Sagen heisst nicht glauben (Raw Frand Mischpatim 5781 – Beitrag 1)

Sagen heisst nicht glauben
In der dieswöchiger Parascha [23:1] heisst es: „…biete deine Hand nicht einem Bösewicht, um als frevelhafter Zeuge zu dienen.“ Davon leiten unsere Weisen ab [Talmud Traktat Sanhedrin 27a], dass „Bösewichter“ nicht als Zeugen akzeptiert werden. Ein sündiger Mensch kann nicht als Zeuge aussagen. Einem Rascha kann man nicht glauben. Chasal (unsere Weisen) definieren, wer unter diese Kategorie fällt.
Die Gemara [Talmud Traktat Sanhedrin 29a] spricht über die Einschüchterungen, mit welchen man die Zeugen in einem Finanzprozess einschüchtert, um sie davor abzuhalten, eine Unwahrheit auszusagen. Rabbi Jehuda sagt, dass man ihnen den folgenden Passuk aus Mischlej [Sprüche 25:14] vorliest: „Wolken und Wind, aber kein Regen, wegen der Person, die sich mit einer fälschlichen Gabe rühmt.“ Dies bedeutet: Genau wie reichlicher und zeitgerechter Regen Lohn für das getreue Einhalten der Gebote ist, so ist das Ausbleiben des Regens eine Strafe für die Sünde der fälschlichen Aussage des Menschen. Auf diese Weise werden die Zeugen mit der Warnung vor Trockenheit und Hungersnot vor einer falschen Aussage gewarnt.
Rawa wendet dagegen ein, dass diese Drohung nur Bauern erschreckt. Falls die Zeugen Handwerker sind, wird sie dies nicht stören. Deshalb meint Rawa, dass man den Zeugen sagen solle, dass Dewer (die Pest) wegen falschen Aussagen über das Land hereinbricht, wie es in Mischlej [Sprüche 25:18] heisst: „Wer wider seinen Nächsten falsch Zeugnis redet, der ist ein Spiess, Schwert und scharfer Pfeil.“
Rav Aschi lehnt seinerseits Rawa’s Drohung ab, weil die Zeugen die fatalistische Haltung einnehmen könnten: „Auch bei einer Seuche ist meine Zeit erst abgelaufen, wenn sie eben abgelaufen ist.“ Deshalb erschrickt sie der Gedanke von Krankheit oder Seuche nicht. Rav Aschi schlägt deshalb, gestützt auf eine Lehre von Nathan bar Mar Sutra vor, dass man ihnen sagt, dass falsche Zeugen sogar von jenen, die sie angeheuert haben, verabscheut werden, so wie es heisst (beim Plan von Isewel - an ihren Ehemann König Achaw - gegen Nawot falsche Zeugen einzusetzen) [Melachim/Könige I 21:10]: „Dann setze ihm gegenüber zwei frevelhafte Menschen („Benej Bli’ja’al“) als Zeugen ein…“
Gemäss dem Talmud ist die schlimmste Drohung, die ein Gericht verwenden kann, um einen Zeugen von Unwahrheiten abzuhalten, die folgende: Du stellst ein Nichts dar, sogar in den Augen derjenigen, welche deine falsche Aussage gekauft haben. Leute, welche Menschen als falsche Zeugen anstellen, sind in der Gemeinschaft nicht gerade als aufrichtige Zeitgenossen bekannt. Wenn Zeugen, welche bereit sind, sich kaufen zu lassen, von der Gesellschaft als wertlose Mitglieder wahrgenommen werden, ist dies eine wirklich ausschlaggebende Sache.
Diese Gemara unterstreicht eine der wichtigsten Leitmotive der Mussarlehre (ethische Lehre) von Slobodka. Man ermahnt einen Menschen am besten und bringt ihn am ehesten dazu, sich zu verbessern und ein aufrichtiger Jude zu sein, wenn man sein Selbstwertgefühl anspricht. „Du bist ein Kind von Awraham, Jizchak und Ja’akow. Du bist ein Jude. Wie kannst du so tief sinken, dass du käuflich bist, dass du dich sogar in den Augen der verdorbenen Mitglieder der Gesellschaft billig machst?“ Dieses Konzept von „Gadlut ha’Adam“, das Hervorheben, was das Menschsein bedeutet und wie weit ein Mensch kommen kann, ist der wirksamste Weg, einen Menschen zu verbessern.
