Der wahre Ketzer geht zu Bett, wenn in der Nacht die zehnte Plage angesagt ist - (Rav Frand Bo 5780 – Beitrag 2)
Der wahre Ketzer geht zu Bett, wenn in der Nacht die zehnte Plage angesagt ist
Die Torah berichtet in der dieswöchigen Parascha, wie Mosche das letzte Mal zu Pharao kam und mit ihm einen letzten gereizten Wortwechsel hatte [10:28 – 11:8]. Rav Elja Me‘ir Bloch stellt die folgende interessante Frage: Mosche Rabbejnu hatte schon längere Zeit Pharao heimgesucht. Jedes Mal wenn Mosche in den Palast kam, musste es für Pharao zumindest ziemlich ärgerlich gewesen sein. Warum brachte dann Pharao Mosche nicht um?
Pharao musste vor dem CNN oder vor den Vereinigungen für Menschenrechte keine Angst haben. Stellen wir uns einmal einen heutigen Tyrannen in Pharaos Situation vor. Gäbe es nicht eine einfache Lösung, um diesem Feind ein Ende zu bereiten, ein für alle Mal? Warum ertrug Pharao Mosche weiterhin?
Rav Elja Me‘ir Bloch erklärt, dass dies den Unterschied zwischen Pharao und einem modernen Tyrannen veranschaulicht. Mosche Rabbejnu war für Pharao nicht nur ein Ärgernis. Er führte mit ihm eine religionsphilosophische Auseinandersetzung über G’tt. Pharao war kein Realpolitiker, der einfach eine Belastung loswerden wollte – das wäre keine Lösung für sein Problem gewesen. Pharao war nicht wie ein billiger Despot heutzutage, den man bestechen kann und der nur an Macht interessiert ist. Pharao war ein echter G’ttesleugner.
„Ich bin G’tt“, verkündete er. Mosche einfach loszuwerden genügte ihm nicht. Das wäre eine zu simple Lösung gewesen. Pharao musste Mosche besiegen. Pharao war bereit bis zum bitteren Ende zu kämpfen, um zu beweisen, dass er der Herrscher war.
Ein oder zweihundert Jahre zurück pflegten die Leute in Kaffeehäusern in Paris zu sitzen und über den Sinn des Lebens zu diskutieren. „Gibt es G’tt? Gibt es keinen G’tt?“ Menschen beschäftigten sich mit schwerwiegenden Dingen. Derzeitig denken die Menschen an Annehmlichkeiten – „welche Marke von einem Handy benützt du?“ – und an nichts anderes. Die Leute sinnieren nicht mehr über G’tt und über den Sinn des Lebens. Wir leben in einer einfältigen und abgedroschenen Welt. Nichts von Wert ist mehr wichtig. Heute wird dem Sportfinale die grösste Beachtung geschenkt, nicht dem Ziel des Lebens.
Der Kotzker Rebbe gibt zu einem Raschikommentar in der dieswöchigen Parascha eine Erklärung. Es steht im Vers bei der Beschreibung der Plage der Erstgeborenen [12:30]: „Pharao stand auf in der Nacht...“ Raschi fügt hinzu „...von seinem Bett“. Was will Raschi uns sagen?
Der Kotzker Rebbe frägt: War Pharao von Sinnen? Mosche sagte voraus, dass jeder Erstgeborene um Mitternacht sterben würde. Er hob speziell hervor, dass Pharaos erstgeborener Sohn unter den Erschlagenen sein werde. Pharao selbst war ein Erstgeborener. Pharao hätte an diesem Abend zumindest Schweissausbrüche erleiden sollen. Nein. Er ging zu Bett. Das Einzige, was ihn aufweckte, waren die Schreie der Ägypter, als um Mitternacht die Plage Wirklichkeit wurde.
Wie kann eine Person sich in so einer Nacht ruhig hinlegen, wenn zuvor 9 der von Mosche vorausgesagten Plagen genau wie prophezeit eintrafen? Die Antwort darauf ist, sagt der Kotzker Rebbe, dass Pharao ein hartgesottener Ketzer war. Es gibt ein Sprichwort, dass es in einer Löwengrube keine Atheisten gibt. Das mag für ‚moderne Atheisten‘ gelten. Für die ‚Atheisten der Frühzeit‘ gilt: Sie blieben Atheisten sogar, wenn sie in eine Löwengrube fielen! Pharao war noch vom alten Schrot und Korn – ein Ketzer bis zum letzten Atemzug!
„Ich gehe zu Bett. Was bis jetzt geschah, war nur ein Spiel der Natur. Ich muss nichts befürchten.“ Pharao war nicht daran interessiert, sich des Bedrängers Mosche zu entledigen. „Ich werde diesen Kampf bis zum bitteren Ende weiterführen.“ Und das tat er auch.
Quellen und Persönlichkeiten:
- Rabbi Menachem Mendel von Kotzk [„Kotzker Rebbe“] (1787 – 1859): Chassidischer Rebbe; Lublin, Kotzk; Polen.
- Rav Elja Me‘ir Bloch (1894 – 1955); Rosch Jeschiwa in Tels, Litauen und Gründer und Rosch Jeschiwa der Telser Jeschiwa in Cleveland, Ohio, USA.
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Die Bearbeitung dieses Beitrages erfolgte durch Mitarbeiter des Jüfo-Zentrums in Zürich
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