"Jehi Or - Es werde Licht" (Bereschit 1, 3)
- Die kulturelle Kluft zwischen den Griechen und Juden
Aus: Die Jüdische Zeitung - Nr. 50, 1. Tewes 5773 / 14. Dezember 2012
Von Rabbi Joel Padowitz
Während des Chanukka-Fests feiern wir den militärischen und ideologischen Sieg über unsere hellenistischen Feinde.
Chasal (unsere Weisen) nennen die Zeit, in der die Hellenisten ihren Einfluss auf Jisrael hatten, das ‚griechisches Galut (Exil)". Es ist aber erstaunlich, dass die Juden während dieser ganzen Phase in Erez Jisrael lebten und kein einziger Versuch stattfand, sie aus ihrer Heimat zu vertreiben.
Das wirft die Frage auf: Wer - oder was - wurde ins Exil geschickt? Chasal beantworten das mit einem Vergleich des Lebens unter den Hellenisten mit der Dunkelheit bei der Erschaffung 'der Welt.
In den ersten beiden Pessukim in Bereschit heisst es: „Am Anfang... war die Erde leer... und Dunkelheit war über dem Angesicht des Abgrunds". Erst das Gebot „Es werde Licht" vertrieb die Dunkelheit. Da die himmlischen Leuchtkörper erst viel später erschaffen wurden, bezieht sich dieses erste „Licht" auf ein geistiges, g"ttliches Licht. Chasal betrachteten die hellenistische Welt also als eine alles beherrschende Dunkelheit, die jedes Geistigen entbehrte, jedoch durch Geistiges vertrieben werden konnte.
Bemerkenswert ist, dass unsere Weisen, die die griechische Kultur traditionellerweise mit geistiger Dunkelheit vergleichen, gleichzeitig bestätigen, dass das alte Griechenland die kulturell höchste aller Zivilisationen war.
Deshalb war es auch der Hellenismus, in dem die Juden erstmals eine Alternative für das Judentum fanden. Damals - wie auch heute - begeisterte der Glanz der Griechen und ihre Künste und Annehmlichkeiten viele Juden, bis zur völligen Assimilation.
Die hellenistische Weltanschauung verherrlichte den Menschen als Höhepunkt der Schöpfung - das heisst sowohl seinen Intellekt als auch seinen Körper. Seit der Zeit von Aristoteles folgte die Welt gemäss den meisten Philosophen Naturgesetzen, die vom menschlichen Verstand und durch Beobachtungen vollständig begriffen werden können. Es wurden Phänomene erforscht, die die Menschen zu verstehen hofften, und solche, die ausserhalb der reinen Logik oder direkten Beobachtung lagen, wurden als Narrheiten abgetan.
Wir finden in der gegenwärtigen, weit verbreiteten Annahme, dass ausserhalb der materiellen Welt keine Realität besteht, einen modernen Ausdruck dieser Einstellung. Solch eine Ansicht degradiert aber auch hochwertige Regungen wie Liebe, den freien Willen und die Seele auf die Ebene der Biochemie.
Im Einklang mit dieser Ansicht gilt eine „relative Moral", die die Existenz alles absolut Richtigen oder Falschen bestreitet. Aus diesem Standpunkt entsteht der Existentialismus, die Philosophie der Sinn- und Bedeutungslosigkeit des Lebens. Die entmutigenden Schlüsse über ihr Leben, die heute von so vielen Menschen gezogen werden, entstammen der Perspektive, dass die Welt ein atomisches Durcheinander ist, ohne Zweck und Planung, nur durch willkürliche Muster geordnet.
Dennoch fühlen viele Menschen, dass die Ansicht, dass das Leben völlig bedeutungslos sei, lächerlich ist. Denn dann wäre ein Mord - abgesehen von persönlichen Vor- oder Nachteilen - an sich nichts Schlimmes. Diejenigen, die über so viel Menschlichkeit verfügen, um einzugestehen, dass die Denkfähigkeit des menschlichen Gehirns eingeschränkt ist, sind gezwungen, ihre beschränkte Meinung über die Realität zu revidieren.
Zu jener Zeit, als Athen und Jerusalem sich bekämpften, fand eine treue Gruppe Juden, dass die mechanischen Naturgesetze von einem Schöpfer festgelegt wurden. Sie sahen den Glanz Griechenlands nicht als intellektuelle Leistung, sondern als Erschütterung des menschlichen Geistes. Die glänzenden geistigen Fähigkeiten des Menschen wurden von Oberflächlichkeiten überschattet, nur weil diese von der menschlichen Logik leichter begriffen werden konnten. Das war die „Griechische Dunkelheit".
Was die Griechen ins Galut schickten, war der Funke der menschlichen Seele. Sie nahmen sich des Körpers und des materiellen Geistes an, vernachlässigten jedoch die Seele. Wir sind uns anderseits bewusst, dass der Intellekt das mächtigste und zuverlässigste Werkzeug der Seele ist, und der Körper ein vertrauenswürdiger Diener - jedoch nicht mehr als das. Die Makkabim verstanden, dass es eine sachliche Moral und geistige Tatsachen gibt, trotz unseres Unvermögens, diese gänzlich zu erklären
Es ist also kein Zufall, dass der wunderbare jüdische Sieg über die Hellenisten mit dem relativ bescheidenen Wunder endete, dass ein einziges Krüglein Öl acht Tage lang brannte. Für griechische Denker - und deren moderne säkulare Erben - sieht die materielle Welt zwar schön aus. Doch damit endet es.
Das Öl, das acht Tage lang brannte, symbolisiert, dass gerade in der materiellen Welt eine äusserst reale innere Dimension schlummert, die darauf wartet, unser Leben zu erleuchten. Die Herausforderung der Juden besteht darin, die innere Dimension der materiellen Sphäre anzusprechen, und es so dem geistigen Potential zu ermöglichen, hervor zu leuchten.
Um unseres Siegs über die griechische Dunkelheit zu gedenken, stellen wir eine flackernde Flamme auf unser Fenstersims, damit diese in die Schwärze der längsten Nächte des Jahres hinaus leuchtet. Wir werden damit „Partner" unseres Schöpfers bei der Erfüllung Seines Gebots: „Es werde Licht!" (Bereschit 1, 3) Dadurch wird die oberflächliche Dunkelheit dieser Welt verbannt, da wir uns und unsere Nachbarn daran erinnern, dass in jedem von uns ein geistiger Funke schlummert, der darauf wartet, entfacht zu werden und die Welt mit g"ttlicher Schönheit zu erfüllen. Das geht über das hinaus, was das Auge sehen kann. Das ist die Botschaft von Chanukka.
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Die Bearbeitung dieses Beitrages erfolgte durch Mitarbeiter des Jüfo-Zentrums in Zürich
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