Gedanken zu Paraschat Mikez 5779
Josef – Ein Porträt: Vom Traumdeuter zum zweiten Mann im Staat
Übersetzt und bearbeitet von Herrn Gill Barnea, Düsseldorf
Eine der dramatischsten und zugleich detailliertesten Lebensgeschichten der Thora ist jene von Josef, dem elften Sohn von Ja’akow und Erstgeborenen von Rachel. Nach sieben Jahren der Unfruchtbarkeit, brachte Rachel (die meistgeliebte Frau von Ja’akow – er hatte vier an der Zahl) Josef zur Welt, der sofort zu Ja’akows Lieblingskind avancierte.
Innere und äussere Schönheit...
Josef wird als einziger der zwölf Söhne Ja’akows explizit als Zaddik (Frommer, Gerechter) bezeichnet: „Josef ha’Zaddik". Dieser Beiname wurde ihm zuteil, nachdem er den Verführungen von Potiphars Ehefrau widerstanden hatte. Neben seinen inneren Werten, war Josef aber auch äusserlich von vortrefflicher Schönheit – womit er seiner Mutter Rachel ähnelte. Diesbezüglich überbieten sich die Midraschim geradezu in ihren Beschreibungen!
Sein Gesicht habe die „Pracht einer Rose" gehabt [Sota 36b]. Er ähnelte in Schönheit seiner Urgrossmutter Sarah, die für ihre liebliche Ausstrahlung berüchtigt war [Midrasch Agada 49:33]. Er hatte auch die Anmut seines Vaters Ja’akow [Midrasch Raba 84:8]. Wer auch immer ihn sah, verliebte sich in ihn. Als Josef anlässlich seiner Krönung durch die Strassen Ägyptens fuhr, spähten ihn Prinzessinnen durch die Schlitze in den Wänden an, warfen ihm Halsketten, Armreifen, Ringe und Ohrringe zu, damit er zu ihnen hinaufsehen möge – doch er widerstand jeder Versuchung [Midrasch Raba 98:23].
Verwöhnt und verhasst...
Josef wurde von seinem Vater nicht nur verwöhnt und bevorzugt – durch eine besondere Kleidung, die er von seinem Vater geschenkt bekommen hatte – sondern reizte auch seine Brüder mit seinen Träumen. Eines Tages, als seine Brüder ihre Schafe weit aufs Feld führten, bot sich ihnen die Gelegenheit, an Josef Rache zu nehmen. Als Ja’akow ihn entsandte, um nach seinen verschollenen Brüdern zu suchen, entschlossen sie sich, ihren verhassten Bruder zu ermorden und ihn in eine Grube zu werfen! Letztlich verkauften sie ihn jedoch „nur“ an eine Gruppe vorbeiziehender Araber (Jischma’elim), die sich auf der Reise nach Ägypten befanden… Nachdem Josef nach Ägypten verschleppt worden war, verkauften ihn seine Besitzer weiter an Potiphar – einen Minister und Obersten der Scharfrichter des Königs Pharao!
Karriere, Absturz und Wiederaufstieg...
Josef erhielt eine Anstellung bei Potiphar und stieg als sein Verwaltungsbeamter erfolgreich auf. Doch kam es zu einem abrupten Karrierebruch, als er wegen Anschuldigungen bezüglich einer angeblichen Affäre mit Potiphars Ehefrau inhaftiert wurde! In Gefangenschaft, interpretierte er die Träume seiner Mitinsassen – dem
Mundschenk und obersten Bäcker des Königs. Als er auch Pharaos Träume (von Kühen und Weizenähren) zu dessen grosser Zufriedenheit auslegte, wurde er schliesslich begnadigt. Pharao liess ihn aus dem Gefängnis holen und ernannte ihn hochachtungsvoll zu seinem obersten Berater – zum Gouverneur bzw. Vize-König Ägyptens! Josef heiratete Osnat, die Tochter Potiphars – und sie bekamen zwei Söhne: Menasche und Ephraim. Er bereitete das Königreich während der sieben „fetten“ Jahre (der Ernte und Prosperität) auf die folgenden sieben Jahre der Dürre und Hungersnot vor.
