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Man soll dem Anderen herzlich zugeneigt sein (Rav Frand, Wajeze 5783 - Beitrag 1)

Rav Frand zu Paraschat Wajeze 5783 - Beitrag 1

Man soll dem Anderen herzlich zugeneigt sein

Als Ja’akow – zum ersten Mal in seinem Leben - nach Aram Naharajim kam, bot sich folgende Szene: „Und er blickte auf und siehe, ein Brunnen war auf dem Felde, und siehe, da waren drei Schafherden, die um ihn herum lagerten, denn von diesem Brunnen tränkte man die Herden; der Stein aber über der Mündung des Brunnens war gross. Und erst wenn alle Herden dorthin zusammengetrieben waren, wälzte man den Stein von der Mündung des Brunnens, tränkte die Schafe und legte den Stein wieder auf die Mündung des Brunnens an seine Stelle zurück.“ [Bereschit 29:2-3]

Zur Mittagszeit erschien Ja’akow auf der Bildfläche. Alle Hirten standen mit den Schafen herum. Ja’akow wollte wissen, warum alle hier herumstanden - mitten am Tag. Raschi erklärt folgendes zur Stelle: ‚Ja‘akow dachte sich, dass sie die Herden bereits nach Hause bringen und nicht mehr weiden wollten; deshalb sagte er ihnen, sieht der Tag ist noch lang und wenn ihr angestellt seid, so habt ihr das Tagewerk nicht vollendet. Tränkt die Schafe und geht mit ihnen wieder auf die Weide‘. Raschi will sagen, dass Ja’akow ihnen klar machte, dass sie ihre Pflicht, für welche sie angestellt waren, nicht richtig erfüllten. Sie sollten die Schafe weiden gehen - nicht beim Brunnen herumsitzen.

Stellen Sie sich diese Szene vor! Jetzt stellen sie sich folgendes vor ...

Jemand von uns geht an einer Baustelle vorbei. Es ist ein Uhr nachmittags. Ein paar Maurer, die Ziegelsteine legen sollten, stehen herum und schwatzen miteinander; sie verschwenden ihre Zeit. Wir nähern uns ihnen und sagen: „Leute, das ist nicht richtig. Es ist mitten am Nachmittag. Ihr sollt nicht herumhängen, sondern Ziegelsteine aufschichten!“ Versuchen sie das einmal! Jeder, der einmal wissen wollte, wie Mörtel zwischen den Zähnen schmeckt, sollte das ausprobieren – er würde es zu spüren bekommen, schneller als ihm lieb ist.

Ja’akow jedoch, beginnt sofort den Hirten die richtige Arbeitsmoral nahezulegen, obwohl er neu ist. Interessant ist, dass sie dies von ihm akzeptierten. Sie fingen an, die speziellen Umstände zu schildern... Wie brachte Ja’akow das fertig?

Ein Wort im Passuk (Vers) deutet darauf hin, warum Ja’akow dies tun konnte. „Und Ja’akow sagte zu ihnen: ‚ACHAJ, (MEINE BRÜDER) woher seid ihr?‘“ [29:4]. Mit diesen wenigen Worten war Ja’akow imstande, die Liebe, welche er für jeden Menschen hegte, auszudrücken. Wenn jemand dieses Gefühl vermitteln kann, hat er die Gabe, Mussar (Tadel, Zurechtweisung) auszusprechen, der von den Menschen akzeptiert wird.

Menschen werden keine Zurechtweisung annehmen, wenn sie empfinden: „Was geht es ihn an, was ich tue oder nicht?“ Falls jemand imstande ist, Freundschaft und ein ehrliches Mitgefühl ausdrücken, kann er fast alles sagen und die Leute werden es akzeptieren. Bei Ja’akow spürten dies die Hirten. „Meine Brüder“ war bei ihm keine simple Anrede – er meinte genau, was er sagte. Das war seine besondere Fähigkeit – den Menschen klarzumachen, dass er ihr Wohl im Auge hatte.  Sobald die Hirten dies spürten, konnte er ihnen mitteilen, was er zu sagen hatte.

