Die Symbolik der Keruwim (Rav Frand Teruma 5782)
Rav Frand zu Paraschat Teruma 5782
Die Symbolik der Keruwim
Die Kommentatoren des Chumasch (Pentateuch) sehen in allen verschiedenen Geräten, die im Mischkan verwendet wurden, und sogar in allen Teil-Elementen dieser Geräte, symbolische Botschaften. Ein wesentliches Beispiel dafür ist sicherlich die Erörterung des Aron (der Bundeslade, in der die Gesetzestafeln lagen) und dessen untergeordneten ergänzenden Komponenten, wie die der Badim (Stangen, die scheinbar zum Transport des Aron verwendet wurden) und der Keruwim (zwei engelsgleichen goldenen Figuren auf dem Deckel des Aron).
Der Aron selbst symbolisiert die Tora, denn in ihm lagen - ausser den Tafeln - auch eine Tora-Rolle. Die Badim symbolisieren die Menschen, die die Tora unterstützen. Genauso wie die Stangen nie vom Aron abgetrennt werden durften, so dürfen die Unterstützer der Tora nie von der Tora getrennt werden. Wir haben darüber schon in der Vergangenheit oft gesprochen.
Heute wollen wir uns auf die Symbolik der Keruwim konzentrieren. Was verkörpern die Keruwim, die den oberen Teil des Aron schmückten? Der Chatam Sofer schreibt im Namen seines Mentors, Rabbi Nathan Adler, dass die Keruwim Toragelehrte, diejenigen, die Tora lernen, verkörpern. Warum werden Toragelehrte durch die kindlichen Figuren der Keruwim verkörpert?
Wenn wir ein Symbol für Talmidej Chachamim (Toragelehrte) erfinden müssten, würden wir nicht kindliche Figuren wählen. Wir würden eher Bilder von Erwachsenen mit langen grauen Bärten wählen. Warum entschied die Tora Toragelehrte durch kindliche Gesichter zu symbolisieren? Ich las einmal im Namen von Rav Schmuel Rosowsky, dass dies uns lehrt, dass ein Toragelehrter immer eine kindliche Begeisterung für das Toralernen besitzen muss. Typischerweise besitzen nur Kinder diese Begeisterung. Wenn wir älter werden, betrachten wir Dinge eher in abgestumpfter und gebildeter Weise. Wenn wir auf die Zeit zurückdenken, als wir Kinder waren, oder als unsere Kinder klein waren oder sind – als sie zum ersten Mal Chumasch lernten, können wir die Erregung spüren. Das erste Mal, wenn ein Kind am Seder-Abend die Mischna von "Ma Nischtana" aufsagt, ist es so erregt, dass die Begeisterung ihn den ganzen Seder wachhält! Das gleiche geschieht, wenn man zum ersten Mal ein Blatt Gemara (Talmud) lernt.
Um ein Talmid Chacham zu werden, muss man sicherstellen, dass unser Lernen immer die Symbolik des "…und Ich werde von dem Deckel herab, zwischen den beiden Keruwim hervor, die sich auf der Gesetzeslade befinden, alles mit dir reden…" (Schemot 25:22), besitzt. Ein Mensch muss versuchen, diesen kindlichen Enthusiasmus beizubehalten, um ein wahrer Talmid Chacham zu werden.
Wie wir schon in der Vergangenheit erwähnt haben, ist das Wort für einen Weisen in Hebräisch nicht "Chacham", sondern "Talmid Chacham" (wörtlich: Schüler des Gelehrten) . Sogar ein grosser Weiser bleibt ein Student.
Es gibt eine berühmte Geschichte über einen Rabbiner in Norfolk, Virginia, der seiner Sekretärin sagte, dass er zwischen 10 und 11 Uhr morgens keine Telefonanrufe annehmen werde, weil dies die Zeit sei, die er für das Toralernen festgelegt habe. Als die Mitglieder des Vorstands hörten, dass ihr Rabbiner diese Zeit jeden Tag blockierte, um Tora zu lernen, beklagten sie sich bei ihm: "Wir dachten, dass du das Studium schon beendet hast. Warum musst du noch weiter studieren?"
Dies ist ein Konzept, das für Leute, die nie in einer Jeschiwa gelernt haben, fremd ist. Für uns aber ist der Chacham ein "Talmid Chacham", der Weise, der immer noch ein Student ist. Das Lernen hört nie auf. Dies ist der Grund, warum Talmidej Chachamim durch Keruwim verkörpert werden. Um sein Lernen weiterzuentwickeln, muss ein Mensch die Begeisterung und den Enthusiasmus von jungen Kindern beibehalten.
Es gibt eine andere Komponente der Keruwim ausser ihrem kindlichen Gesicht. Sie waren einander zugewandt: "Penejhem Isch el Achiw - ihre Gesichter sollen einander zugewandt sein" (Schemot 25:20). Rabbi Nathan Adler erklärt, dass sie, obwohl sie einander zugewandt waren, einander nicht eigentlich anschauten, wie es weiter heisst: "…el Hakaporet jihju Penej HaKeruwim - dem Deckel zugewandt sollen die Gesichter der Keruwim sein." Jedes der Keruwim schaute in Wirklichkeit nach unten zum Aron selbst.
