Eine neuartige Interpretation eines zweideutigen Passuks (Rav Frand, Wa'era 5784)
Rav Frand zu Paraschat Wa’era 5784
Bearbeitet und ergänzt von S. Weinmann
Eine neuartige Interpretation eines zweideutigen Passuks
Bei der Plage von Arow (gemischte Tiere) sagt der Passuk "…siehe, wenn du mein Volk nicht ziehen lässt, so will Ich über dich, deine Diener, dein Volk und in deine Häuser wilde Tiere kommen lassen, und die Häuser Ägyptens, "wegam haAdama ascher hejm aleha - wie auch der Boden (das Land), auf dem sie sich befinden", werden voll von wilden Tieren sein (Schemot 8:17). Ägypten wurde von einer Armee von wilden Tieren überfallen. Was ist jedoch der Sinn von "wie auch der Boden, auf dem sie sich befinden"? Wer oder was befindet sich auf dem Boden? Er sagt ja bereits, dass das ganze Volk und alle Häuser ausnahmslos von wilden Tieren befallen werden sein?
Der Wilnaer Gaon gibt dazu eine unglaubliche Erklärung. In der Mischna in Kilajim (8:5) steht: "Adnej Hassade ist ein Tier (bezüglich der Übertragung von Tum’a/geistiger Unreinheit nach dem Tod – er ist kein Mensch!) Der Bartenura zur Mischna erklärt, dass es eine Art Tier gibt, (das heute offensichtlich nicht mehr existiert) das einem Menschen gleicht, bezüglich des Gesichtes, den Händen und Füssen, und Jadua oder Jid’oni, das in der Tora erwähnt wird (siehe Wajikra 19:31, und Raschi zur Stelle), heisst. Dieses menschenähnliche Tier hat eine lange Nabelschnur, die aus der Erde kommt und auf diese Art und Weise ist das Tier mit der Erde verbunden. Durch diese Nabelschnur ernährt sich das Tier und ist so aufgewachsen. Dieses Tier ist sehr gefährlich, wer sich seinem Umkreis, gemäss der Länge dieser Nabelschnur, nähert, wird vom ihm zerfleischt. Wenn man dieses Tier fangen möchte, schiesst man Pfeile auf die Nabelschnur, bis sie reisst. In diesem Moment schreit das Tier ein bitteres Wehgeschrei und stirbt.
Demnach erklärt der Gaon von Wilna folgendes: Die Tora erzählt uns, dass alle Arten von wilden Tieren, die zu jener Zeit auf der Welt existierten, Ägypten angriffen, darunter befand sich auch dieses einzigartige Tier. Wie würde jedoch dieses Tier kommen können, nachdem es irgendwo in weiter Ferne an die Erde angeheftet war? Deshalb erklärt der Passuk, dass dieses Tier kam – zusammen mit dem Boden, auf dem es lebte! Dies ist eine fantastische Interpretation.
Ich möchte jedoch eine weitere Erklärung erwähnen, die der einfachen Auslegung des Passuks ein wenig näherkommt. Diejenigen, die die hebräische Grammatik gut kennen, sollten diese Interpretation ungemein geniessen.
Das Sefer HaKetav wehaKabbala – wie auch der Malbim und Rabbiner Samson Rafael Hirsch – analysiert die Linguistik dieses Verses. Er frägt: Was ist die einfache Interpretation dieses Passuks? Er sagt, dass der Ausdruck "der Boden, auf dem sie sich befinden" sich auf das Land bezieht, auf dem die Häuser, die mit wilden Tieren überflutet werden sollen, sich befinden. Dann fügt er jedoch hinzu, dass es sich auf etwas gänzlich anderes beziehen könnte. Er sagt, dass das Wort "wegam" (das buchstäblich "und auch" bedeutet) eine Form des Ausdrucks "Gamam" sein könnte. Es gibt gewisse Wörter in Hebräisch, die in der zweiten und dritten Position des Schoresch (der Wurzel) doppelte Buchstaben haben. Zum Beispiel kann das Wort Balal (Beis Lamed Lamed) auch den letzten Buchstaben fallen lassen – wie Bal (Beis Lamed). Solche Wörter werden "kefulim" (Doppelwörter) genannt. Es gibt in der hebräischen Sprache ein Wort namens Gamam (Gimel Mem Mem), welches die Bedeutung "etwas aufschneiden oder zerlegen" hat. Er erwähnt Stellen in der Mischna und im Sefer Daniel, wo wir solch eine Verwendung haben.
