Warum plötzlich jetzt – Sackleinen und Fasten? (Rav Frand, Wajeschew 5783)
Rav Frand zu Paraschat Wajeschew 5783
Warum plötzlich jetzt – Sackleinen und Fasten?
Die Tora lehrt uns, dass Re’uwen zur Grube zurückkehrte (um Josef zu retten), jedoch befand sich Josef nicht mehr in der Grube. Re’uwen zerriss seine Kleider (als Zeichen der Trauer) [Bereschit 37:29]. Re’uwen hatte einen Plan gehabt. Er überredete seine Brüder, Josef, statt ihn zu töten, ihn in eine Grube zu werfen (wo er vermutlich von allein sterben würde). Re'uwens Plan war es jedoch, später, wenn seine Brüder sich nicht mehr in der Gegend befinden würden, zurückzukommen, Josef zu retten und ihn sicher zu seinem Vater zurückzubringen.
Raschi erklärt, wie es geschah, dass Re’uwen plötzlich nicht in der Nähe war, als die Brüder Josef aus der Grube herausholten und ihn an die Jischma’eliten-Händler verkauften. Raschi gibt uns zwei Interpretationen. Seine erste Erklärung ist, dass die Brüder sich abwechslungsweise um Ja’akows Bedürfnisse kümmerten und dass an diesem Tag Re’uwen an der Reihe war, dies zu tun.
Raschis zweite Erklärung ist, dass Re’uwen mit Sackleinen und Fasten beschäftigt war, weil er sich auf unangemessene Weise in die ehelichen Schlafangelegenheiten seines Vaters eingemischt hatte. (Nach Rachels Tod stellte Ja’akow sein Bett in Bilhas (Magd Rachels) Zelt hinein. Als Re’uwen dies sah, verschob er Ja’akows Bett aus dem Zelt von Bilhah ins Zelt seiner Mutter Leah). Deshalb war Re’uwen nicht zugegen, als die Brüder Josef verkauften, weil er mit Teschuwa (Reue, Rückkehr) für diese Sünde beschäftigt war. Diese zweite Interpretation von Raschi ist jedoch sehr schwierig zu verstehen. Der Vorfall von Rachels Tod und das Arrangement von Ja’akows Bett geschahen schon neun Jahre vor den Ereignissen von Paraschat Wajeschew! Wo war Re’uwen all diese Jahre, dass er jetzt plötzlich in Trauer versinkt und sich von seinen Brüdern trennt, um Teschuwa für eine Sünde zu tun, die er vor vielen Jahren begangen hatte? Und überhaupt jetzt, in einer solch kritischen Situation, wo es um das Überleben von Josef geht.
Ich habe eine Antwort auf diese Frage gehört. Jetzt hatte Re’uwen plötzlich eine Art Offenbarung. Re’uwen war der Meinung gewesen, dass es nicht richtig sei, dass die Magd von Rachel Vorrang über seine Mutter Leah haben sollte. Er konnte wohl die Tatsache akzeptieren, dass Rachel die bevorzugte der zwei Schwestern war. Er war jedoch sehr aufgebracht darüber, dass sogar Rachels Magd von Ja’akow vor Leah, die eine seiner Hauptfrauen war, bevorzugt wurde. Dieses Gefühl ist verständlich und seine Logik war vertretbar. Er trat für die Ehre seiner Mutter ein!
Re’uwen zog jedoch nicht in Betracht, wie Ja’akow sich wegen seiner Einmischung in die persönlichen Angelegenheiten seines Vaters fühlen würde. Jedoch jetzt realisierte Re’uwen plötzlich etwas Erstaunliches: Die Brüder meinten, dass sie Recht hätten. Sie glauben, dass Josef ein Rodef (Verfolger und Hetzer), ein schrecklicher Mensch, sei. Plötzlich realisierte Re’uwen jedoch, was für eine Auswirkung dies auf seinen Vater haben würde. Sie aber ignorierten die Reaktionen ihres Vaters. Re’uwen verstand jetzt sehr gut, wie Ja’akow reagieren würde, und aus diesem Grund wollte er Josef retten.
Re’uwens plötzliche Erkenntnis war, dass diese Handlungen seiner Brüder vielleicht logisch oder richtig sein könnten, dass sie jedoch damit ihren Vater umbringen würden! Jemand kann die erhabensten Berechnungen der Welt haben, aber wenn das logische Resultat solcher Berechnungen jemandem schadet, muss er diese Berechnungen beiseitelegen. Beim Nachdenken über die Handlungen seiner Brüder realisierte Re’uwen plötzlich, dass er vor vielen Jahren denselben Fehler begangen hatte. "Ich beschämte meinen Vater, weil ich ihm kundtat, was meiner Meinung nach, das Richtige sei. Ich hatte meine Gründe. Ich trat für die Ehre meiner Mutter ein. Richtig. Jetzt jedoch sehe ich, dass man die besten Berechnungen, Pläne, Strategien und Erklärungen haben kann, dass man jedoch unbedingt auch in Betracht ziehen muss, was für eine Auswirkung dies auf die Gefühle anderer Personen haben könnte."
Re’uwen prüfte sich selbst, nachdem er die Handlungen seiner Brüder bezüglich Josefs sah, und kam zum Schluss: "Ich habe mich des gleichen Unrechts schuldig gemacht!" Wo war also Re’uwen an jenem Tag? Er beschäftigte sich mit Sackleinen und Fasten, weil er sich in die Platzierung des Betts seines Vaters eingemischt hatte.
Allen einen „lichtigen“ Chanukka!
Quellen und Persönlichkeiten:
Raschi (1040-1105) [Rabbi Schlomo ben Jizchak]; Troyes (Frankreich) und Worms (Deutschland); „Vater aller TENACH- und Talmudkommentare“.
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Die Bearbeitung dieses Beitrages erfolgte durch Mitarbeiter des Jüfo-Zentrums in Zürich
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