Man kann sich auf den Gerrer Rebben verlassen (Rav Frand, Wajeschew 5784 - Beitrag 2)
Rav Frand zu Paraschat Wajeschew 5784 – Beitrag 2
Ergänzungen: S. Weinmann
Man kann sich auf den Gerrer Rebben verlassen
Rabbi Jehuda Leib Zirelson war der Raw von Kischinew (Rumänien, Moldawien). Er war ein bedeutender Mann, aber Kischinew war "abseits der bekannten Orte" in Bezug darauf, was in der Tora-Welt seiner Zeit geschah. In anderen Worten, Kischinew war weit entfernt von Zentraleuropa und den grossen Tora-Gemeinschaften jener Zeit – Polen, Deutschland, Ungarn, Litauen, etc. Raw Zirelson pflegte mit einem polnischen Raw namens Rabbi Mosche Nachum Jeruschalmski zu korrespondieren.
Eines Tages erhielt Raw Mosche Nachum einen Brief von Raw Jehuda Leib von Kischinew, in welchem dieser das folgende schrieb: "Ich habe vor kurzem einen Brief erhalten, dass eine Gruppe von Rabbanim beabsichtigen, eine neue Organisation namens "Agudat Jisrael" zu gründen und dass sie als Führer dieser Organisation jemanden einsetzen wollen, der als "Admor miGur" (Gerrer Rebbe – Imrej Emet) bekannt ist. Sie bitten mich, mich mit diesem Entscheid einverstanden zu erklären. Bitte schreiben Sie mir, wer dieser Rabbi, der als "Admor miGur" bekannt ist, ist, und ob ich einwilligen soll, dass er diese Führungsposition in der neuen Organisation erhalten soll?"
Das heisst nicht, "nicht dazuzugehören". Er war einfach nicht informiert. Er steckte in Kischinew fest und hatte seinen Finger einfach nicht auf dem Puls der Dinge, die in der grösseren jüdischen Gemeinschaft geschahen.
Der polnische Raw schrieb seinem Kollegen in Kischinew wie folgt: "Ja, der Admor von Gur ist jemand, auf den man sich verlassen kann. Er ist in der Tat ein grosser Zaddik und hat aber- tausende chassidische Anhänger. Ausserdem weiss ich, dass er ein Mensch ist, der "Sijata Dischmaja" (besonderen himmlischen Beistand) hat. Er ist der Führungsposition sicher würdig."
Raw Jeruschalmski schrieb ihm dann, worauf er sein Wissen aus erster Hand basiere, dass der Gerrer Rebbe "Sijata Dischmaja" besitze. "In meinem Dorf wohnt ein Jude namens Raw Scheinfeld, der der Onkel des Gerrer Rebben ist. Immer wieder einmal kommt der Gerrer Rebbe seinen Onkel besuchen und – wie es in Europa üblich war – besuchte er zur gleichen Zeit den offiziellen Raw der Stadt. Deshalb hatte ich jährliche Besuche des Gerrer Rebben. Bei einem Besuch besprach ich mit ihm die wöchentliche Parascha, und ich sagte ihm, dass ich eine Frage zu Paraschat Wajeschew habe.
Der Passuk sagt, dass "Josef ein Na'ar (ein Jüngling), mit den Söhnen von Bilha und den Söhnen von Silpa (befreundet) war (Bereschit 37:2). Der Midrasch Rabba (84:7) stellt die Verwendung des Ausdrucks "Na'ar" hier in Frage, welcher normalerweise auf ein junges, unreifes Kind hinweist, während Josef zu dieser Zeit schon 17 Jahre alt war. Der Midrasch schliesst aus dieser Beschreibung, dass Josef kindische Dinge tat. Raschi, zitiert den Midrasch, der erklärt, dass Josef seine Haare ordnete und die Augen pflegte, um attraktiv auszusehen.
Raw Jeruschalmski fragte den Gerrer Rebben, warum Awraham Awinu bei der Akejdat Jizchak (Bindung von Jizchak) sagte: "Ich und der Jüngling (Na'ar) werden dort hinaufgehen (Bereschit 22:5), wo das Wort Na'ar sich auf Jizchak bezieht, obwohl er damals bereits 37 Jahre alt war. Warum stellt der Midrasch dort den Ausdruck Na'ar für Jizchak nicht in Frage, der mehr als doppelt so alt war wie Josef, als er als Na'ar betitelt wurde?
Der Gerrer Rebbe wies die Frage ab. Er erklärte, dass Awraham Awinu in der Geschichte der Akejda Jizchak als Na'ar bezeichnete. Für einen Vater ist ein Kind immer ein Kind! Es ist überhaupt nicht verwunderlich, wenn man hört, wie ein Vater seinen Sohn, ungeachtet dessen Alters, als junges Kind beschreibt. In Paraschat Wajeschew jedoch ist es die Tora, die Josef einen Na'ar nennt, nicht sein Vater. Deshalb erfordert die Verwendung dieses Ausdrucks eine Erklärung durch den Midrasch.