Demnach erklärt der HaKtav wehaKabbala den Ausdruck "wegam haAdama ascher hejm aleha" (und auch das Land, auf dem es sich befand), nicht als "und auch" (wegam), sondern als "Gamam" – nämlich, dass diese wilden Tiere das Land Ägypten so sehr "zerfetzen" würden, dass es nicht mehr möglich sein würde, dort etwas anzupflanzen. Laut dieser Erklärung ist das Wort wegam nicht eine Konjunktion mit der Bedeutung von "und auch", sondern ein Verb: "Wegam", wie um zu sagen "Wegamam et haAdama ascher hejm aleha".
So schreibt der HaKtav wehaKabbala, dass es ein Teil der Plage war, dass die wilden Tiere die Erde aufgraben und Löcher in ihr in solchem Ausmass machen würden, dass sie nicht weiter zur Landwirtschaft verwendet werden können.
Quellen und Persönlichkeiten:
Raschi, Akronym für Rabbi Schlomo ben Jizchak (1040-1105); Troyes (Frankreich) und Worms (Deutschland); „Vater aller TENACH- und Talmudkommentare“.
Wilnaer Gaon, Gaon von Wilna: Rabbi Eljahu ben Schlomo Salman von Wilna (1720 - 1797), Wilna; Torahgenie, war ein bereits zu seinen Lebzeiten hoch geschätzter vielseitiger jüdischer Gelehrter. Er gilt als Inbegriff des aschkenasischen Judentums litauischer Prägung. Er schrieb mehr als 70 Kommentare zu Tora, Talmud, Kabbala und Halacha. Sie befassen sich mit einem breiten Spektrum religiöser und gesellschaftlicher Fragen und sind Standardwerke jüdischer Gelehrsamkeit.
Rabbi Ovadja ben Awraham von Bertinoro (geb. ca. 1465 in Bertinoro (Italien) – gest. ca. 1515 in Jerusalem). Er ist allgemein als "Der Bartenura" bekannt, Er war ein italienischer Rabbiner und Gelehrter, der am besten von seinem beliebten Bartenura-Kommentar zur Mischna bekannt ist. Seit seinem Erscheinen (Venedig, 1549) wurde kaum eine Ausgabe der Mischna ohne sie gedruckt. Der Kommentar basiert hauptsächlich auf Erklärungen von Raschi und des Rambam (Maimonides). Er war ein Schüler von Rabbi Josef Colon Trabotto (bekannt als Maharik).
Der Wunsch, das Heilige Land zu besuchen, führte ihn nach Jerusalem, und er kam dort am 25. März 1488 an. Rabbi Ovadias Persönlichkeit, Beredsamkeit und der grosse Ruf als Gelehrter führten dazu, dass er sofort nach seiner Ankunft als spirituelles Oberhaupt der Gemeinschaft akzeptiert wurde. Nach der Vertreibung der Juden aus Spanien im Jahre 1492 liessen sich viele der Exilanten in Jerusalem nieder, und Rabbi Ovadia wurde ihr intellektueller Führer.
In den Jahren, in denen der Bartenura die Interessen der jüdischen Gemeinde in Jerusalem kontrollierte, entwickelte sich eine radikale Veränderung zum Besseren. Kurz nach seiner Ankunft war er tatsächlich einmal gezwungen, ein Grab selbst zu graben, weil in der Gemeinde niemand diese Arbeit leisten wollte. Jedoch einige Jahre später genoss die Gemeinde die Vorteile von Krankenhäusern, gemeinnützigen Hilfsgesellschaften und ähnlichen Vereinigungen. Sein Ruf verbreitete sich weit; er wurde nicht nur als rabbinische Autorität akzeptiert, sondern die muslimische Bevölkerung bat ihn häufig, gerichtliche Fälle zu entscheiden.
