Das „morgen“ macht den Unterschied zwischen dem Rascha und den anderen Söhnen - (Rav Frand Bo 5780 – Beitrag 1)
Das „morgen“ macht den Unterschied zwischen dem Rascha und den anderen Söhnen
Die Torahvorlesung dieser Woche beinhaltet den Hauptteil der Erzählung des Auszugs aus Ägypten. Die Parascha enthält die Worte von dreien der „vier Söhne“, (die drei letzteren) welche am Sederabend in der Hagada erwähnt werden. Der Schemen HaTov weist darauf hin, dass wir etwas sehr Interessantes feststellen, wenn wir die drei Söhne, welche Fragen stellen, genauer betrachten. (Der vierte Sohn ist ja derjenige, der nicht zu fragen weiss.) Die Torah leitet die Frage des weisen Sohnes (des „Chacham“) [Dewarim 6:20] und des einfältigen Sohnes (des „Tam“) [Schemot 13:14] mit den Worten ein: „Und wenn dich dein Sohn morgen fragen wird …“ Beim bösen Sohn (dem „Rascha“) hingegen, verwendet die Torah das Wort „morgen“ nicht [Schemot 12:26].
Der Schemen HaTov erklärt, dass der weise und der einfältige Sohn Fragen zum Auszug aus Ägypten haben. Möglicherweise haben sie Fragen zum Glauben. Diese Fragen werden jedoch „morgen“ gestellt. Am Tag nach der Darbringung des Pessachopfers betreiben sie vielleicht Nachforschungen. Am 14. Nissan und am Abend zum 15. Nissan tun sie jedoch, was ihnen geboten wurde. Erst nachdem sie ihre Verpflichtungen erfüllt haben, stellen sie Fragen zum soeben ausgeführten.
Beim bösen Sohn ist es jedoch anders. Er will nichts tun, was er nicht versteht. Das macht ihn zum bösen Sohn. Jude zu sein bedeutet „Na’asse weNischma“ (Wir wollen machen und wir wollen hören). Schon wenn wir nur einen groben Überblick haben, wissen wir, dass wir tätig sein müssen. Zuerst kommt das Handeln und erst nachher streben wir nach Verständnis.
Der Kotzker Rebbe weist darauf hin, dass am Schluss des Schacharit-Gebetes, im Gebet, „Ejn k’Elokejnu“ („es gibt niemanden ausser unserem G’tt) der absolute Ausdruck allen Fragen vorangeht; Fragen wie „mi k’Elokejnu“ („Wer ist wie unser G’tt?“) oder „mi ke’Moschi’ejnu“ („Wer ist wie unser Erlöser?“), kommen im Nachhinein. Wir können unsere Fragen erst stellen, wenn wir das Grundprinzip, dass es nichts neben unserem G’tt gibt, klargestellt haben. Fragen werden auf morgen verschoben.
Rav Chajim Solovieitschik hatte einmal einen Schüler, der die Jeschiwa verliess und vom torahtreuen Weg abkam. Leider war das zur Zeit der Woloschiner Jeschiwa üblich. Es war eine turbulente Zeit. Das Judentum stand unter Druck. In Woloschin gab es einige sehr neugierige Studenten. Nicht jeder konnte den Verlockungen der Bewegungen der Haskala (Aufklärung), des Sozialismus, des Kommunismus und der anderen „ismen“ dieser Zeit widerstehen.
Viele Jahre später ereignete es sich, dass sich Rav Chajim in einer fremden Stadt befand und dieser abgefallene Schüler ihn besuchen kam. Er sagte zu seinem alten Rabbi: „Ich habe so viele Fragen zum Judentum, so viele Glaubensfragen. Würden Sie sich die Zeit nehmen und mit mir darüber reden?“
Rav Chajim antwortete: „Ich sitze gern mit dir zusammen, um über deine Fragen zu sprechen. Ich rede mit dir auch gerne die ganze Nacht hindurch. Sage mir jedoch eines: Wann tauchten diese Fragen auf – bevor du begannst, den Schabbat zu entweihen oder nachher?“ Der Schüler antwortete: „Diese Fragen stellten sich, nachdem ich begann, den Schabbat zu entweihen.“ Daraufhin entgegnete Rav Chajim: „In diesem Fall hast du nur „Tiruzim“ (Ausreden) und keine „Kasches“ (Fragen). Du hast mit dem G’tt Israels gebrochen – und jetzt willst du deine Handlungen begründen. Ich beantworte Fragen gerne. Auf Ausreden antworte ich nicht. Auf „Kasches“ kann man Antworten geben, auf „Tiruzim“ nicht.“
Fragen sind gut, sofern sie „morgen“ gestellt werden. Solange die Zuwendung und die Basis des Glaubens fest sind, können zahllose Fragen gestellt werden. Wenn die Fragen jedoch Vorbedingung für richtiges Handeln sind, dann haben wir es mit dem Sohn zu tun, der ein Rascha ist.
Quellen und Persönlichkeiten:
- Rabbi Menachem Mendel von Kotzk [„Kotzker Rebbe“] (1787 – 1859): Chassidischer Rebbe; Lublin, Kotzk; Polen.
- Rav Chajim Solovieitschik (1853 – 1918): Rabbiner in Woloschin, Brisk (Brest-Litovsk), Litauen.
- Schemen Tov: Rabbi Dov Weinberger. Zeitgenössischer Autor; Rabbiner in Brooklyn, New York.
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Die Bearbeitung dieses Beitrages erfolgte durch Mitarbeiter des Jüfo-Zentrums in Zürich
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