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Jüdische Geschichte und Biographie

Die Petiro von Rav Chajim Kaniewsky sZl.

Das Ableben einer der grössten Tora-Kapazitäten unserer Generation

Aus DJZ, Nr. 12, 22. Adar II 5482 7 25. März 2022

Ergänzungen: S. Weinmann

 

Hunderttausende von Menschen strömten am Sonntag, den 17. Adar II 5782 / 20. März 2022, nach Bene Berak, um an der Lewaja des  Sar  HaTora (Tora-Grösse),  Raw  Chaim  Kaniewsky sZl. teilzunehmen. Die Menge wurde je nach Quelle von sechshunderttausend bis zu 1 Mio. Menschen geschätzt. Die Polizei sicherte die Veranstaltung ab, und die Lewaja konnte trotz der grossen und dichtgedrängten Menschenmenge  ohne grössere  Probleme  durchgeführt werden.

Die  Lewaja  begann  genau  um  12  Uhr  mit  der  Rezitation  von  Tehillim (Psalmen)  durch  Raw Mosche Smotney, und  der Rezitation der Selichot  durch Raw Mosche Bauer. Raw Jizchak  Silberstein schlita,  der  Schwager  von  Rav  Chaim sZl.,  ergriff  als  erster  das  Wort.  Er bewegte die Menschenmenge mit seinen Tränen über  den  Verlust  dessen, der in Schir HaSchirim (Hohelied) als „Eschkol“ beschrieben wird,  als  Person,  die  alles in Tora vereint hat, was einem Menschen maximal möglich ist ,in Mikra, Mischna, Talmud,  Halacha, Tosefta  und Agaddah.  „Hakadosch Baruch Hu (der Heilige, gelobt sei er) nahm  uns  die  Person,  die  dem ganzen  Am (Volk)  Jisrael  entspricht,  um  für  Am Jisrael mechaper zu sein (zu sühnen)“, sagte Raw Silberstein Tränen überströmt.                                   

Raw Silberstein beschrieb auch den Vorfall, als Raw Chajim sein Werk über Heuschrecken schrieb (es gibt nach der Tora auch koschere Arten) und „plötzlich eine Heuschrecke auf seiner Fensterbank  erschien,  so  dass  Raw Chajim  ihr  genaues  Aussehen  beschreiben konnte.“

„Als ich dies meinem Schwiegervater, Raw Eljaschiw  sZl.,  erzählte,  war  er  verblüfft“, sagte Raw Silberstein. „Raw Eljaschiw sZl. sagte mir, dass nur Rischonim (Tora-Grössen vor 500-1000 Jahren) zu so etwas «soche» waren (den Verdienst hatten, solche Wunder zu erleben). Dennoch haben wir in unseren Tagen eine Person erlebt, die zu so etwas «soche» war!“            

Der Rosch Jeschiwat Ponevesch, Raw Gerschon Edelstein schlita, ergriff danach das Wort und betonte die Notwendigkeit für den Klall (Allgemeinheit), an ihrer Jir’at Schamajim (G-ttesfurcht) dauernd zu arbeiten, weil nun der Einfluss von Raw Chajim fehle.    

„Wie können wir Jir’at Schamajim vermehren? Durch Mussar-Lernen (Ethik, Moral und Sittlichkeit), dies ist der  einzige  Weg“,  sagte Raw  Edelstein.  „Denn Jir’at  Schamajim  ist gegen die Natur des Menschen. Wir benötigen dauernd Chisuk (Stärkung, und speziell in diesem Gebiet), und das kann nur durch eine tägliche Verpflichtung zum Lernen eines Mussar-Sefers erreicht werden.“                       

Der letzte Maspid war Raw Chajims Sohn, Raw Schlomo Kanievsky schlita, Rosch Jeschiwas Tiferes Zion und Kirjat Melech: „Abba, wie konntest du  uns  so  plötzlich  verlassen?“,  weinte Raw Schlomo. „Hakadosch Baruch Hu hat dich ohne Vorbereitung und mit «Missat Neschika»  (plötzlichen, schmerzlosen Tod) genommen.“  Er sprach darüber, dass Raw Chajims Grösse auch in alltäglichen Dingen gesehen werden konnte: „Wenn Abba vom Kollel nach Hause kam, stand das Essen immer auf dem Tisch.  Abba war sehr darauf bedacht, nicht ohne Ima zu essen. Wenn sie nicht am Tisch sass, ass er nicht. Und wenn es mehr als ein oder zwei Minuten dauerte, bis Ima sich setzen konnte, drehte er sich sofort zu seinem Stender und begann zu lernen. Das mögen vielleicht einfache und unbedeutende Dinge sein,  aber  wir  haben sie dauernd mit unseren Augen gesehen. Diese Dinge waren ein Symbol für die Art und Weise, wie mein Vater lebte, und für die Aufmerksamkeit und Hingabe zur eigenen Familie und zu jedem Juden, die er hatte.“

Am Ende der Lewaja  ernannte Raw Mosche  Smotney den jüngsten Sohn von  HaRaw Chajim, Raw Jizchak 
Schaul  Kanievsky  schlita, als  Nachfolger seines Vaters zum Raw der Lederman-Schul.

