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Das Urteil des Himmels ist haargenau (Rav Frand, Wajigasch 5783)

Rav Frand zu Paraschat Wajigasch 5783

Das Urteil des Himmels ist haargenau

Josef ermahnte die Brüder, bevor sie nach Kena’an zurückkehrten: „Al tirgesu baDerech“. [Bereschit 45:24]. Einfache Erklärung: „Erzürnet euch nicht auf dem Weg (streitet nicht über die Schuld von meinem Verkauf)!“  Die zweite Auslegung dieser Worte bedeutet gemäss Raschi, dass Josef ihnen die Anweisung gab „keine grossen Schritte zu machen, dass der Weg sie nicht erzürnt.“. Was bedeutet denn „keine grossen Schritte zu machen“?

Im Namen des Kotzker Rebben, seligen Andenkens, wird gesagt, dass Josef eigentlich seinen Brüdern sagte, nicht zu hasten. Warum hätten sie denn die Geschwindigkeitsbegrenzung überschreiten sollen? Selbstverständlich, weil sie Ja’akow die Neuigkeit überbringen wollten, dass Josef immer noch am Leben sei. Sie konnten ihm nicht telefonieren oder eine E-Mail schicken. Deshalb wollten sie so schnell wie möglich zu Hause ankommen. Einen ähnlichen Gedanken erwähnt der Ba‘al HaTurim. Der Ba‘al HaTurim legt dar, dass Josef sie ermahnte, nicht über fremde Felder zu wandern, obwohl sie die Brüder des Herrschers sind und vor nichts Angst haben mussten. Sie sollten nicht in Versuchung geraten, Abkürzungen zu nehmen, um wegen ihrer Eile schneller nach Hause zu gelangen.

Warum bestand Josef darauf, dass sie nicht hetzen und keine Abkürzungen nehmen sollten? Der Kotzker Rebbe erklärte, dass es im Himmel beschlossene Sache war, dass unser Stammvater Ja’akow eine vorbestimmte genau Zeitspanne leiden musste und nicht wissen durfte, was mit seinem Sohn geschehen war. Wird im Himmel ein Urteil gefällt, so wird es auf die Sekunde genau ausgeführt - nichts ist ungefähr.

Ja’akow musste eine ganz bestimmte Zeit warten, bevor er erfahren durfte, dass sein Sohn noch lebte - keine Sekunde später oder früher. So lernen wir in Pirkej deRabbi Elieser: Wenn G’tt beschliesst, dass eine Person zu leiden hat, wird auch die genaue Leidenszeit - wann sie beginnt und wann sie endet - festgelegt. Alles Eilen, grosses Fortschreiten und über fremde Felder rennen wird nichts helfen. Die G’ttliche Vorsehung wird genau bestimmen, wann Ja’akow die guten Neuigkeiten erfahren darf und keine Minute früher.

Im gleichen Sinne wird in Pirkej deRabbi Elieser gelehrt, dass für jeden Menschen feststeht, wann und wo er sterben wird. Oft haben die Leute für ihre alten Eltern oder für einen kranken Menschen schwierige Entscheide zu treffen: Sollen sie hierhin oder dorthin gebracht werden oder soll man eine Behandlung einer anderen vorziehen? (Unsere Aufgabe in diesem Zeitpunkt ist aufrichtiges Hischtadlut, das Bemühen, richtig zu handeln).

Oft jedoch werden diese Leute später von Schuldgefühlen und Reue geplagt, wenn die Dinge sich nicht so entwickelt hatten, wie sie es sich wünschten: Hätten sie anders entschieden, dann wäre die Sache anders verlaufen. Diese Schuldgefühle und Reue sind nicht am Platz. Sie sind ein Mangel am Glauben G-ttes.  Jeder Mensch hat seine Zeit. Jeder Mensch hat seinen Platz. Leiden muss man für eine bestimmte Zeitspanne und dann ist es vorbei.

Das ist die Bedeutung der Anweisung, keine grossen Schritte zu unternehmen: Mischt euch nicht in die G’ttliche Vorsehung. G’tt möchte, dass die Dinge auf eine bestimmte Art und Weise geschehen und wir können hier nicht hineinpfuschen. Mit unserer beschränkten Sichtweise durchschauen wir den Plan oft nicht. Er ist es, der alle Fäden zieht.

Als die Zeit für Ja’kow gekommen war, die gute Nachricht - dass Josef am Leben sei und über das ganze Land Ägypten regierte - zu erfahren, war dies der genau vorbestimmte Zeitpunkt und keine Sekunde früher.

