Rav Frand zu Paraschat Mischpatim 5779 - Beitrag 2

Jeder kann wenigstens zuhören

Weiter in der Parascha steht im Passuk: “Du sollst keiner Witwe und keinem Waisen Leid zufügen“ [Schemot 22:21]. Raschi zitiert Chasal: „Das gleiche gilt für jeden Menschen; doch die Tora spricht über eine Situation, die häufig vorkommt.“

Gerade dies sind die Menschen, denen man oft Kummer bereitet. Wenn Menschen schon viel gelitten haben, weil sie den Mann oder einen Elternteil verloren haben, Rachmana lizlan (G“tt behüte), dann rollen die Tränen in jeder Situation sehr schnell an die Oberfläche.

Ich würde gerne mit euch eine interessante Gemara (Talmud-Passage) [Schabbat 55a] lernen mit einem Kommentar der Tossafot dazu, gemäss einer Erklärung von Raw Baruch Mordechai Ezrachi. Die Gemara schreibt: „Raw Jehuda sass vor seinem Rebbe Schmuel. Eine Frau kam und weinte vor Schmuel, doch er (Schmuel) ignorierte sie. Raw Jehuda fragte seinen Rebbe: “Ist mein Herr denn nicht einverstanden mit “wer seine Ohren vor dem Weinen der Armen schliesst, auch er wird weinen, und nicht erhört werden“? [Mischle 21:13]

“Ach, eifriger Schüler, “ antwortete Schmuel, “dein Rebbe (ich dein Lehrer) (wird bestraft werden) mit kaltem (Wasser), doch der Rebbe deines Rebben (wird bestraft werden) mit heissem. Mar Ukwa, der Oberste des Gerichts (Aw Bet Din) sitzt hier!“ (In anderen Worten: “Ich bin nicht verantwortlich, also kann ich in dieser Angelegenheit nicht urteilen. Mar Ukwa ist verantwortlich.“ [Schabbat 55a].

Von dieser Gemara wissen wir nicht, ob Raw Jehuda Recht hatte, als er seinem Rebbe vorwarf, er hätte der Frau mehr Aufmerksamkeit schenken sollen, oder ob Schmuels Antwort angemessen war.

Allerdings gibt es eine berühmte Gemara im Traktat Baba Batra [10b] die, mehr Licht in dieses Ereignis bringt. Die Gemara sagt dort, dass einer der Amora’im (Talmud-Gelehrten) sehr krank war, im Koma lag und hinauf in den Himmel stieg, aber dann wieder herunterkam und gesund wurde. Er wurde gefragt, was er im Himmel gesehen habe und er antwortete: “Ich sah eine verkehrte Welt. Die Angesehenen in dieser Welt sind niedrig in der wahren Welt, und die Demütigen hier sitzen auf den angesehenen Plätzen im Himmel“.

Tossafot zur Stelle zitiert eine Überlieferung der Geonim (der Generation von Tora-Gelehrten anschliessend an die Generation der Amora’im, den Talmud- Gelehrten) im Namen von Rabbenu Chananel, dass dieser Amora, als er hinauf in den Himmel stieg, Schmuel zu den Füssen von Raw Jehuda, seinem Schüler, sitzen sah. Dies weil Raw Jehuda ihn zu Recht wegen der vorherigen Begebenheit kritisiert hatte. In

der wahren Welt wechselten Schmuel und Raw Jehuda ihre Plätze. Schmuel wurde der Schüler, und Raw Jehuda - der Lehrer.

Raw Ezrachi wundert sich über diese Gemara in Baba Batra. „Schliesslich“, so argumentiert er, „war es Schmuel, der Raw Jehuda seine ganze Tora gelehrt hatte. Schmuel war der Rebbe. Wie können wir dann alle in seinen Schüler investierten Jahre ignorieren und ihn seinem Schüler unterstellen?“

„Es muss aber sein“, so Raw Ezrachi, „dass die eine Lektion, die Raw Jehuda Schmuel lehrte (nämlich, dass er gegenüber der weinenden Frau aufmerksamer hätte sein sollen) so wichtig war, dass es all die Tora aufwog, die Schmuel Raw Jehuda gelehrt hatte.

Diese entscheidende Lektion von “wer seine Ohren vor dem Weinen der Armen schliesst, auch er wird weinen, und nicht erhört werden“ - diese Lektion, wie wir bedrückte Menschen behandeln müssen, ist entscheidend, um einen Jehudi zu dem zu machen, was er sein sollte. Dies war wichtiger in der kommenden Welt als alle Tora, die Raw Jehuda von Schmuel gelernt hatte.

Dies zeigt, wie vorsichtig wir sein müssen mit Witwen, mit Waisen und mit benachteiligten Menschen - mit Menschen, die verletzt sind. Manchmal gibt es nichts, was wir wirklich tun können. Wir können den Ehemann oder den Vater nicht zurückbringen. Wir können keinen Check für alle ihre Bedürfnisse ausstellen. Wir können nicht einmal den momentanen Schmerz heilen. Es gibt nur eine Sache, die wir tun können. Wir können zuhören.

Ob man reich oder arm, ein Gelehrter oder ein Laie, ob man weise ist oder nicht so klug, mächtig oder auch nicht, jeder kann zuhören, aufmerksam sein und zeigen, dass man mitfühlt.

Quellen und Persönlichkeiten:

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Die Bearbeitung dieses Wochenblatts erfolgte durch Mitarbeiter des Jüfo-Zentrums in Zürich

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