Ich hörte kürzlich eine Geschichte über den Ponivescher Rav (Rav Josef Kahaneman). Rav Kahaneman hatte mit einem bestimmten vermögenden Mann ein Treffen um 3 Uhr nachmittags vereinbart. Der Rav hatte um das Treffen gebeten und diese Person hatte versprochen, ihm 15 Minuten zu widmen, nämlich zwischen 3 Uhr und 3 Uhr 15. Der Ponivescher Rav wurde zum Büro des Geschäftsmannes gefahren. Um eine lange Geschichte kurz zu machen: Sie verirrten sich auf dem Weg und als sie endlich das Gebäude erreichten, 2 Minuten vor 3 Uhr, waren alle Parkplätze besetzt.  Klar: Wenn sie jetzt anfingen, mitten in der Stadt einen Parkplatz zu suchen, würde es leicht 3 Uhr 15 sein, wenn sie endlich das Gebäude betreten könnten.

Es gab nur einen einzigen freien Parkplatz auf dem ganzen Areal, aber dort stand „Reserviert für den Direktor“. Der Fahrer zögerte, aber der Ponivescher Rav wies ihn an: „Stelle den Wagen dorthin.“ Der Fahrer protestierte: „Aber das ist doch der Parkplatz dieses Mannes.“ Der Rav antwortete: „Vertraue mir und stelle den Wagen dort ab.“

Sie fuhren mit dem Lift hinauf und waren pünktlich um 3 Uhr am Ort. Der Ponivescher Rav befand sich mitten in der Unterredung mit dem Direktor des Unternehmens, als ein Angestellter plötzlich ins Büro platzte und rief: „Wissen Sie, dass diese Rabbiner auf ihrem Parkplatz parkiert haben?“ Der Angestellte war wütend über die Chuzpa (Frechheit) der Rabbiner.

Der Ponivescher Rav drehte sich zum Angestellten und meinte: „Reserviert? Nichts auf dieser Welt ist reserviert. Alles auf dieser Welt ist ein Geschenk. Was man hat, steht zur freien Benützung. G’tt gibt uns die Dinge für eine begrenzte Zeitspanne. Er kann es wieder zurücknehmen. Er kann es Ihren Kindern geben. Er muss es ihnen jedoch nicht geben. Nichts auf dieser Welt ist reserviert! Nicht sein Parkplatz, nicht sein Geld, nicht seine Gesundheit – alles ist ein Geschenk. Wir sind nur die Hüter des Geschenkes. Wenn wir ein Geschenk haben, müssen wir G’ttes Willen damit erfüllen. Nichts ist reserviert.“

Der reiche Mann sah den Ponivescher Rav an und lächelte. Dann füllte er einen Scheck aus. Der Ponivescher Rav ging zu ihm und küsste ihn, wie er es mit so vielen Juden tat. Seine Worte waren akzeptiert worden.

Ich frage mich, ob ich auch einmal so etwas wagen sollte? Wie wäre es, wenn auch ich einmal auf seinem Parkplatz meinen Wagen abstellen würde und ihm danach eine Mussar-Rede halten würde, dass nichts auf der Welt reserviert sei? Ich müsste wahrscheinlich die Parkgebühren bezahlen, anstatt einen Scheck entgegenzunehmen.

Wie brachte Rav Kahaneman es fertig? Für jeden, der Rav Kahaneman, seligen Andenkens, kannte, war dies keine Frage. Man spürte förmlich seine Wärme, seine Freundschaft und seine Fürsorge. Die Leute nahmen seine Zurechtweisung an, weil sie seine Ehrlichkeit erkannten. Sie merkten, dass er sich echt um sie sorgte. Wenn die Menschen die Anrede „Meine Brüder“ (Achaj) fühlen, dann werden sie Tadel annehmen. Das Problem mit unseren Besserungsvorschlägen ist, dass wir das „Achaj“ nicht im Herzen spüren. Wir fühlen die Nähe und die Fürsorge nicht. Könnten wir dies spüren lassen, dann könnten wir jedem alles sagen und er würde es akzeptieren.

Quellen und Persönlichkeiten:

  • Raschi (1040-1105), Akronym für Rabbi Schlomo ben Jizchak; Troyes (Frankreich) und Worms (Deutschland); „Vater aller TENACH- und Talmudkommentare“.
  • Rav Josef Schlomo Kahaneman, Poniwescher Raw (1886 - 1969); Poniwesch, Litauen; Benej Berak, Israel. Einer der grössten Erbauer von Tora- uns Waisen-Institutionen nach der Schoa.

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Die Bearbeitung dieses Beitrages erfolgte durch Mitarbeiter  des Jüfo-Zentrums in Zürich

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