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Rav Frand zu Pirkej Awot

Sprüche der Väter: Kapitel 2, Mischna 5

Die Mischna lehrt: Hilel sagt: "Vertraue dir selbst nicht bis zum Tag deines Todes."

Rabbejnu Ovadia Bartenura verbindet diese Mischna mit der berühmten Gemara, dass Jochanan, der Kohen Gadol (Hohepriester), 80 Jahre lang im Amt war und zum Ende seines Lebens ein Sadduzäer wurde [Babylonischer Talmud, Berachot 29a].

Der Wischnitzer Rebbe zeigt jedoch einen Widerspruch zwischen dieser Mischna und der

Gemara in Joma 38b auf: Rabbi Jochanan stellt fest, wenn jemand die Mitte seines Lebens überschritten hat, ohne zu sündigen, dann werde dieser Mensch nie mehr sündigen. (Die Gemara impliziert, dass ein Mensch, der die Mehrheit seines Lebens gelebt hat und alle (spirituellen) Herausforderungen seines Lebens erfolgreich gemeistert hat, sich darauf verlassen könne, in späteren Jahren nicht mehr spirituell auszurutschen.)

Um diese beiden Quellen wieder zusammenzuführen, stellt der Wischnitzer Rebbe fest, dass unsere Mischna in Pirkej Awot (Sprüche der Väter) nicht über Mizwot und Awerot (gute und schlechte Taten) spricht. Stattdessen sollte es so verstanden werden, dass ein Mensch nie sagen soll: "Ich glaube, dass ich in meinem Leben genug getan habe. Es ist Zeit, sich zurückzulehnen und sich auf den Lorbeeren auszuruhen."

In den Vereinigten Staaten von Amerika kann ein Mensch mit 66 in Rente gehen, aber wenn es um G-ttesdienst und seine Verpflichtungen als Jude geht - in anderen Worten, wenn es um den eigentlichen Sinn unseres Lebens geht, für den wir hierhergekommen sind - sollten wir bis zu unserem Todestag nicht auf unsere Errungenschaften vertrauen. "Ich habe schon genug getan" ist keine jüdische Einstellung.

Ich empfinde seit jeher das Leben von Rav Josef Breuer, sz"l, als eine grosse, ethische Lektion. Als Rav Breuer im Jahre 1939 in die Vereinigten Staaten kam, war er schon fast 60 Jahre alt. Er hatte bis dahin ein sehr vollendetes Leben gelebt. Er war Rabbiner der Jüdischen Gemeinde in Frankfurt gewesen. Er kam ins neue Land im Alter von fast 60 Jahren und kannte weder die Sprache, noch die Kultur seiner neuen Heimat. Er hätte die Einstellung haben können: "Ich gehe in Frührente." Das muss eine grosse Versuchung gewesen sein. Trotzdem gründete er in diesem Alter eine Gemeinde, die zu einer der wunderbarsten Gemeinden der ganzen Welt wurde. 

Dies ist ein Beispiel von "Vertraue nicht (in deine bisherigen bzw. früheren Errungenschaften) bis zu dem Tag, an dem du stirbst." Es ist beängstigend, darüber nachzudenken, wenn sich Rav Breuer die Einstellung einverleibt hätte, "ich habe schon genug getan" und die restlichen 40 Jahre seines Lebens im Ruhestand zu Ende gebracht hätte. Er wäre nach seinem Ableben vor das Himmlische Gericht gekommen und man hätte ihn gefragt: "Wo ist die Gemeinde in

Washington Heights? Wo ist KAJ [Kehillas Adass Jeshurun]? Wo ist die Samson-Raphael-Hirsch-Jeschiwa? Wo ist die KAJ-Kaschrut-Organisation? Wo ist das alles? Er hätte gesagt: "Wovon redet ihr? Ich war 60 Jahre alt. Lasst mich in Ruhe!"

Dies ist die Lehre von "Vertraue nicht auf dich selbst bis zum Tag deines Todes." Du musst weitermachen, bis man dich abberuft. Alle anderen Jobs mögen ein obligatorisches Rentenalter haben, aber nicht die Jüdischkeit. G-ttesdienst hat kein Rentenalter.

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Die Bearbeitung dieser Beiträge erfolgte durch Mitarbeiter des Jüfo-Zentrums in Zürich

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