Das Trauma, mit einem untröstlichen Menschen umzugehen (Rav Frand, Chaje Sara 5784 - Beitrag 2)
Raw Frand zu Paraschat Chaje Sara 5784 - Beitrag 2
Das Trauma, mit einem untröstlichen Menschen umzugehen
Nach dem Tod seiner geliebten Frau Sarah, wandte sich Awraham Awinu (unser Vater) zu den Söhnen Chet’s und bat sie um einen Grabplatz für seine Frau. Dies ist bekanntlich der Auftakt zur Geschichte des Kaufs der Me’arat HaMachpelah (Höhle zu Machpela, Doppelhöhle) wo vier biblische Ehepaare begraben sind, Adam und Chawa; Awraham und Sarah; Jizchak und Riwka; Ja’akow und Leah. Dies ist einer der Gründe warum Chewron (Hebron) auch „Kirjat Arba - die Stadt der Vier" genannt wird, wie Raschi zur Stelle erklärt [Bereschit 23:2].
Der Passuk (Vers) benutzt einen uns sonderbar scheinenden Ausdruck: „Wajakam Awraham (und Awraham stand auf) me’al penej Meto (vor dem Angesicht seines Toten)" [Bereschit 23:3].
Die Kommentatoren erforschen die spezielle Nuance des Ausdrucks "er stand auf." Was wird uns damit angedeutet?
Der Ba’al HaTurim sagt, dies lehrt uns, dass wir nicht in der Gegenwart eines toten Menschen reden dürfen [siehe Talmud Traktat Berachot 3b]. Awraham musste aufstehen und auf die Seite treten, bevor er seine Geschäfte mit den Söhnen Chet’s besprechen konnte.
Der Seforno erklärt, dass "er stand auf" uns lehrt, dass die Gesetze der Trauer bei Awraham noch nicht in Kraft traten. Vor dem Begräbnis müssen die Trauernden noch nicht an ihrem Platz sitzen bleiben, deshalb konnte Awraham hinausgehen, um mit den Söhnen Chet’s zu sprechen.
Raw Jerucham Leibowitz schlägt die folgende Erklärung vor: Der Passuk vermittelt uns, dass Awraham Awinu aufstand und sich von seiner persönlichen Trauer distanzierte, bevor er begann mit anderen Leuten zu kommunizieren. Oft ist es für trauernde Menschen sehr schwierig, ihre Emotionen unter Kontrolle zu halten. Wenn Menschen schreckliche Zeiten von Trauer durchmachen, dann ist ihr Kummer nur zu oft klar ersichtlich. Wenn sie dann mit anderen Leuten kommunizieren, werden diese Menschen ihrem Kummer ausgesetzt.
Der Passuk lehrt uns, dass Awraham sich und seine Emotionen absolut beherrschte. Er war im Stande, seine Tränen wegzuwischen und andere nicht mit seiner Trauer zu belasten. "Meine Trauer ist eine grosse Trauer, doch da ich jetzt mit anderen Menschen kommunizieren muss, sollen diese nicht meinem emotionellen Kummer ausgesetzt sein." "Er stand auf" – bedeutet, er verinnerlichte seine persönlichen Emotionen und verhandelte mit den Söhnen Chet’s, als ob nichts geschehen wäre.
Sogar in dem traurigsten Moment seines Lebens, als er seine Frau verloren hatte, schaffte es Awraham Awinu seine Fassung zu behalten und Respekt für seine Mitmenschen zu zeigen. Dadurch ersparte er ihnen das Trauma mit einem untröstlichen Menschen umzugehen.
Quellen und Persönlichkeiten:
Raschi, Akronym für Rabbi Schlomo ben Jizchak (1040-1105); Troyes (Frankreich) und Worms (Deutschland); „Vater aller TENACH- und Talmudkommentare“.
Rabbi Ja‘akov ben Ascher (1269 – 1343): Köln (Deutschland), Toledo (Spanien). Er war eine halachische Autorität des Mittelalters. Er verfasste berühmte Werke wie die "Arba’a Turim" ("vier Reihen", da sein Werk vier Gesetzesabteilungen umfasst), oft nur mit dem Kürzel "Tur" genannt, eine der ersten kompletten jüdischen Gesetzessammlungen, die Basis unseres Schulchan Aruch’s (Gesetzbuch) von Rabbi Josef Karo. Seine Tora-Erklärung wird deshalb "Ba’al HaTurim" (Meister der Turim) genannt.
Seforno: Rav Ovadia ben Ja’akov Seforno (1470 – 1550); Rom und Bologna, Italien; klassischer Chumascherklärer.
Rabbi Jerucham Halevi Leibowitz (Levovitz) (1874 - 1936): Einflussreicher Denker, Maschgiach (Leiter und geistiger Ratgeber) der Jeschiwa in Mir, Litauen. Verfasser vieler Werke, u.a. Da’at Chochma uMussar und Da’at Tora zum Chumasch.
Die Bearbeitung dieses Beitrages erfolgte durch Mitarbeiter des Jüfo-Zentrums in Zürich
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