Raw Jeruschalmski, der auf dem zweiten Stock seines Gebäudes wohnte, begleitete den Gerrer Rebben aus seiner Wohnung, als der Besuch vorbei war. Eine hundertjährige Witwe wohnte auf dem ersten Stock des Gebäudes. Die Witwe kam aus ihrer Wohnung, und als sie den Gerrer Rebbe sah, bat sie ihn um eine Beracha. Der Rebbe gab ihr eine Beracha. Diese Frau hatte einen Sohn, der 80 Jahre alt war. Sie bat den Rebben: "Bitte geben Sie meinem Kleinen auch eine Beracha." Hier wurde ein 80jähriger Mann von seiner Mutter als "mein Kleiner" bezeichnet.
Die Pointe, die Raw Jeruschalmski herausbringen wollte, war, dass buchstäblich innert Momenten, nachdem der Gerrer Rebbe eine Antwort auf eine Frage gab, seine Betrachtung durch eine aus dem Leben gegriffene Geschichte bestätigt wurde, sozusagen ein Beweis vom Himmel, dass das "Wort" (die Erklärung) wahr war!
Der heutige Tolner Rebbe (Jeruschalajim) stellt zu dieser Antwort des Gerrer Rebben eine grundsätzliche Frage: In der Akejda finden wir einen späteren Passuk, in dem der Engel vom Himmel zu Awraham ruft, dass er auch den Ausdruck ‘Na'ar’ verwendet: "Lege nicht deine Hand an den Na'ar (Bereschit 22:12). Hier sprach nicht ein Vater oder eine Mutter. Warum ignoriert der Midrasch also die Verwendung des Ausdrucks Na'ar durch die Tora bei der Akejdat Jizchak?
Der Tolner Rebbe antwortet, dass der Engel im Namen des Allmächtigen sprach, und dass für den Allmächtigen jeder Jude wie ein Kind ist! "Denn Israel war ein Na'ar (beim Auszug aus Ägypten) und Ich liebte ihn..." (Hoschea 11:1); "Ihr seid Kinder des Ewigen, eures G"ttes…" (Dewarim 14:1). Wenn wir Kinder von Haschem sind, ist es verständlich, dass wir immer als Na'ar (Jüngling) betrachtet werden.
Quellen und Persönlichkeiten:
- Midrasch Rabba (der grosse Midrasch): Grosse Sammlung von Erklärungen und Aggadot zum Chumasch der Tanna’im (Mischnagelehrten) und Amora’im (Talmudgelehrten).
- Raschi, Akronym für Rabbi Schlomo ben Jizchak (1040-1105); Troyes (Frankreich) und Worms (Deutschland); „Vater aller TENACH- und Talmudkommentare“.
- Rabbi Mosche Nachum ben Binjamin Jeruschalmski (1855-1916). Er war Rabbiner in Kaminka (Ukraine), Ostrolanka und Kielce (Polen). Er hatte eine wunderbare Begabung und ein enormes Gedächtnis, lernte viel selbstständig und erwarb grosse Kenntnisse in allen Bereichen der Thora-Literatur und korrespondierte mit berühmten Rabbinern. Er verfasste zahlreiche Werke zum Rambam und Schulchan Aruch, desweiteren Sche’elot uTeschuwot (Responsen) in vielen Bereichen der Halacha und befasste sich auch mit Themen, mit dem sich wenige befassten. Tausende Briefe und Anmerkungen zu den eigenen Werken warten noch auf ihre Publikation.
- Rabbi Jehuda Leib Zirelson (1859 – 1941). Geb. in Kozelets (Ukraine). Er war der Sohn des Rabbiners von Kozelets, Rabbi Moische Chajim. Er galt in jungen Jahren als Wunderkind und wurde im Alter von neunzehn Jahren Rabbiner von Priluki (Ukraine). 1908 wurde er zum Oberrabbiner von Kischinev (Rumänien, Moldawien) ernannt. Er war ein prominenter jüdischer Führer und Possek (Dezisor). 1911 war er einer der Unterzeichner eines Briefes von 300 prominenten russischen Rabbinern gegen die antisemitischen Beilis-Affäre. Im selben Jahr erhielt er den Titel des ehrenwerten Bürgers des russischen Reiches. Im Jahr 1912 gehörte er zu einer Kerngruppe jüdischer Führer und Rabbiner, die den Grundstein für die Agudat Jisrael-Weltbewegung legten. 1918 wurde Bessarabien Teil Rumäniens und Rabbi Zirelson wurde zum Oberrabbiner von ganz Bessarabien ernannt. Er entwickelte dort ein jüdisches Bildungssystem, das vom Kindergarten aus begann und mit Jeschiwa endete. 1922 wurde er als einziger bessarabische jüdische Vertreter ins rumänische Parlament gewählt. 1923 unterstützte er die Idee des Daf haJomi von Rabbi Meir Shapiro. Im Jahre 1941 – nachdem die Deutschen Kischinew besetzten - wurde er zusammen mit vierzig anderen jüdischen Führern von den Nazis ermordet.
- Imrej Emet: Rabbi Awraham Mordechaj Alter (1866 – 1948); der vierte Gerrer Rebbe; Polen und Jerusalem, Israel. Sein Werk ‚Imrej Emet‘ zum Chumasch. Er war einer der Gründer der allweltlichen Organisation der Agudat Jisrael und einer ihren bedeutenden Führer. Bekannt für seine scharfsinnige Fragen und Bemerkungen zum Talmud und Chumasch.
Die Bearbeitung dieses Beitrages erfolgte durch Mitarbeiter des Jüfo-Zentrums in Zürich
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