Raw Frand zu Parschat Wajeze 5766
Haschem muss bei uns die Rolle der ersten Liebe und nicht die zweite Geige spielen
In der dieswöchigen Parscha steht, dass Ja’akov „Rachel mehr als Lea liebte“. [Berejschit 29:30] Daraufhin sagt der Pasuk (Vers): „Hachem sah, dass Lea verhasst („s’nua“) war und deshalb öffnete Er ihren Mutterschoss.“ [29:31]
Der Or HaChajim sagt, dass nur Haschem erkannte, dass sich Lea von ihrem Ehemann gehasst fühlte. G’tt behüte, dass Ja’akov Lea und Rachel unterschiedlich behandelte. Es handelte sich tief in Ja’akovs Herzen um etwas so Subtiles, dass nur G’tt die etwas schlechtere Beziehung zu Lea wahrnehmen konnte.
Niemals würden wir den Verdacht hegen, dass Ja’akov sich schuldig machte, eine seiner Frauen schlecht zu behandeln oder zu „hassen“. Unsere Weisen legen uns nahe, unsere Frauen zu lieben wie uns selbst und ihnen mehr Ehre zu erweisen als uns selbst. [Jevamot 62b]
Zu diesem Sachverhalt sah ich eine Erklärung von Rav Schimon Schwab: Die Beziehung zwischen einem Mann und seiner Frau verhält sich so, dass seine Frau automatisch eine „S’nua“ [„verhasste“ Frau] wird, wenn er irgendeine Frau auf der Welt mehr als sie liebt. Da der Pasuk nun erwähnt, dass Ja’akov Avinu mit Rachel gefühlsmässig tiefer verbunden war als mit Lea, macht dies Lea zur S’nua. Der Or HaChajim erklärt, dass es sich um eine rein emotionelle Angelegenheit handelte und sich nicht konkret auswirkte. Somit konnte auch nur der Herr der Welt dies erkennen.
Rav Schwab führt weiter aus, dass dieses Prinzip im übertragenen Sinn auch auf die Eheverbindung zwischen dem Allmächtigen und dem jüdischen Volk angewendet werden kann. G’tt spricht von Seiner Liebe zum jüdischen Volk mithilfe des bildhaften Vergleichs zu einer Verlobung: „Und Ich werde Mich auf ewig mit dir verloben.“ [Hoschea 2:21]
Falls es im Leben eines Juden etwas Wichtigeres als den Herrn der Welt gibt, dann wird der Ribono schel Olam (Herr der Welt) zur S’nua hinuntergestuft, so wie bei einer Ehe die grössere Liebe zur zweiten Frau die erste Frau „verhasst“ macht.
Wir stellen uns die Frage: „Gibt es denn in unserem Leben wirklich Dinge, die wichtiger sind als der Ribono schel Olam?“ Leider ist die Antwort nur allzu oft: „Ja“. Sind unsere Karrieren wichtiger als der Dienst für G’tt? Wir müssen uns die Frage stellen, was uns in Bewegung hält. Wofür stehen wir am Morgen auf? Was treibt uns an? Was hält uns in Schwung? Was macht uns Freude? Wofür leben wir? Wenn unsere Antwort auf diese Fragen lautet, dass es Dinge gibt, die uns mehr bedeuten als das Erfüllen unserer Pflichten als Juden, dann haben wir Haschem in die Rolle der Ehefrau gedrängt, welche „s’nua“ ist.
Kürzlich sprach ich in New York an einem Forum für jüdische Geschäftsleute. Wenn jemand oben auf der Karriereleiter steht, kann man ihm nicht sagen, dass er an seiner Arbeit keinen Gefallen haben solle. Man kann einem Arzt nicht sagen: „Du sollst an deiner medizinischen Betätigung keinen Spass haben.“ Man kann einem Anwalt, der ein tiefes Gefühl der Genugtuung bei der Abwicklung eines Falles empfindet und seinem Kunden viel Geld spart, nicht kundtun: „Nein, du darfst an deiner Arbeit keine Freude haben!“
Ich wollte diesen Geschäftsleuten jedoch klarmachen, dass Zufriedenheit und sogar Spass an der Arbeit zwar achtbar sind, die eigene Avodat Haschem (Dienst für G’tt) jedoch mindestens gleich viel Zufriedenheit und Spass bereiten muss. Es reicht nicht, wenn jemand den Daf HaJomi ( ein Blatt Talmud pro Tag) „durchlernt“ und sagt: „Gut, ich habe diese Stunde hinter mich gebracht – jetzt kommt der angenehmere Teil: Auf zur Arbeit!“ Wenn wir dies tun, so machen wir den Ribono schel Olam zur S’nua. Wenn Er nur die „zweite Geige“ in unserem Leben spielt und nicht unsere „erste Liebe“ ist, dann bekommt Er nur die Rolle der „verhassten Ehefrau“.
Quellen und Persönlichkeiten:
Or HaChajim (1696 - 1743): Name des Hauptwerks von Rabbi Chajim ben Mosche ben Atar, Torahkommentator; Marokko, Italien, Israel.
Rav Schimon Schwab (1908 - 1995): Rabbiner der Gemeinde Adat Jeschurun in Washington Heights, New York./p>
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