Rav Baruch Mordechaj Esrachi fragt: Wie ist es möglich, dass wir je etwas Falsches tun, wenn der Zugang von Nathan bar Mar Sutra korrekt ist und Zeugen die Wahrheit sagen, weil sie befürchten, sogar in den Augen ihrer Auftraggeber als niedrige Kreaturen wahrgenommen zu werden? Wie kann ich jemals etwas Falsches tun, wenn mir G’tt fortwährend vor den Augen steht und er mich beobachtet und er sieht, was ich treibe? Ich will bestimmt nicht, dass der Herr der Welt meint, ich sei eine niedrige Kreatur! Wie kann es sein, dass ein Mensch mitten im Dawenen (Gebet) schwatzt. Es heisst doch: „Ich habe den Ewigen allezeit vor Augen…“ [Tehillim/Psalmen 16:8]?
Die Antwort ist, dass „Ich habe den Ewigen allezeit vor Augen“ ein Lippenbekenntnis ist. Wir sagen es. Wir sagen, dass wir dies glauben. Aber dies kann nicht wahr sein, denn wenn es wahr wäre, würde die Furcht davor, dass G’tt von uns denken könnte, dass wir niedrige Kreaturen seien, uns sicherlich davon abhalten, irgend eine Unvollkommenheit zu begehen.
Emuna (Glauben) ist Theorie, aber nicht Praxis. Damit können wir eine Gemara am Ende des Traktats Makkot [24a] besser verstehen. Der Talmud zitiert verschieden Persönlichkeiten des TANACH’s (schriftliche Lehre), welche versuchten, die Torah zusammenzufassen, indem sie die 613 Ge- und Verbote auf ihre Grundelemente reduzierten. Schlussendlich kam Chabakuk [2:4] und fasste sie in einem einzigen Prinzip zusammen: „…der Gerechte aber lebt durch seinen Glauben.“ Jede Mizwa (Gebot) und jede Sünde läuft auf eine Sache hinaus. Wir wären andere Menschen, wenn unsere Emuna echt wäre, wenn die Worte „ich habe Haschem fortwährend vor meine Augen“ echt wären. Je entfernter wir von dieser Tatsache sind, desto weiter sind wir vom Ziel wahrer Beachtung aller Ver- und Gebote entfernt.
Wenn es ein Prinzip gibt, welches ein Mensch sich einprägen sollte, so ist es: „Ich habe den Ewigen allezeit vor Augen.“ Dieses Prinzip bestimmt die Stellung des Allmächtigen im Leben des Menschen. Dies drückt sich aus in der Art, wie er sein Judentum lebt und welche Art Mensch er ist.
Quellen und Persönlichkeiten:
Raschi (1040-1105) [Rabbi Schlomo ben Jizchak]; Troyes (Frankreich) und Worms (Deutschland); „Vater aller TENACH- und Talmudkommentare“.
Raw Baruch Mordechaj Esrachi, Verfasser von Birkat Mordechai, zeitgenössischer Rosch Jeschiwa, Israel.
______________________________________________________________________________
Die Bearbeitung dieses Beitrages erfolgte durch Mitarbeiter des Jüfo-Zentrums in Zürich
____________________________________________________________________________
Copyright © 2021 by Verein Lema'an Achai / Jüfo-Zentrum.
Zusätzliche Artikel und Online-Schiurim finden Sie auf: www.juefo.com
Weiterverteilung ist erlaubt, aber bitte verweisen Sie korrekt auf die Urheber und das Copyright von Autor und Verein Lema'an Achai / Jüfo-Zentrum.
Das Jüdische Informationszentrum („Jüfo“) in Zürich erreichen Sie per E-Mail: Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein! für Fragen zu diesen Artikeln und zu Ihrem Judentum.
What do you think?
Send us feedback!
- /parascha/29-mischpatim/1689-weshalb-wird-das-ohr-bestraft-raw-frand-zu-parschat-mischpatim-5781-beitrag-2.html
- /parascha/29-mischpatim/1577-wer-fuehrt-die-welt-perspektiven-zu-paraschat-mischpatim-5780.html