Rav Frand zu Paraschat Kedoschim 5779

Die Rolle des Ehepartners bei der Ausübung von Nächstenliebe

Die Parascha dieser Woche enthält den berühmten Passuk: „Du sollst dich an den Kindern deines Volkes nicht rächen und ihnen nichts nachtragen. Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst; Ich bin Haschem [Wajikra 19:18].“ Rabbi Akiwa sagt: Die Mizwa (Gebot), seinen Nachbarn zu lieben ist „das grosse Prinzip der Torah“ [Torat Kohanim, Talmud Jeruschalmi, Nedarim 9:4, Raschi zur Stelle]

Der Rambam hält in seiner Beschreibung dieser Mizwa fest, dass wir verpflichtet sind, „einander so zu lieben, wie wir uns selbst lieben“. Gemäss dem Ramban hingegen verlangt die Torah von uns nicht unbedingt, dass wir ein Gefühl von Liebe entwickeln. Vielmehr wird von uns verlangt, dass wir andere Menschen so behandeln, als ob wir sie liebten. Gemäss beiden Ansichten verlangt die Mizwa von uns, dass wir uns um andere Menschen kümmern, uns mit ihnen befassen, ihnen Wärme und Zuneigung entgegenbringen und ihnen das zukommen lassen, was sie benötigen – sei es finanzielle Hilfe, geistige Hilfe, tatkräftige Hilfe oder emotionale Unterstützung.

Wir können uns dazu eine grundlegende Frage stellen: Wie erfüllt ein Mann die Mizwa von „liebe deinen Nächsten“ mit einer Frau? Die Hälfte aller Menschen besteht aus dem „anderen Geschlecht“. Bezüglich dieser Mizwa muss auch eine Frau als „sein Nächster“ betrachtet werden. Sehr einfach gefragt: Wie kann ein Mann die Mizwa, unsere „weiblichen Nachbarn“ zu lieben, erfüllen, wenn man die offensichtlichen Probleme betrachtet, welche sich ergeben, wenn man das Mass von Unterstützung, Wärme und Mitgefühl aufwendet, welches man einem Mitglied des anderen Geschlechts zukommen lassen sollte? Selbstverständlich kann man auch für Frauen die Frage stellen, wie sie diese Mizwa gegenüber ihren männlichen „Nachbarn“ erfüllen sollen.

Rav Schimon Schwab bringt eine neuartige Erklärung; ich glaube, das trifft genau zu. Rav Schwab meint, dass der einzige Weg, die Mizwa der Nächstenliebe gegenüber dem anderen Geschlecht richtig zu erfüllen, über den Ehepartner führt.

Wir sind alle verpflichtet 613 Mizwot zu erfüllen. Als Angehöriger der Stämme Israels, die keine Priester sind, habe ich offensichtlich keine Möglichkeit, Opfer im Bejt HaMikdasch (Tempel) darzubringen. Als Nicht-Levi kann ich kein Ma’asser (Zehnt-Abgabe) entgegennehmen. Im Judentum gibt es das Konzept, dass wir als Nation eine Einheit darstellen. Einige Mizwot werden von den Kohanim (Priestern), den Nachkommen des Hohepriesters Aron ausgeführt. Wieder andere werden von den Leviten erfüllt, und so weiter.

Rav Schwab will dieses Konzept erweitern. Er meint, dass die Mizwa „seinen Nächsten zu lieben“, wie er der Gesamtheit aller Juden aufgetragen wurde, nur von einer Einheit Ehemann-Ehefrau ausgeführt werden kann. Die Rolle des Ehemannes ist diejenige von „Awraham zog die Männer in seine Nähe“ und die Aufgabe der Ehefrau ist diejenige von „Sarah zog die Frauen zu sich“.

Rav Schwab zitiert einen Sohar, welcher sich darauf bezieht, dass „ein Mann ohne Ehefrau nur die Hälfte des ganzen Körpers (Plag Gufa)“ ist. Dies bedeutet, dass ein Mann ohne Ehefrau keine volle geistige Erfüllung erreichen kann. Dies ist gemäss Rav Schwab zum Teil darauf zurückzuführen, dass die Mizwa „liebe deinen Nächsten wie dich selbst“ ohne Ehefrau nicht vollständig erfüllt werden kann. Dies ist eine Mizwa, die dem Ehepaar aufgetragen wurde. Der Ehemann erfüllt seinen Teil mit anderen Männern und die Ehefrau den ihren mit anderen Frauen.

Rav Schwab erläutert folgende Gemara im übertragenen Sinne: Die Gemara verbietet einem Mann, sich mit einer Frau zu verloben, falls er sie vorher nicht mindestens einmal gesehen hat „denn vielleicht gefällt sie ihm nicht.“ [Kiduschin 41a] Die Gemara schliesst dieses Verbot mit den Worten: „Und die Torah sagt: „Du sollst deinen Nächsten  lieben  wie dich  selbst.“ Wieso, so  fragt  Rav

Schwab, fügt die Gemara dem Verbot diesen Nachsatz hinzu? Rav Schwab meint, dass dies auf Folgendes hinweist: Falls sie ihm nicht gefallen wird und er sich von ihr scheiden lässt, wird er nicht imstande sein, die Mizwa „Liebe deinen Nächsten“ richtig zu erfüllen.

Ich erwähne diesen Gedanken immer wieder. In der amerikanischen (und europäischen) Gesellschaft, besonders in der säkulären Welt, gibt es für die Art der Beziehung zwischen den Geschlechtern absolut keine Beschränkungen. Die Menschen sitzen im Büro, besetzen Arbeitsplätze und befinden sich in Lebenslagen, in denen sie sich dauernd mischen. Kein Gedanke wird auf die altbewährte jüdische Wertvorstellung von der Trennung der Geschlechter verschwendet. Leider entstehen viele Probleme – auf die ich nicht eingehen möchte – wenn sich Angehörige beiderlei Geschlechts zu stark miteinander verbinden. Unzählige mussten einen hohen Preis dafür bezahlen, dass sie in diesem Bereich nicht genug vorsichtig und zurückhaltend gewesen waren.

Die Menschen meinen, sie seien einfach „normal“. Die Torah warnt uns, dass wir uns, ungeachtet von Biologie und menschlicher Natur, Grenzen setzen sollen. Wenn es keine örtliche Trennung und Beschränkung gibt, so soll doch wenigstens eine gewisse „Distanz“ und Zurückhaltung – selbstverständlich im Rahmen von Höflichkeit und Anstand – gewahrt werden. Dies erlaubt uns, uns nachhaltig vor der Gefahr zu grosser Annäherung und dem Aufbau von unerwünschten Beziehungen zu Angehörigen des anderen Geschlechts zu bewahren.

Quellen und Persönlichkeiten:

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 Die Bearbeitung dieses Wochenblatts erfolgte durch Mitarbeiter des Jüfo-Zentrums in Zürich

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