zersägten. Er aber schrie unter der Folter, solange seine Seele noch in ihm war: „Weh mir, weh mir, dass ich meinen Schöpfer erzürnt habe.“

Der Poniwescher Rav fragt: „Was ist hier geschehen? Was trieb Josef Meschissa zur Teschuwa (Rückkehr)? Er war augenscheinlich ein Jude mit absolut keinem Gefühl für jüdische Werte und dann änderte er sich und war bereit als Märtyrer zu sterben. Welches Ereignis verwandelte ihn von einem Bösewicht in einen Gerechten?“

Der Poniwescher Rav antwortet, dass das blosse Betreten eines heiligen Ortes Josef Meschissa ihn derart veränderte. Er kam mit Heiligkeit in Berührung. Er betrat das Bejt Hamikdasch aus den niedrigsten Gründen und mit den schlimmsten Absichten – und er verliess es als ein neuer Mensch. Es gibt etwas Reales im Zusammenhang mit Heiligkeit und Reinheit. Sogar ein kurzer Kontakt mit der Schechina (G’ttes Anwesenheit) kann einen Menschen für den Rest seines Lebens verwandeln.

Das ist, was Josef Meschisa widerfuhr: Er kam mit etwas Heiligem in Berührung.

Dies, so sagt der Midrasch, ist ein Beispiel eines „Verräters“, so wie Jizchak es spürte. Es ist möglich, dass ein Jude G’tt derart fern steht, dass er bereitwillig den Tempel betritt, den Feinden hilft und den Leuchter nimmt – und doch: Im Handumdrehen kann derselbe Jude Teschuwa machen (bereuen) und sagen: „Nicht weiter. Ich habe genug getan. Tötet mich, foltert mich – aber ich werde das Gleiche nicht wiederholen.“

Die Kraft der Nachkommen Ja’akows, sich vom tiefsten Mangel an Geistigkeit in die höchsten Höhen aufzuschwingen, ist der Charakterzug der „Bagdim“, welchen Jizchak sah. Dieser inspirierte ihn dazu, den Segen zu geben. Dies ist, was dieser aussergewöhnliche Midrasch erzählt.

Es soll niemand sagen, dass diese Kraft nur zu Zeiten des Bejt Hamikdasch vorhanden war, dass heutzutage nichts derartiges vorhanden ist, das einen schlechten Menschen in kürzester Zeit in einen Gerechten verwandelt. Ich möchte dazu eine wahre Geschichte erzählen.

Die Geschichte handelt von einem Juden namens Franz Rosenzweig (1886 – 1929). Franz Rosenzweig schrieb diese wahre Geschichte in seinem Buch „Der Stern der Erlösung“ nieder.

Franz Rosenzweig

Franz Rosenzweig war ein vollkommen weltlicher Jude. Er war ein produktiver Schriftsteller und grosser Philosoph, aber vollkommen liberal. So sehr, dass er sich darauf vorbereitete zum Christentum überzutreten, damit er seine nichtjüdische Verlobte heiraten konnte. Er war Hauptmann der Deutschen Kavallerie im 1. Weltkrieg. Als solcher befand er sich in einer polnischen Stadt an einem Abend, an dem ausgerechnet Jom Kippur war. Als Beobachter betrat er ein polnisches Stiebel (kleine Synagoge) in der Nacht von Kol Nidrej.

Franz Rosenzweig ging in das Stiebel nur um zu schauen, wie es so zuging, aus purer Neugier. Er verliess es als Ba’al Teschuwa (ein „Rückkehrer“ zu Religion). Er löste die Verlobung und wurde religiös. Hier handelte es sich nicht um das Amerika in heutiger Zeit, wo die Rückkehr von Juden zu ihrer Religion eine verbreitete Erscheinung ist, sondern um Deutschland im Jahre 1915, wo es unerhört war, dass ein weltlicher Jude religiös wird!

Was war die Ursache? Was war es? Es war das Gleiche wie mit Josef Meschissa. Er kam mit Keduscha (Heiligkeit) in Berührung. Ein Mensch, der vollkommen weltlich oder sogar anti-religiös ist, eine Person, die bereit ist eine andere Religion anzunehmen, die in eine Synagoge geht – nicht zum Gebet und nicht um teilzunehmen, sondern einzig, um zuzuschauen... Wenn die Person nur mit einem solch heiligen Ort zu so heiliger Stunde in Berührung kommt – dessen Seele kann davon ergriffen werden. Dies kann einen Menschen verändern. Dies ist Realität.

Keduscha/Heiligkeit, ist Realität. Tahara/Reinheit, ist Realität. Und wegen seiner Berührung mit Keduscha und Tahara wurde Rosenzweig ein anderer Mensch. Dafür ist nicht das Betreten des Bejt Hamikdasch notwendig. Es braucht nur ein Minjan ehrlicher Juden in aufrichtigem Gebet zum Herrn der Welt. Dies kann einen Menschen für immer verändern.

Quellen und Persönlichkeiten:

Ponewischer Rav (1886 – 1969) [Rav Josef Kahaneman]; Litauen; Bnej Berak, Israel

Die Bearbeitung der Gedanken dieser Woche erfolgte durch Mitarbeiter des Jüfo-Zentrums in Zürich

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