Dramatisches Wiedersehen mit den Brüdern...
Als Ja’akows Söhne nach Ägypten einreisten, um Weizen zu kaufen, wurden sie von Josef erkannt – der jedoch seine Identität zunächst verschleierte. Er beschuldigte seine Halbbrüder der Spionage und bestand darauf, dass sie (zum Beweis, dass sie die Wahrheit gesprochen hatten) Binjamin zu ihm bringen sollten – seinen einzigen Bruder, der von derselben Mutter (Rachel) stammte. Josef hielt Schimon, einen seiner Halbbrüder, zwischenzeitlich als Unterpfand („Geisel“) gefangen. Den Kaufpreis für den Weizen bekamen die Brüder derweil auf mysteriöse Weise zurückerstattet.
Trotz der Sicherheitsbedenken Ja’akows um seinen (scheinbar) einzig verbliebenen Sohn von seiner Lieblingsfrau Rachel, reiste Binjamin nach Ägypten (nachdem sich Jehuda für ihn persönlich – und für alle Ewigkeit – verantwortlich erklärt hatte). Doch ausge-rechnet Binjamin wurde in Ägypten in den Diebstahl von Geld und einem magischen Silberbecher verwickelt, den Josef ihm in den Sack hatte legen lassen. Als sich die Brüder am nächsten Morgen auf die Heimreise begaben, wurden sie verfolgt, durchsucht und – nach der Entdeckung des Silberbechers – zurückbeordert! Das Drama und die Aufregung erreichten ihren Höhepunkt, als sich Josef gegenüber seinen Brüdern offenbarte!
Lebensende von Ja’akow und Josef...
Ja’akow reiste nach Ägypten und war im hohen Alter von 130 Jahren – nach 22 Jahren der schmerzhaften Trennung – endlich mit seinem Lieblingssohn Josef wiedervereint. Sein Vater und und seine Brüder liessen sich im Lande Goschen nieder. Ja’akow segnete seine Kinder, insbesondere Josef, und starb 17 Jahre nach seiner Ankunft in Ägypten. Seine Nachkommen überführten seine Gebeine nach Erez Jisrael – in die Höhle Machpelah. Josef kehrte nach Ägypten zurück, wo er noch die Geburt seiner Enkelkinder erlebte. Dann starb auch er – im Alter von 110 Jahren – und verfügte in seinem letzten Willen, dass ihn seine Brüder und Nachkommen in Erez Jisrael beerdigen sollten. Mosche erfüllte seinen Wunsch, indem er seinen Sarg beim Auszug aus Ägypten mitnahm. Die Kinder Israels führten ihn beim Einzug nach Erez Kena’an mit und begruben ihn in der Nähe von Schechem (im heutigen Westjordanland) – die Stadt, die ihm Ja’akow vor seinem Ableben geschenkt hatte [Midrasch Raba 97:9 und Raschi 48:22].
Überführung von Josefs Leichnam...
Diesem Begräbnis war aber zunächst die vierzigjährige Wüstenwanderung vorausgegangen. Während dieser Zeit, trugen die Kinder Israels zwei Kästen bei sich: Den Sarg von Josef und die Bundeslade (hebr. Aron ha’Brit). Vorbeiziehende Betrachter fragten sie dabei immer wieder: „Wofür sind diese beiden Kästen?“ – Die Israeliten antworteten: „Einer enthält einen Leichnam und der andere die Schechina (G-ttesgegenwart).“ Daraufhin fragten sie die Betrachter: „Ist es angemessen für eine Leiche, die Schechina zu begleiten?“ – worauf die Israeliten antworteten: „Der Mensch, der in dem einen Kasten liegt, hat alle Gebote des Bundes befolgt, die im andern Kasten enthalten sind!" [Sota 13a].
