Raw Frand zu Parschat Chaje Sarah 5774
Eine neuartige Erkenntnis aus dem Vers: "Ihre Schönheit mit 20 war wie jene einer 7-jährigen"
Der aktuelle Wochenabschnitt beginnt mit den Worten: "Sarahs Lebenszeit war hundert Jahre und zwanzig Jahre und sieben Jahre; die Jahre von Sarahs Leben." [Bereschit 23:1]. Der berühmte Raschi-Kommentar zu Beginn des Wochenabschnitts erklärt, warum das Wort "Jahre" (hebr. Schana) nach jeder Zifferneinheit ihres Alters wiederholt wird: "Um uns zu sagen, dass jede [Ziffer] separat gedeutet werden soll; mit hundert Jahren war sie wie eine Zwanzigjährige - in Bezug auf ihre Sünden - genau wie eine Zwanzigjährige als sündenfrei betrachtet wird, weil sie (bei himmlischen Strafen bis Zwanzig) noch nicht strafpflichtig ist, genauso war Sarah, als sie hundert Jahre alt war, ohne Sünde. Und mit zwanzig Jahren war sie wie eine 7-jährige in Bezug auf ihre Schönheit."
Wenn man eine Umfrage machen würde, wer schöner ist - eine 20-jährige Frau oder ein 7-jähriges Mädchen - wäre wohl die einhellige Meinung, dass eine 20-jährige von grösserer Schönheit ist als eine 7-jährige. Abgesehen davon, erscheint es seltsam, dass die Thora dermassen betonen muss, dass Sarah eine schöne Frau war. Beinahe jedem von uns ist der Vers [31:30] aus Mischlej (Sprüche) bekannt, den wir jeden Freitagabend rezitieren: "Anmut ist falsch und Schönheit sinnlos - eine g-ttesfürchtige Frau, [nur] sie ist zu loben."
Natürlich verstehen wir, dass für eine Person, die es sich zur Lebensaufgabe gemacht hatte, möglichst viele Frauen zum Glauben an G-tt heranzuführen, es wichtig war, auch attraktiv zu sein - was sie durchaus auch war. Doch dass die Thora ihre physische Schönheit derart hervorheben muss, erscheint dennoch seltsam. Wenn ich dazu aufgerufen wäre, einen Nachruf auf eine grosse Frau dieser Gemeinde zu verfassen, und ich sagen würde: "Diese Frau war fromm, gerecht, demütig - und sie war wunderschön!", dann könnte ich mir sicher sein, dass dies der letzte Nachruf war, um den man mich jemals gebeten hat!
Es gibt einen Kommentar im Sohar (Hauptwerk der Kabbalah) zum aktuellen Wochenabschnitt, in dem es heisst: "Glücklich ist der Mensch, der in Demut durch diese Welt geht. So ein Mensch wird (auch) in der kommenden Welt glücklich sein." - Auf diese Weise pflegte Rebbi (der Verfasser der Mischnah) den Unterricht in seiner Jeschiwa (Talmudschule) zu beginnen: "Wer in seinen eigenen Augen klein ist, der ist in Wirklichkeit gross. Wer hingegen in seinen eigenen Augen gross ist, der ist in Wirklichkeit klein." Der Sohar zitiert zum Beweis für dieses Prinzip den zuvor erwähnten Vers, der unseren Wochenabschnitt einläutet. Wenn der Vers die Zahl "100" erwähnt, die in diesem Zusammenhang gross ist, verwendet er die Bezeichnung "Jahr" (hebr. Schana) - im Singular. Wenn er die Zahl "7" erwähnt, die klein ist, verwendet er die Bezeichnung "Jahre" (hebr. Schanim) - im Plural.
Der "Jeschuat Malka" erklärt, dass genau dies die Eigenschaft von Sarah ist. Wenn Chasal (unsere Weisen) sagen, dass Sarah die Schönheit einer 7-jährigen hatte, als sie 20 Jahre alt war, wussten sie zwar durchaus, dass 20-jährige Frauen schöner sind als 7-jährige Mädchen - doch sie meinten Sarahs innere Einstellung gegenüber ihrer eigenen Schönheit. Normalerweise, wenn eine 20-jährige schön ist, dann weiss sie das, dann ist sie stolz darauf, und sie mag sogar damit kokettieren (es zur Schau stellen). Doch Sarah war so bescheiden, dass als sie 20 war, ihre Wahrnehmung von ihrer eigenen Schönheit derjenigen einer 7-jährigen entsprach. Aufgrund ihrer kindlichen Unschuld, ist es einer 7-jährigen vollkommen unbewusst, wie süss oder auch schön sie ist.
Chasal loben die Schönheit nicht um der Schönheit willen. Sie loben die Tatsache, dass Sarah es nicht zuliess, dass ihr die Schönheit zu Kopf steigen würde. Als sie 20 und wahrhaft schön war, entsprach ihre Schönheit derjenigen einer 7-jährigen - was zu bedeuten hat, dass sie ihrer anmutigen Erscheinung gegenüber völlig blind war - als Resultat ihrer Bescheidenheit. Sarah war die Verkörperung jener Idee aus dem Sohar, dass egal wie gross man ist - je kleiner man sich selbst betrachtet, desto ehrwürdiger man ist.
Im Talmud heisst es oft: "Dies ist es, was Menschen meinen, wenn sie sagen…" (hajnu de'amre Insche) - als Ausdruck dafür, dass geflügelte Worte, die Menschen im Volksmund verwenden, eine gewisse Wahrheit beinhalten. Hajnu de'amre Insche: Demut veranlasst einen Menschen, sich kleiner zu fühlen, je grösser er wird.
Wir alle haben unsere Lieblingsgeschichten über Gedolim (grosse, geistige Persönlichkeiten des Judentums), die von der tiefen Demut dieser Persönlichkeiten handeln. Ich selbst war immer von der aussergewöhnlichen Demut unseres Meisters, Rabbi Mosche Feinstein s.A., überwältigt. Einmal ging er in der New Yorker "Lower East Side" eine Strasse entlang und stieg in ein Auto ein. Jemand anders, der gerade auf derselben Strasse unterwegs war, bemerkte einen Freund am anderen Ende der Strasse und schrie zu ihm hinüber: "Hey Mosche!" - Raw Mosche Feinstein drehte sich um und fragte: "Was kann ich für dich tun?"
Wie viele Menschen in der Lower East Side pflegten Raw Mosche Feinstein mit "Hey Mosche" anzusprechen? Wie konnte er auf den Gedanken kommen, dass diese Person tatsächlich ihn gemeint hatte? Die Antwort ist: Weil er extrem bescheiden war. Er war ein Mensch, der unfassbar gross war und sich trotzdem als klein empfand.
Dies ist die Grösse unserer Gedolim. Dies ist die Lektion unserer Matriarchin Sarah. Sie war so schön wie 20, doch sie nahm ihre Schönheit so unschuldig wahr wie eine 7-jährige.
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