Rabbi Ja’akov Zvi ben Gamliel Mecklenburg (geb. 1785 in Lissa (Leszno) in der Provinz Posen, Deutschland – gest. 1865 in Königsberg, Deutschaland). Er war ein aschkenasischer Rabbiner und Gelehrter des 19. Jahrhunderts. Er war ein Schüler von Rabbi Secharia Mendel, Freund und Korrespondent von Rabbi Akiva Eiger und anscheinend auch von Rabbi Akiva Eiger selbst.
Nach seinem Tora-Studium ging Rabbi Mecklenburg ins Geschäft. Im Jahr 1831, im Alter von 46 Jahren, nach kommerziellen Schwierigkeiten, beschloss er, das Geschäft zu schliessen und es wurde ihm die rabbinische Position in der Stadt Königsberg, Ostpreussen, angeboten. Damals standen die Königsberger Juden unter dem zunehmenden Einfluss der Haskala, der Reformbewegung, die Rabbi Mecklenburg stark bekämpfte.
Im gleichen Zeitraum schrieb er den bekannten Tora-Kommentar haKetav wehaKabbala. Zu Deutsch: "Die geschriebene [-Torah] und die [mündlich überlieferte-] Tradition). Rabbi Mecklenburgs Absicht war es, "die Unteilbarkeit der geschriebenen und ihres Gegenstücks, der mündlichen Tora, zu demonstrieren". Seine Erklärungen verknüpfen so die wörtliche Bedeutung (Peschat) mit der verborgenen Bedeutung (Drasch), die auf die traditionellen jüdischen Quellen (die Mischna, den Talmud und den Midraschim) basieren. Dies ist der erste vollständige Kommentar zur Thora, der gegen die Einstellung der Reformer verfasst wurde. In diesem Zusammenhang betont der Autor, „dass die geschriebene und die mündliche Thora Zwillinge sind und beide gemeinsam gerecht sind, und blinde Augen geöffnet werden, um zu sehen, dass diese beiden Thora-Teile miteinander verbunden sind und nicht getrennt werden können, und “beides bildet die Wahrheit, die Du in den Händen des treuen Hirten Deines Hauses als Erbe der Gemeinde Jakobs hinterlassen hast“. Sein Kommentar zeigt die sprachlichen und grammatikalischen Grundlagen der Auslegungen der Weisen im biblischen Text und zeigt so den zwingenden Zusammenhang zwischen der geschriebenen und der mündlichen Thora auf.
Dieses Werk wurde erstmals 1839 veröffentlicht. Er schrieb noch weitere Werke. Gemeinsam mit dem Malbim protestietrte er öffentlich gegen die Konvention des Reformjudentums 1844 von Braunschweig.
Rabbiner Samson Raphael Hirsch (1808-1888): Frankfurt am Main, Führer der Deutsch-Jüdischen Orthodoxie. Verfasser von unzähligen Werken zur jüdischen Weltanschauung, zum Chumasch und Tehilim (Psalm), etc.
Rabbi Meir Leibusch ben Jechiel Michael Weiser (1809-1879); Wreschen und Kempen (Polen), Bukarest (Rumänien). Bekannt mit dem Akronym "MALBIM". Er war ein bedeutender Rabbiner und Talmudist, Possek und Kabbalist, Bibelkommentator und Darschan (Prediger). Seine Bibelkommentare gehören zu den umfangreichsten und populärsten Werken zu TENACH. Er schrieb viele weitere Werke. Er war ein streitbarer Gegner der Reform und litt deshalb sehr viel von Verfolgungen und Verleumdungen.
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Die Bearbeitung dieses Beitrages erfolgte durch Mitarbeiter des Jüfo-Zentrums in Zürich
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