Josefs posthume Verdienste...
Über die legendäre Spaltung des Roten Meeres (bzw. Schilfsmeeres) heisst es in den Psalmen [Tehillim 114:3]: „Das Meer sah und flüchtete.“ Dementsprechend fragen unsere Weisen [Midrasch Tehilim 114:3; Midrasch Raba Bereschit 87:10; Mechilta Beschalach 3], was das Meer denn „gesehen" hatte. Ihre Antwort lautet: Den Sarg von Josef. Rabbi Schimon von Kitron sagte, das Meer habe sich aufgrund der Verdienste von Josefs Gebeinen gespalten – und Rabbi Judan bar Simon sagte [Midrasch Raba Bereschit 84:4], Josefs Verdienste seien so gross gewesen, dass sie den Strom des Jordan aufhielten, als das Volk Israel unter der Führung von Jehoschua den Jordan nach Erez Kena’an überquerte!
Der versteckte Sarg...
Und wie fand eigentlich Mosche vor dem Auszug aus Ägypten den Sarg von Josef wieder? Der Talmud [Sota 13a] und der Midrasch Raba [Dewarim 11:5] berichten, dass zum Zeitpunkt des Auszugs aus Ägypten, Serach bat Ascher die Einzige war, die aus der Generation von Josef noch am Leben war. Mosche mühte sich drei Tage und Nächte ab, den Sarg Josefs zu finden, bis ihn Serach antraf und ihn betreffend seiner aussergewöhnlichen Müdigkeit ansprach. Als Mosche ihr den Grund mitteilte, sagte sie ihm: „Komme mit mir und ich werde dir zeigen, wo der Sarg Josefs ist. Die Ägypter haben ihm einen Sarg aus Metall von 500 Zentnern hergestellt und ihn im Nil versunken, damit das Wasser gesegnet sein möge.“ Ferner erklärt der Midrasch, Serach habe Mosche berichtet, dass Pharaos Zauberer und Totenbeschwörer ihm gesagt hatten: ‚Wenn du bewirken möchtest, dass dieses Volk hier für alle Ewigkeit bleibt, dann verstecke die Gebeine von Josef. Sie werden ohne sie nicht ausziehen können, weil Josef sie hatte schwören lassen, dass sie bei ihrem Auszug seine Gebeine mitnehmen müssten!“
Mosche ging ans Flussufer des Nils und rief aus: „Josef! Josef! Die Zeit ist gekommen für den Heiligen, gelobt sei Er, Sein Versprechen zu erfüllen und Sein Volk Israel zu erlösen. Dies ist der Moment für das Volk Israel, deinen Eid umzusetzen und deine Gebeine von hier 'egzutragen. Ehre den Allmächtigen, den G-tt Israels! Die g-ttliche Allgegenwart (hebr. Schechinah) hält sich deinetwegen auf. Israel erwartet dich. Wenn du dich zeigst (indem deine Knochen hervorkommen), ist es gut – und wenn nicht, dann sind wir von deinem Gelübde befreit.“ Gleich darauf stiegen Luftblasen von Josefs Sarg auf – und der Sarg stieg aus den Tiefen des Wassers empor, sodass Mosche ihn bergen konnte.
Rabbi Natan jedoch sagt, dass Josef in der königlichen Gruft der Pharaonen begraben war. Mosche ging zu dieser Gruft und sprach dieselben Worte, die in der vorigen Version zitiert sind. Währenddessen begann sich der Sarg von Josef zu schütteln – wodurch Mosche ihn identifizieren konnte.
Letzter Ruheort...
