Rav Ciner zu Jom Kippur 5783
Teschuwa / Rückkehr - Wohin?
"Schuwa Jisrael ad Haschem Elokecha – Kehre zurück, Jisrael, (bis) zum Ewigen, deinem G-tt" [Hoschea 14:2]. Chasal (unsere Weisen) lehren uns [Talmud Traktat Joma86a], dass Teschuwa (Reue, Rückkehr) so gross ist, dass sie bis zum "Kissej Hakawod", dem Thron G-ttes, reicht. Was ist die Bedeutung dieses Ausspruches?
Der Siftej Chajim erklärt bezüglich des Wesens des Thron G-ttes folgendes: Der Sohar schreibt (Wajikra 29b], dass die Seelen von unter dem Thron G-ttes hervorgenommen werden. Dies bedeutet, dass die Seelen des jüdischen Volkes die Aufgabe haben, den Kissej Hakawod, den Thron der Ehre G-ttes, zu bauen und formen. Jedes Mitglied von Klall Jisrael hat eine einzigartige Rolle, diesen "Kawod Schamajim", diese Ehre des Himmels, in dieser Welt zu offenbaren. Wenn man sich im Glauben und im Verständnis von Haschem entwickelt und danach fähig ist, Haschem auf einem höheren Niveau zu dienen, hat man das Verdienst, zu seinem Teil an diesem Kissej Hakawod beizutragen.
Das hebräische Wort für "Welt" ist "Olam". Olam bedeutet auch "ne’elam-verborgen ". Die Definition der Welt ist deshalb der Platz, an dem sich Haschem verborgen hält. Trotz dieser Verborgenheit oder gerade deshalb muss Haschems Erhabenheit geehrt und verkündet werden.
Teschuwa bedeutet Rückkehr. Rückkehr wohin? Wenn jemand stiehlt, ist es seine Pflicht, den Gegenstand zurückzugeben. Wohin muss man ihn zurückgeben? An seinen Ursprung – an den Platz, von dem er genommen wurde! Teschuwa bedeutet deshalb, zu unserem Ursprung zurückzukehren. Unser Ursprung war unter dem Kissej Hakawod. Teschuwa bedeutet, uns und unser Hauptaugenmerk auf das eigentliche Ziel unserer Schöpfung zu richten – das Bilden von Kawod Schamajim – Ehre G-ttes - in dieser Welt. Das Ehren Seines Willens ist unser Weg, Ihn zu ehren und zu ermöglichen, dass Seine Schechina (Gegenwart) in dieser Welt weilen und gefühlt werden kann.
Um zu ermöglichen, dass die Neschama zu ihrem Ursprung "zurückkehren" kann, schuf Haschem sie mit einem starken Verlangen, sich geistig zu erheben und Ihm näherzukommen. Ein Mensch empfindet eine Leere mit nur dem Alltäglichen, er verspürt einen Hunger, ein Gefühl, dass das Leben mehr enthält als das Alltägliche. Der menschliche Körper mit seinen physischen Wünschen und Bestrebungen verleitet den Menschen zum Gedanken, dass materialistische Vergnügungen diese Leere füllen und diesen Hunger befriedigen werden. Wenn ein Mensch hundert Taler hat, empfindet er plötzlich einen Wunsch für zweihundert. Wenn er realisiert, dass Reichtum die Leere nicht füllt, verfolgt er andere Vergnügungen.
Die einzige Garantie das Ziel zu erreichen ist die Realisierung des Mangels der wirklichen Befriedigung. Salzwasser löscht den Durst nie. Der geistige Hunger der Neschama kann nie mit einem Steak befriedigt werden. Alle Vergnügungen der Welt haben keinen Anreiz für eine Neschama, die die geistige Ekstase der Nähe zum Allmächtigen gekostet hat. Sie lechzt nach dieser Verbindung, und nichts Anderes wird sie zufriedenstellen. Nur wenn der Mensch dies versteht und versucht, die wahren Wünsche und Bedürfnisse der Neschama zu erfüllen, wird er eine echte Zufriedenheit und ein Gefühl der Erfüllung spüren.
Lasst uns die Verbindung zwischen Jom Kippur und dieser Teschuwa verstehen.
Das Sefer Hachinuch schreibt, dass Haschem mit Seiner Barmherzigkeit einen Tag im Jahr dafür bestimmte, um für die Sünden derjenigen, die Teschuwa tun, zu sühnen.