[Anmerkung des Herausgebers:

Vor rund 30 Jahren musste eine Familie aus Erez Jisrael wegen einer Behandlung eines Familienangehörigen in ein entlegenes Spital in den USA reisen. Das Spital war in einem Ort, indem keine Juden wohnten, geschweige denn religiöse Juden. Deshalb hatten sie sich eingerichtet, alles Nötige dorthin mitzunehmen. Eines Tages, als sie durch die Gänge des Spitals schritten, waren sie hoch überrascht. Ein jüdischer Arzt mit schwarzem Käppchen und langem Bart kam ihnen entgegen. Sie konnten ihr Staunen nicht unterdrücken und fragten ihn, wie er sich denn hierher verirrt habe? Da erzählte er ihnen seine Lebensgeschichte:

„Ich habe mein medizinisches Studium hier in den USA absolviert. Vom Judentum wusste ich praktisch nichts. So wie alle Medizinstudenten erhielt ich eine sehr liberale Medizinlehre. U.a. dass ein Arzt das Recht hat, über das Leben eines Schwerkranken zu entscheiden. Schlussendlich verursachen die Langzeitkranke dem Staat grosse Kosten. Wenn nach Ansicht des Arztes ein Schwerkranker keine Überlebenschancen hat, darf er die Apparate abstellen und den Tod des Patienten verursachen. Ich schloss meine Lehre ab und wurde Arzt in diesem Spital.

In diesem Spital hatte es einen jüdischen Schwerkranken, der schon längere Zeit hospitalisiert war und sehr viel litt. Er war an verschiedenen Apparaten angeschlossen, die ihn am Leben erhielten. Eines Tages beschloss ich, gem. der erlernten Praxis, die Apparate abzustellen. Der Patient starb und der Familie wurde das Ableben ihres Angehörigen mitgeteilt. Einige Nächte später erschien mir der Gestorbene im Traum und schrie auf mich: „Du grausamer Rascha (Bösewicht) was hast du mir angetan. Wer hat dir die Erlaubnis gegeben die Apparate abzustellen und mich umzubringen. Wenn ich noch zwei Tage gelitten hätte und dann gestorben wäre, wären mir alle Sünden vergeben worden und ich hätte nicht ins Gehinom (Hölle) gehen müssen.“ Der Schauder lief mir durch den Rücken und ich erwachte! Plötzlich wurde mir klar, dass es eine künftige Welt gibt, entgegen der Erziehung, die ich erhalten hatte, nur an das Fassbare zu glauben. Alles Leid hat einen Grund und eine genau bestimmte Zeit! Ich begann dem jüdischen Glauben nachzugehen und das Judentum zu studieren und wurde ein thoratreuer Jude. Deshalb sieht ihr mich hier in diesem Aussehen!“]

Quellen und Persönlichkeiten:

  • Pirkej deRabbi Elieser: Midrasch-Erklärungen von Rabbi Elieser ben Horkenus. Er war einer der grössten Tanna’im in der zweiten Generation, während und nach der Zerstörung des Zweiten Tempels. Er war einer der fünf vorzüglichsten Schüler des Rabban Jochanan ben Sakkai. Sein Lehrer nannte ihn aufgrund seines enormen Wissens „eine abgedichtete Grube, die keinen Tropfen verliert." Er war ein Genosse und Schwager des Fürsten Rabban Gamliel von Jawne.
  • Raschi (1040-1105), Akronym für Rabbi Schlomo ben Jizchak; Troyes (Frankreich) und Worms (Deutschland); „Vater aller TENACH- und Talmudkommentare“.
  • Rabbi Ja‘akov ben Ascher (1269 – 1343): Köln (Deutschland), Toledo (Spanien). Er war eine halachische Autorität des Mittelalters. Er verfasste berühmte Werke wie die "Arba’a Turim" ("vier Reihen", da sein Werk vier Gesetzesabteilungen umfasst), oft nur mit dem Kürzel "Tur" genannt, eine der ersten kompletten jüdischen Gesetzessammlungen, die Basis unseres Schulchan Aruch’s (Gesetzbuch) von Rabbi Josef Karo. Seine Tora-Erklärung wird deshalb "Ba’al HaTurim" (Meister der Turim) genannt.
  • Rabbi Menachem Mendel Morgenstern von Kotzk (1787-1859); Chassidischer Rebbe; Lublin, Tomaszów, Kotzk (Polen). Sein Schwerpunkt lag auf Emet, der Wahrheit. Um das Ziel der Wahrheit zu erreichen, war er bereit, alles andere zu opfern. Bekannt für seine scharfsinnigen Sprüche.

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Die Bearbeitung dieses Beitrages erfolgte durch Mitarbeiter des Jüfo-Zentrums in Zürich

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