Die  Hespedim  vor  dem  Haus  des  Niftar endeten mit dem Sagen des Kaddisch durch Raw Chajims Sohn, Raw Avraham Jeschaja Kanievsky schlita. Die Lewaja ging dann weiter zum Bejt Hachajim Sichron Meir, wo Raw Chajim neben seiner Frau, Rebbezen Batscheva Esther Kanievsky o‘h beigesetzt wurde.

Raw  Chajim  Kanievsky  wurde  am  Freitag, den 15. Adar (Schuschan Purim) im Alter von 94 Jahren niftar. Mitglieder der Hatzalah, die zum Ort des Geschehens eilten, versuchten ihn wiederzubeleben,  aber  es gelang ihnen nicht. Kurze Zeit danach wurde sein Tod festgestellt. 

Raw Chajim hatte sich in den letzten Tagen schwach gefühlt, und  am  Donnerstag,  Purim,  keine  Menschen  empfangen, was  besonders zu dieser Jahreszeit unüblich war. 

Raw Kanievsky war seit dem Tod von Raw  Aharon Jehuda Leib Steinmann sZl., vor fünf  Jahren, zusammen mit Raw Gerschon Edelstein schlita, einer der leitenden Gedolim (Grössen) der israelischen charedischen Bevölkerung.                  

Am 15. Tewet 5688 (8. Januar 1928) wurde Schmarjahu Josef Chajim Kanievsky in der polnischen Stadt  Pinsk  (heute Weissrussland) geboren.  Er wurde nach seinen beiden Grossvätern, Raw Schmarjahu  Josef  Karelitz und Raw Chajim Perez Kanievsky, benannt.

Raw Kanievsky war der Sohn von Raw Ja’akov Jisrael  Kanievsky,  bekannt  als  der  Steipler Gaon, und seiner Frau Mirjam Kareliz, der Schwester  von Raw Awraham Jeschajahu Kareliz, dem «Chason Isch».                          

Wenige Jahre danach wanderte die Familie nach Erez Jisrael aus. Ihr Zuhause war eine Hütte am Rande der Felder von Bene Berak, unscheinbar im Aussehen, aber von immenser Bedeutung für die Welt der Tora.                   

Er blühte auf, lernte in der Talmud-Tora von Bne Brak und viele Stunden privat mit seinem Vater. Er ging danach in die Jeschiwa Ketana Tiferes Zion, wo er unter Raw Michel Jehuda Lefkowitz lernte. Nachdem er ein Jahr lang mit seinem  Vater  in der Jeschiwat Bejt  Josef  Novardok gelernt hatte, ging er in die Lomza Jeschiwa in Petach Tikva.    

1951 heiratete er Batschewa Eljaschiw, die Tochter von Raw Josef Schalom Eljaschiw. Der  Schidduch  wurde vom  Chason Isch arrangiert.                                       

Das junge Paar, Raw Chajim und seine Rebbezen, lebte zuerst für kurze Zeit in Petach Tikva, zog aber bald nach Bene Berak, wo Raw Chajim in den Kollel Chason Isch eintrat.

Und das blieb eigentlich seine Identität: Ein Kollel-Jungermann, der sich voll und ganz dem Lernen widmet. Jeden Morgen dawente er mit «Watikin» (Sonnenaufgang) und machte sich dann auf den Weg zum Kollel. Nach dem Mittagessen und abends kehrte er in den Kollel zurück und beendete seinen Tag mit Tikkun Chazot, um Mitternacht. Es war ein von Limmud haTora durchdrungenes Leben.

Bis zu seiner Petira lebte Raw Chajim Kanievsky in einer kleinen und einfachen Wohnung  in  Bene  Berak,  wo er jährlich Tausende  von Menschen empfing, die ihn um seinen Rat und seine Tefillot baten.

Raw  Chajim  verfasste  zahlreiche  Sefarim (Werke),  unter  anderem  Derech  Emunah  über  landwirtschaftliche Halachot, Derech Chochmah  über  Hilchot  Bejt  Hamikdasch  und  Schone Halachot,  eine  systematische  Zusammenfassung  des  Mischna  Berura; dann  Ische  Jisrael handelt von der Tefilla, und die Halachot von Schiluach Haken (Vogelnest) sind in Schaleach TeSchalach festgehalten. 

                                                                                                                               (Fortsetzung folgt s.G.w.)

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