"Wajehi Erew wajehi Boker Jom Echad", und es war Abend, und es war Morgen, ein Tag [Bereschit 1:5]. Der Midrasch erklärt, dass dieser "eine Tag" sich auf Jom Kippur bezieht. Der Passuk nennt ihn nicht den ersten Tag, sondern einen Tag.
Der Or Gedaljahu erklärt, dass zu diesem Zeitpunkt Haschem allein in der Welt war. Es herrschte perfekte Einheit und Er war Eins. Sogar die Engel und der Satan wurden erst am zweiten Tag geschaffen. Vom Zeitpunkt ihrer Schöpfung an erhielten die bösen Mächte die Fähigkeit, auszusehen, wie wenn sie Macht besässen. Am ersten Tag jedoch war es eindeutig klar, dass Haschem allein regiert und die Welt erhält und dass es keine andere Quelle der Macht gibt.
Der Zahlenwert des Namens "haSatan", der Satan, ist 364. Der Talmud [Traktat Joma 20a] lehrt uns, dass von den 365 Tagen im Jahr der Satan nur an 364 Tagen die Fähigkeit hat, irrezuführen. Sein Name, sein Wesen, seine Fähigkeit, sind an einem Tag im Jahr eingeschränkt. Dieser Tag ist Jom Kippur. Der Tag, an dem die Beschaffenheit der Welt am ersten Tag der Schöpfung, der "Jom Echad", wiederhergestellt wird.
Dies ist der Tag, an dem wir uns selbst auf unseren Ursprung, unser Ziel, konzentrieren können. Der Tag, an dem wir klar den einzigen Weg zu wahrer Erfüllung sehen können. Der Tag, an dem wir - indem wir uns von den Handlungen enthalten, die das Körperliche nähren – fähig sind, unsere wahren geistigen Bedürfnisse zu erkennen. Der Tag, der für Teschuwa bestimmt ist – zu dem zurückzukehren, was wir wirklich sind und das Potential dessen zu realisieren, wer wir sein können. Der Tag des Jom Echad. Jom Kippur.
Gemar Chatima Towa
Quellen und Persönlichkeiten:
Sefer HaChinuch („Das Buch der Erziehung zu Mizwot“) ist ein Werk, das systematisch die 613 Gebote der Tora behandelt. Das Buch diskutiert separat jedes der 613 Gebote, sowohl aus rechtlicher als auch aus moralischer Sicht. Für jeden von ihnen beginnt die Diskussion des Chinuchs damit, die Mizwa mit ihrer biblischen Quelle zu verknüpfen, und spricht dann die philosophischen Grundlagen des Gebotes an (hier als "Schoresch" bezeichnet). Im Anschluss daran gibt der Chinuch einen kurzen Überblick über die Halacha (jüdisches Gesetz), das die Einhaltung dieser Mizwa regelt - normalerweise basierend auf Maimonides' Mischne Tora - und schließt mit einer Zusammenfassung der Anwendbarkeit des Gebotes. Es wurde anonym im Spanien des 13. Jahrhunderts veröffentlicht. Der mögliche Autor ist Rabbi Aharon Halevi (1235-1304); Barcelona, Spanien.
Rabbi Gedaljahu Halevi Schorr (1910 - 1979), war ein prominenter Rav und Rosch Jeshiwa der Jeschiwa Tora Voda’as, Brooklyn. Verfasser des Werkes Or Gedaljahu zum Pentateuch und zu den Feiertagen.
Rabbi Chajim Friedländer (1923 - 1986) war ein Mitglied der Mussar-Bewegung in der letzten Generation, ein Maschgiach (geistiger Aufseher) an einigen Jeschiwot und am Ende seines Lebens an der Poniwescher Jeschiwa in Benej Berak. Er beschäftigte sich intensiv mit den Schriften des Ramchals (Rabbi Mosche Chajim Luzzato) und veröffentlichte mehrerer seiner Werke. Verfasser von verschiedenen Werken, wie Siftej Chajim zur jüdischen Weltanschauung, zu den Feiertagen, zum Pentateuch, etc.
Die Bearbeitung dieses Beitrages erfolgte durch Mitarbeiter des Jüfo-Zentrums in Zürich
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