Die Symbolik des einander zugewandt sein, ohne den anderen anzuschauen, mag wie folgt erklärt werden: Toragelehrte mögen manchmal anderer Meinung sein als andere, und dem anderen vehement widersprechen, weil sie daran interessiert sind, zu verstehen, was die Tora wirklich meint, und sie mögen es anders verstehen als der andere. Sie sind nicht auf den anderen ausgerichtet, sondern darauf, was die Luchot Ha'Edut (Bundestafeln) sagen; ihr Schwerpunkt ist die Wahrheit, wie sie aus der Tora erkennbar ist.
Aber obwohl sie nach unten konzentriert sind und scharfe Meinungsverschiedenheiten darüber haben, was die Wahrheit ist, wenden sie dem anderen nicht ihren Rücken zu und wandern sicherlich nicht vom anderen in die entgegengesetzte Richtung weg. Trotz ihren Meinungsverschiedenheiten sind Talmidej Chachamim zu anderen nie respektlos. Sie sehen den anderen immer mit Respekt, Kameradschaft und sogar Liebe an.
Die letzte Mischna im Talmud Traktat Sota [49b] sagt, dass eines der Zeichen der Ära vor Maschiach (Ikweta deMeschicha) ist, dass die "Wahrheit rar sein wird (haEmet tehej ne'ederet)". Die Gemara [Talmud Traktat Sanhedrin 97a] erklärt aufgrund des Wortes "ne'ederet", dass die Wahrheit "Adarim Adarim", wie Herden (im Hebräischen: Eder) werden wird. Was meinen Chasal damit? Chasal meinen, dass die Leute in der Zeit vor Maschiach der Meinung sein werden, dass die Wahrheit nur in ihrer besonderen "Herde" (Sekte oder Gruppe) zu finden sei. Jeder wird denken, dass jemand von einer anderen "Herde", von einer anderen Gruppierung, keinesfalls die Wahrheit kennen kann. Wir wissen, dass dies nicht wahr ist, aber leider sehen wir diese Haltung in unserer Zeit. Wir haben uns in verschiedene Gruppen aufgeteilt, wo jeder meint, dass er das Monopol auf die Wahrheit hat und alle nicht das Gefühl haben, dass sie die Höflichkeit haben müssen, andere Gruppen mit Respekt zu behandeln, obwohl diese auch gänzlich leschem Schamajim (um des Himmels Willen) handeln mögen.
Dies ist, was die Keruwim verkörpern sollten. Man kann auf den Kaporet (Deckel) und den Aron der Luchot (Tafeln) konzentriert sein, um die Wahrheit zu erfahren, aber man sollte gegenüber anderen Talmidej Chachamim und Gruppen, die auch an derselben Wahrheit interessiert sind, höflich und respektvoll bleiben, obwohl sie zu anderweitigen Schlussfolgerungen kommen mögen, was diese Wahrheit uns sagt.
Quellen und Persönlichkeiten:
Rabbi Nathan ben Schim’on haKohen Adler (1741-1800); Frankfurt a/M, Deutschland. Er war ein deutscher Kabbalist und Rabbiner in Frankfurt am Main. Er gilt als Begründer einer westjüdisch-chassidischen Richtung (Frankfurter Chassidim). Einer seiner bedeutenden Schüler war Rabbi Mosche Sofer, der "Chatam Sofer".
Chatam Sofer (1762-1839) [Rabbi Mosche Sofer / Schreiber]; Pressburg/Bratislava, Slowakei. Rosch Jeschiwa und einer der führenden Rabbiner des 19. Jahrhunderts. Er schrieb zahlreiche Werke, wie acht Bände Responsen, 18 Bände Erklärungen zum Talmud, Kommentare zur Tora, Briefe, Gedichte und ein Tagebuch. Die meisten Werke tragen den Namen „Chatam Sofer“.
Rav Schmuel Rosovsky (1913–1979); Grodno (Polen/Litauen), Petach Tikva, Benej Berak (Israel). Schüler von Rabbi Schim’on Schkop. 1944 wurde er von Rabbi Josef Schlomo Kahaneman gebeten, die neu eröffnete Poniwescher Jeschiwa in Benej Berak zu leiten. Er war weltweit bekannt für seine Klarheit bei der Erklärung komplexer Talmud-Themen. Seine Methode hatte einen zentralen Einfluss in der Jeschiwa-Welt der Nachkriegszeit.
______________________________________________________________________________
Die Bearbeitung dieses Beitrages erfolgte durch Mitarbeiter des Jüfo-Zentrums in Zürich
____________________________________________________________________________
Copyright © 2022 by Verein Lema'an Achai / Jüfo-Zentrum.
Zusätzliche Artikel und Online-Schiurim finden Sie auf: www.juefo.com
Weiterverteilung ist erlaubt, aber bitte verweisen Sie korrekt auf die Urheber und das Copyright von Autor und Verein Lema'an Achai / Jüfo-Zentrum.
Das Jüdische Informationszentrum („Jüfo“) in Zürich erreichen Sie per E-Mail: Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein! für Fragen zu diesen Artikeln und zu Ihrem Judentum.
What do you think?
Send us feedback!
- /parascha/30-teruma/1894-das-mischkan-ist-die-vereinigende-kraft-die-alles-zusammenhaelt-rav-frand-teruma-5783.html
- /parascha/30-teruma/1692-wieso-noch-eine-separate-sammlung-fuer-die-sockel-raw-frand-zu-paraschat-teruma-5781-beitrag-2.html