
Raw Frand zu Rosch Haschana 5782
Ergänzungen: S. Weinmann
Ermutigende Botschaft vor Rosch Haschana
Paraschat Nizawim wird in der Regel vor Rosch Haschana gelesen. In dieser Parascha sagt Mosche Rabbejnu dem jüdischen Volk, dass er ihm eine klare Wahl gibt: "Siehe, ich lege dir heute vor, das Leben und das Glück und den Tod und das Unglück ... so wähle denn das Leben, auf dass du leben bleibst, du und deine Nachkommen; indem du den Ewigen, deinen G-tt liebst, auf seine Stimme hörst und an ihm hängst, denn das ist dein Leben…" [Dewarim 30:15-20]
Der Midrasch Raba anfangs Paraschat Re’eh [Dewarim 11:26] bemerkt zu diesen Versen: "Rabbi Chaggaj sagt: "Nicht nur, dass ich euch die zwei Wege aufgezeigt habe, ich habe viel mehr getan, als ich von Rechtswegen hätte tun müssen, ich habe euch empfohlen und nahegelegt, welchen Weg ihr einschlagen sollt ‘…wähle das Leben’."
Was bedeutet dieser Midrasch? Wieso betrachtet man die Tatsache, dass G'tt den Juden empfohlen hat, sie sollen das Leben wählen, als "Lifnim mi'Schurat ha'Din" (mehr als Er von Rechts wegen hätte tun müssen)? Eigentlich hat G'tt nicht mehr getan, als zwei Möglichkeiten auf den Tisch zu legen und eine gute Empfehlung abzugegeben: "Wähle das Leben". Warum gilt die Tatsache, dass G'tt sagt: "du sollst das Leben wählen" als "mehr als Er von Rechts wegen hätte tun müssen"?
Dazu sah ich eine Antwort von Rabbi Josef Chajim Sonnenfeld‘s Sohn. Anfangs Paraschat Bechukotaj [Wajikra 26:3] heisst es: "Wenn ihr nach Meinen Gesetzen wandelt, Meine Gebote hütet und sie ausführt..." Unsere Weisen bemerken dazu: "Wenn ihr Meine Gebote hütet ("tischmeru) werde ich es euch anrechnen, als ob ihr sie schon ausgeführt hättet ("we'assitem")."
Was lehrt uns dieser Vers? Ist es nicht vollkommen klar, dass wir die Mizwot (Gebote) ausführen, wenn wir sie hüten?
Wir können hier etwas Erstaunliches feststellen: Die Worte "et Mizwotaj tischmeru" haben nicht die Bedeutung "wenn ihr Meine Mizwot einhält". Die Wurzel von "tischmeru" hat die gleiche Herkunft wie "und sein Vater (Ja’akow) hütete (in seinem Herzen) die Sache (den Traum Josef’s)" ("we'Awiw schamar et haDawar") [Bereschit 37:11]. Gemäss dem Midrasch sagt der Vers mit anderen Worten: "Wenn du dir gedanklich vornimmst, meine Gebote zu halten, wenn du es IM GRUNDSATZ auf dich nimmst, sie einzuhalten, dann werde ich es dir anrechnen, als ob du sie bereits ausgeführt hättest."
Wie erkennen wir, dass die Torah einen Menschen, der grundsätzlich eingewilligt hat, die Mizwot zu beobachten, einschätzt, als ob er sie bereits hält?
Rabbi Josef Chajim Sonnenfeld sagt, dass wir dies aus dem Vers: "und du sollst das Leben wählen" [Dewarim 30:19] herleiten können. Dieses "mehr als von Rechts wegen", von dem der Midrasch spricht, bezieht sich auf folgendes: G'tt versprach: "Wenn du das Leben WÄHLST", rechne ich es dir bereits als gute Tat an. Hast du grundsätzlich den Beschluss gefasst, die Gebote zu halten, ist es für mich schon so gut wie ausgeführt.
G'tt verlangt an diesem Punkt keine Taten. G'tt verlangt eine Zusage: "Strecke einfach die Hand aus und du gehörst bereits zu Meiner "Mannschaft"." Der Midrasch spielt auf die grosse Güte an, die G'tt uns zukommen lässt.
Das ist vielleicht eine Erkenntnis, die uns vor Rosch Haschana am ehesten Mut einflösst. Wenn wir den Tag des Gerichts in Angriff nehmen und Rückblick auf das vergangene Jahr halten - wohl wissend, dass wir die Erwartungen nicht erfüllt haben - so fragen wir uns: "Wie sind wir imstande, zu einem guten Abschluss zu kommen, wie können wir unsere Jahresbilanz verbessern?" Wir fragen uns: "Was sollen wir tun, um kurz vor dem Jom HaDin (Tag des Gerichts) noch einen Zuschuss von geistigem Kapital zu erhalten?"
Chasal (unsere Weisen) sagen, dass ein ehrlicher Vorsatz, sich zu bessern und bestimmte Dinge zu tun, dem Menschen einen Verdienst gibt und ihm bereits zugutegehalten wird. Dies ist eine erstaunliche Neuigkeit, die man aus dem Vers "und du sollst das Leben wählen" lernen kann.
Wenn jemand beispielsweise wenig Zeit hatte, Torah zu lernen und er eigentlich gerne täglich lernen möchte, nicht nur einige Male pro Woche, so kann er in den Augen von Haschem den Jom HaDin bereits so begehen wie jemand, der täglich lernt.
Wenn der Vorsatz ehrlich ist und über das "Ich will mich bessern" hinausgeht und man ihn klar für sich umschreiben und ermessen kann, dann lehrt uns der "Chiddusch" (die neuartige Auslegung) von "und du sollst das Leben wählen", dass man sofort, ab Erew Rosch Haschana (Vorabend von Rosch Haschana), in den Augen G'ttes als Rückkehrer dasteht.
Wer hat es nicht nötig seinen Auftritt vor G'tt, so kurz vor Rosch Haschanah, zu verbessern? G'tt will nichts mehr als "und du sollst das Leben wählen" - eine Zusage, einen ehrlichen Vorsatz, sich in festen, messbaren Bereichen zu verbessern. Dann "werde Ich es dir anrechnen, als ob du bereits einen Fortschritt zu verzeichnen hast".
Quellen und Persönlichkeiten:
Midrasch Rabba (der grosse Midrasch): Grosse Sammlung von Erklärungen und Aggadot zum Chumasch der Tana’im (Mischnagelehrten) und Amora’im (Talmudgelehrten).
Rav Josef Chajim Sonnenfeld (1848 - 1932): Verbó, Seminiz, Pressburg, Kobersdorf (Ungarn/Slowakei), Jeruschalajim. Rav von Jeruschalajim.
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Die Bearbeitung dieses Beitrages erfolgte durch Mitarbeiter des Jüfo-Zentrums in Zürich
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