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Dies ist keine Geschichte über Fromme und Bösewichte (Rav Frand, Wajeschew 5784 - Beitrag 1)

Rav Frand zu Paraschat Wajeschew 5784 – Beitrag 1

Ergänzungen: S. Weinmann

Dies ist keine Geschichte über Fromme und Bösewichte

Wir sollten nicht den Fehler begehen (den andere begangen haben), Josefs Brüder Eigenschaften von üblichen Geschwister-Rivalitäten aufzubürden, wenn die Tora über sie sagt, dass "sie auf ihn eifersüchtig waren" (Bereschit 37:11) oder dass "sie ihn hassten" (Bereschit 37:4). Wir müssen uns bewusst sein, dass wir über die "Schiwtej Ka" (die Stämme von G"tt), die Gründerväter und Säulen unseres Volkes sprechen. Wir sprechen hier nicht über kleinliche Eifersucht, sondern über fundamentale theologische Dispute, die innerhalb der Familie, zwischen Josef und seinen Brüdern, stattfanden.

Um es klar auszudrücken, möchte ich den folgenden Vorfall erzählen:

Die Jeschiwa in Woloschin, die von Rabbi Chajim von Woloschin (berühmter Talmid (Schüler) des Gaon von Wilna) gegründet wurde, war die Mutter aller litauischen Jeschiwot. Sie hatte eine berühmte Geschichte und aus ihr entstanden alle litauisch orientierten Jeschiwot, die uns so bekannt sind.

Im Anfangsstadium herrschte in Woloschin eine grosse Diskussion darüber, wer der nächste Rosch Jeschiwa werden sollte. Die zwei Kandidaten für die Stelle waren beides bedeutende Männer. Einer war Raw Naftali Zwi Jehuda Berlin (der ‘Neziw’), und der andere war Raw Josef Dov Halevi Soloweitschik (der Bejt Halevi), der Patriarch der Brisker Dynastie und der Familie Soloweitschik.

Sie befanden sich beide in der Jeschiwa. Sie hatten ausgeprägte Lernstile, und verschiedene Gruppen von Talmidim versammelten sich um jeden der Rabbanim, deren Derech Halimud (Lernstil) sie vorzogen. Der Neziw war ein 'Baki', der ein brillantes enzyklopädisches Wissen praktisch aller Quellen des Toralernens besass. Der Bejt Halevi war mehr ein 'Charif', bekannt für seine scharfe und durchdringenden Analysen.

Die Administration der Jeschiwa berief ein Bejt Din der grossen rabbinischen Führer jener Zeit ein, um die Frage zu entscheiden, wer der nächste Rosch Jeschiwa von Woloschin werden sollte. Eine der Persönlichkeiten, die an dieser Din Tora teilnahmen, war der berühmte Wilnaer Maggid. Er bat um Erlaubnis, seine Meinung auszudrücken, und begann seine Bemerkungen mit der folgenden Erklärung: "Heute finden wir uns in der Geschichte von Paraschat Wajeschew involviert." Diese Bemerkung zog sofort die Aufmerksamkeit von allen Anwesenden an, weil es am Ende des Monats Tischri und nicht in der Woche von Paraschat Wajeschew war. Jeder schaute den Wilnaer Maggid skeptisch an. Er fuhr fort:

"Ich bin ein Maggid. Mein Handwerk besteht darin, dass ich die wöchentliche Parascha verwende, um Lebenslektionen hervorzuheben. Auf konsequente Weise zeige ich immer den Unterschied zwischen Gut und Böse auf. Im Sefer Bereschit kann ich durch jede Parascha hindurchgehen und den "guten Menschen" und den "bösen Menschen" aufzeigen und gegeneinander als moralische Lektion für Gut und Böse, Richtig und Falsch, Gerechtigkeit und Ungerechtigkeit ausspielen.

In Paraschat Bereschit kann ich Adam und Chawa vs. die Schlange oder Kajin vs. Hewel verwenden. In Paraschat Noach ist es Noach vs. seiner Generation. In Lech Lecha ist es Awraham Awinu vs. Efron. In Toldos ist es Ejsaw vs. Ja’akow. In Wajeze ist es Ja’akow vs. Lawan. Jede dieser Paraschot hat Beispiele von Gut und Böse. In Paraschat Wajeschew jedoch bin ich festgefahren. Ich habe kein Material. Hier handelt es sich nicht um Gut vs. Böse. Hier sind beide Seiten – Josef und seine Brüder – gänzlich gerecht. Es ist in diesem Fall sehr schwierig, Partei für jemanden zu ergreifen.

Der Wilnaer Maggid schloss mit den Worten: "Liebe Anwesenden, heute finden wir uns in einer Situation, die mit Paraschat Wajeschew vergleichbar ist. Einerseits ist der ‘Neziw’ ein Genie und gänzlich gerechter Mensch, und andererseits ist der Bejt Halevi ein Genie und ein gänzlich gerechter Mensch. Dies ist genau wie in Paraschat Wajeschew, wo wir keine Partei ergreifen können, weil wir nicht über einen Zaddik vs. einem bösen Menschen sprechen."

Dies ist, wie wir Paraschat Wajeschew ansehen müssen.

(Das Urteil des Bejt Dins war letzten Endes zugunsten des Neziw, der deshalb als der ‘Neziw von Woloschin’ bekannt wurde.)

Wilnaer Gaon, Gaon von Wilna: Rabbi Eljahu ben Schlomo Salman von Wilna (1720 - 1797), Wilna; Torahgenie, war ein bereits zu seinen Lebzeiten hoch geschätzter vielseitiger jüdischer Gelehrter. Er gilt als Inbegriff des aschkenasischen Judentums litauischer Prägung. Er schrieb mehr als 70 Kommentare zu ToraTalmud, Kabbala und Halacha. Sie befassen sich mit einem breiten Spektrum religiöser und gesellschaftlicher Fragen und sind Standardwerke jüdischer Gelehrsamkeit.

Rabbi Chajim ben Jizchak von Woloschin (1749-1821): Berühmter Schüler des Wilnaer Gaon, Gründer der Jeschiwa von Woloschyn; Litauen (heute Weissrussland). Sein Hauptwerk ist die ethisch-kabbalistische Schrift ‘Nefesch Hachajim’. Weiteres Werk Ruach Chajim, Kommentar zu Pirkej Awot Die meisten seiner Werke wurden – noch als Manuskripte – 1815 durch einen Brand vernichtet.

Neziw: Akronym für Rav Naftali Zwi Jehuda Berlin (1817 – 1893); Rosch Jeschiwa der berühmten Woloschiner Jeschiwa fast 40 Jahre lang, bis sie von der russischen Regierung im Jahr 1892 geschlossen wurde. Verfasser einiger bekannter Werke wie: Ha‘amek Dawar, Ha‘amek Sche'ejla, Mejschiw Dawar, etc.

Rabbi Josef Dov Soloveitschik [Bejt Halevi] (1820 – 1892), Rosch Jeschiwa in Woloschin, Rabbiner von Sluzk und Brisk (Brest-Litowsk), Vater der Brisker Dynastie. Urenkel von Rabbi Chajim von Woloschin. Verfasser von div. Werken, wie Bejt Halevi (3 Teile, Responsen) und Kommentar zum Chumasch, etc.

 

Die Bearbeitung dieses Beitrages erfolgte durch Mitarbeiter des Jüfo-Zentrums in Zürich

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