Das Mischkan ist die vereinigende Kraft, die alles zusammenhält (Rav Frand, Teruma 5783)
Rav Frand zu Paraschat Teruma 5783
Das Mischkan ist die vereinigende Kraft, die alles zusammenhält
Zu Beginn des Sefer Bamidbar erwähnt die Tora, dass das System der Identifizierung der verschiedenen Stämme während ihren Reisen in der Wildnis, gemäss welchem jeder Stamm mit deutlich gefärbten Fahnen (Degalim) ausgerüstet war, während dem zweiten Jahr ihrer Reisen nach dem Auszug aus Mizrajim begann. Rabbi Ja’akov Kamenetsky stellt in seinem Sefer Emet leJa’akov die Frage, warum es ein ganzes Jahr dauerte, bis sie dieses System einführten.
Raw Ja’akov erklärt, dass die verschiedenartigen Flaggen in Wirklichkeit ein Symbol für die Unterschiede waren, die innerhalb des jüdischen Volkes existierten. Die verschiedenen Farben und verschiedenen Bildern, die auf den Fahnen dargestellt waren, deuteten auf die verschiedenen Charaktere und verschiedenen Haltungen hin, die in jeder individuellen Stammfamilie präsent waren. Die Fahne, die jeder Stamm besass, war somit ein Grund für Gespaltenheit und Trennung zwischen ihnen. Der Löwe auf der Fahne von Jehuda, der Esel auf der Fahne von Jissachar, und die Schlange auf der Fahne des Stammes Dan stellten alle die verschiedenen Ansichten und Haltungen dieser verschiedenen Stämme dar.
Ehrlich gesagt waren die Fahnen eher eine schlechte als eine gute Botschaft. Am Ende jedoch waren sie akzeptabel, weil sich in der Mitte ein Mischkan (Stiftzelt) befand. Das Mischkan diente als vereinigende Kraft für alle ungleichartigen Elemente unter dem jüdischen Volk. Trotz der Tatsache, dass es verschiedene Wege gibt, das Leben zu betrachten, haben wir schlussendlich alle dasselbe Ziel – dem Allmächtigen zu dienen. Das Mischkan ist der zentrale Punkt für uns alle, ungeachtet dessen, woher wir kommen. Wie Raw Ja’akov sagt: Genauso wie es keine Uneinigkeit zwischen unseren Augen und unseren Ohren gibt (obwohl der Zweck der Augen das Sehen und der Zweck der Ohren das Hören ist und dies verschiedene Zwecke sind), sind sie beide nur vorhanden, um dem Menschen zu dienen, der diese Organe besitzt.
Das Mischkan war die Einheit, die alle verschiedenen Elemente innerhalb der jüdischen Gesellschaft zusammenband. Dies ist der Grund dafür, dass die Flaggen nicht eingeführt werden konnten, bis das Mischkan im zweiten Jahr ihrer Reisen errichtet wurde. Der Allmächtige wollte nicht, dass Fahnen, die die Gespaltenheit in Klall Jisrael darstellen, vorhanden sein sollten, bevor das Heilmittel zu dieser Gespaltenheit – das zentralisierte Mischkan – voll funktionsfähig war. Im Moment, da das Mischkan mit seiner vereinigenden Kraft vorhanden war, konnten sie die Freiheit haben, ihre verschiedenen Einstellungen im Leben zu demonstrieren, wie es durch die verschiedenartigen Fahnen symbolisiert wurde.
Heute ist das Bejt Haknesset (die Synagoge oder Schul) unser "Mischkan". Die Rolle einer Schul im jüdischen Leben ist es auch, diese vereinigende Kraft für die zwölf Stämme in Klall Jisrael zu sein, welche zwölf verschiedene Ansichten und Wege haben, Dinge zu tun. Trotzdem sind das Mikdasch / Mischkan / Bejt Haknesset Institutionen, die uns zusammenbinden können und sollten.
Der Magen Awraham erwähnt im Namen des Arisal, dass es unter dem jüdischen Volk verschiedene Nuss'chaot (Gebets-Liturgien) gibt. Wir haben den Nussach Aschkenas, Nussach Sefard, Nussach Sefaradi, jemenitische Nussach, italienischer Nussach, katalonischer Nussach, etc. – alle möglichen Nuss'chaot. Die verschiedenen Gebetsformen entsprechen verschiedenen Ansichten der zwölf Stämme, die in Klall Jisrael existierten.
Es gab zwölf Stämme. Es gab zwölf Wege, Dinge zu tun. Der Arisal sagt, dass es im Himmel zwölf Tore gibt, durch die die zwölf Nusschaot der zwölf Stämme emporsteigen. Dies ist der Grund, warum man eigentlich seinen Nussach, den man von seinem Vater und dessen Stamm überliefert erhielt, nicht ändern sollte.
[Anmerkung des Herausgebers: Nur, schreibt der Mischnat Chassidim, und so finden wir es auch in den Schriften des grossen Maggid von Mesritsch, dass der Arisal einen dreizehnten Nussach geformt hat für den, der seinen Stamm nicht kennt, und dass es dementsprechend ein dreizehntes Tor im Himmel gibt, und dass diese Tore den dreizehn Attributen der g-ttlichen Barmherzigkeit entspricht und auch den dreizehn Verneigungen, die ein jeder sich im Tempel verneigen musste]
Die Tatsache, dass es zwölf Stämme gibt, die verschiedene Wege, Dinge zu tun, darstellen und den verschiedenen Nuss'chaot entsprechen, ist der Grund dafür, dass es üblich ist, dass eine Synagoge zwölf Fenster hat, welche symbolisieren, dass jeder Stamm seinen eigenen Weg zum Herrn der Welt hat. