Raw Frand zu Parschat Wajeze 5765
Ejsav machte es sich leicht. Ja’akov wählte einen anderen Weg
Der erste Erklärung von Raschi zu dieser Parscha besagt, dass der Pasuk (Vers), der mit „Und Ja’akov zog fort“ beginnt, ein bisschen fehl am Platz erscheint. Am Ende von Parschat Toldot sagte der Pasuk bereits: „So schickte Jizchak Ja’akov fort und er begab sich nach Padan Aram zu Lavan, dem Sohn von Betuël, dem Arami …“ [28:5]
Parschat Vajeze braucht nicht mit Ja’akovs Reiseplänen zu beginnen, weil wir ja bereits wissen, wo er hinreiste. Die Parscha hätte eher mit diesem Pasuk beginnen sollen: „Er traf auf den Ort und verbrachte die Nacht dort, weil die Sonne untergegangen war …“ [28:11] Was wissen wir mehr, wenn etwas wiederholt wird, das wir bereits wissen?
Raschi erklärt, dass der Pasuk die Erzählung sozusagen zum Ursprung zurückführen muss, weil am Ende von Parschat Toldot abgeschweift wurde. Ejsav sah, dass Jizchak Ja’akov von daheim wegschickte, um eine Frau zu finden, weil er an den kana’anitischen Schwiegertöchtern, die Ejsav heimgeführt hatte, keine Freude hatte. Deshalb ging Ejsav hin und heiratete seine Kusine Machlat, die Tochter Jischmaels [28:9]. Diese Nebengeschichte schweift vom Haupt - Erzähl-strang, der Reise Ja’akovs, ab. Deshalb war es nötig, das Wichtigste dieser Reise noch einmal zu wiederholen, bevor mit der Erzählung fortgefahren wird.
Wir müssen jedoch anhalten und uns fragen: Wieso erfolgte dieser Unterbruch? Diese Geschichte stammt nicht von einem Erzähler, der von einem vorgegebenen Text abschweift. Die Erzählung kommt vom Herrn der Welt. Es muss einen wichtigen Grund geben, um gerade an dieser Stelle den Bericht zu Ejsavs Hochzeit mit Machalat einzufügen.
Rav Josef Salant gibt in seinem Sefer (Buch) Be’er Josef folgende interessante Erklärung: Unser Vorvater Ja’akov versinnbildlicht das Exil (Galut). Schon an vielen Stellen haben wir erwähnt: „Was unseren Vorvätern geschah, ist ein Vorgeschmack für das, was den Nachkommen widerfahren wird.“ Die Kinder werden in schlimmen Zeiten die Fähigkeit zum Durchhalten besitzen, weil bereits die Vorfahren – in gewissem Masse - die gleichen Beschwernisse und Herausforderungen erfolgreich überstanden haben.
Für uns Juden im Exil ist Ja’akov Avinu (unser Vater) das wichtigste Vorbild – mehr als die anderen Vorväter. Er lebte das Leben eines Juden im Exil – ausserhalb des Landes Israel. Er hatte unaufhörlich Schwierigkeiten zu meistern, ihm und seiner Familie stiess eine Missgeschick nach dem andern zu. Ja’akovs Abreise aus dem Land Israel beginnt in dieser Parscha, bei seinem Aufbruch aus Be’er Scheva. Weil diese Parscha den Beginn des Exils und den Beginn von Ja’akovs Beschwernissen darstellt, unterstreicht der Pasuk: Hier ist es, als alles begann.
Ejsav und Ja’akov waren Brüder. Sie genossen eine ähnliche Erziehung. Sie hatten beide anständige Eltern. Ejsav suchte eine Lebensgefährtin. Was tat er? Er ging zu seinem Onkel Jischmael, er heiratete Jischmaels Tochter Machalat. Das ging hopp, hopp. Er hatte es leicht.
Ja’akov Avinu wollte eine Lebensgefährtin finden. Er reiste weit weg zu seinem Onkel Lavan. Lavan zwang Ja’akov sieben Jahre für die Frau, die er heiraten wollte, zu arbeiten. Nach sieben Jahren vertauschte Lavan die Schwestern und zwang Ja’akov zu weiteren sieben Jahren Arbeit. Ja’akov hatte es schwer mit Schiduchim (Partnerwahl). Er benötigte viele Jahre, um die Frau zu heiraten, die er sich wünschte.
Das war der Beginn von Ja’akovs Aufenthalt im Exil. Der Pasuk unterbricht hier die Erzählung, um aufzuzeigen, wie leicht es für Ejsav war, seinen Wunschpartner zu heiraten, wenn wir dies mit den Schwierigkeiten vergleichen, die Ja’akov hatte, die Frau zu heiraten, die er sich wünschte. Trotz allen Beschwernissen trug Ja’akov sein Los ohne Murren. Er beklagte sich nie darüber, dass sein Los viel beschwerlicher war, als das seines Zwillingsbruders. Er zweifelte nie an G’ttes Richtspruch. Er nahm ihn vielmehr in Liebe auf sich.
Rav Matitjahu Solomon fügt den Worten des Be’er Josef folgenden Gedanken hinzu: Wie sehen wir, dass Ja’akov sein Los ohne Widerrede trug und ohne Murren das entgegennahm, was G’tt ihm zugedacht hatte? Rav Solomon sagt, dass wir dies aus dem ersten Satz unserer Parscha herauslesen können: „Und Ja’akov zog aus Be’er Scheva fort und begab sich nach Charan.“
Die Haftara (Prophetenabschnitt) dieser Woche beschreibt, was Ja’akov wirklich zustiess noch etwas unverblümter: „Und Ja’akov floh („va’jivrach Ja’akov“) in die Felder von Aram …“ [Hoschea 12:13] Eigentlich war es nicht „vajeze Ja’akov“ in der Bedeutung, dass Ja’akov beschaulich aus Be’er Schewa abreiste. Nein! Es heisst: „va’jivrach Ja’akov“. Ja’akov rannte um sein Leben. Sogar in der Torah selbst sagt Rivka, als sie Ja’akov auffordert wegzugehen, nicht: „Geh’ und geniesse die Reise.“ Sie sagt: „Steh’ auf und renne um dein Leben!“ („Kum, berach lecha“) [Bereschit 27:43] Dies beschreibt die damalige Situation.
Aber wie erlebte Ja’akov diese Begebenheit? „Und Ja’akov zog aus Be’er Scheva fort und er begab sich („vajelech“) nach Charan.“ Er ging in seinem eigenen Tempo, in vollem Bewusstsein, dass G’tt über ihn wachen würde. Das ist der Schlüssel zu Ja’akovs Leben im Exil. Es macht den Anschein, dass er um sein Leben rennen musste und dies entspricht auch der Realität. Er tat dies aber ruhig und gleichmütig, weil er die Gewissheit hatte, dass G’tt ihn beschützen werde. Diese Gewissheit ist uns auch in den langen Jahren des Exil beigestanden.
Quellen und Persönlichkeiten:
Raschi (1040 - 1105) [Rabbi Schlomo ben Jizchak]: Troyes (Frankreich) und Worms (Deutschland); "Vater aller Torahkommentare".
Rav Josef Zundel Salant (1786 – 1865): Torahgelehrter; Salant, Litauen; Jerusalem.
Rav Matisjahu Solomon: Zeitgenössischer Rabbiner und Redner, Maschgiach (Leiter und geistiger Ratgeber) in Lakewood, N.J., USA.
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