Warum wurde Josef aber letztlich in Sch’chem begraben? Er sagte vor seinem Ableben zu seinen Brüdern: „Ich flehe euch an, meine Brüder! Ihr habt mich lebendig aus Sch’chem gestohlen [wo sie ihn verkauft hatten], also führt meine Gebeine dorthin zurück!“ Der Midrasch Raba [Bereschit 79:7] zitiert Rabbi Judan bar Simon mit den Worten: „Dies (der Begräbnisort von Josef in Sch’chem) ist einer von drei Orten (nebst der Höhle Machpelah und dem Tempelberg), bezüglich derer die Völker der Welt keine Anschuldigungen erheben können, das Volk Israel habe sie gestohlen, weil alle drei für den vollen Preis gekauft wurden.“ Bezüglich Sch‘chem heisst es in der Thora [Bereschit 33:19]: „Und er (Ja’akow) kaufte das Stück Feld…von den Söhnen Chamors, des Vaters von Sch’chem, für 100 Kessita.“
Heiligtum dreier Weltreligionen...
Vor der Grabstätte befindet sich ein prachtvoller Mosaik-Boden. Die Schomronim (Samaritaner) haben darauf mehrmals Häuser errichtet – und jedesmal wurden sie zerstört, doch der Boden ist intakt geblieben. Auch den Christen ist der Ort heilig – und archäologische Grabungen an der Stelle haben zu blutigen Konfronta-tionen zwischen Christen und Samaritanern geführt, die den Ort ebenfalls für sich beanspruchen und zwischenzeitlich übernommen haben. Dies wiederum hat zu scharfen (verbalen) Auseinandersetzungen und erheb-lichen Spannungen mit den Juden geführt. Rabbi Ja’akow ben Netanel ha’Cohen, ein Fernreisender des 12. Jahrhunderts, notierte in seinen Erinnerungen: „Eines Tages kam ein Reiter mit einigen Kreuzrittern zur Grabstätte von Josef und fragte, wer dort begraben sei. Man sagte ihm: Josef, Sohn von Ja’akow. Er hielt eine Axt in der Hand, schlug auf das Grab ein – und im selben Moment starb er! Der Abdruck ist noch heute sichtbar.“
Über die Jahre versammelte sich eine kleine Gemeinde jüdischer Siedler in Sch’chem – teils auch von ihrem Bestreben inspiriert, nahe der Grabstätte von Josef zu leben. Doch mit Beginn des 20. Jahrhunderts hat sich diese jüdische Siedlung aufgelöst. Ganz in der Nähe von Josefs Grab liegt das arabische Dorf Balata – und auch den Muslimen ist die Grabstätte heilig. Sie nennen sie (auf Arabisch) „das Grab von Josef, dem Gerechten“. Das Gebäude, das heutzutage oberhalb der Grabstätte liegt, stammt wahrscheinlich aus dem 19. Jahrhundert. Neben dem Grabstein von Josef stehen noch zwei kleinere Grabsteine, die nach der Überlieferung seinen Söhnen zuzuordnen sind: Ephraim und Menasche.
Quelle: Michelson, Milner, Salomon (2006).
Jewish holy sites and tombs in Eretz Israel.
Yessod Olam Publishers, Jerusalem.
__________________________________________________
Die Bearbeitung dieses Wochenblatts erfolgt durch
Herrn Gill Barnea, Düsseldorf – Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!
_______________________________________________________________________________________________________________
Copyright © 2018 by Verein Lema'an Achai / Jüfo-Zentrum. Zusätzliche Artikel und Online-Schiurim finden Sie auf: www.juefo.com
Weiterverteilung ist erlaubt, aber bitte verweisen Sie korrekt auf die Urheber und das Copyright von Autor und Verein Lema'an Achai / Jüfo-Zentrum.
Das Jüdische Informationszentrum („Jüfo“) in Zürich erreichen Sie per E-Mail: Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein! für Fragen zu diesen Artikeln und zu Ihrem Judentum.
What do you think?
Send us feedback!
- /parascha/21-mikez/1674-der-schwierige-weg-den-ein-ba-al-teschuwa-manchmal-durchstehen-muss-rav-frand-zu-paraschat-mikez-5781.html
- /parascha/21-mikez/1160-raw-frand-zu-parschat-mikez-5773.html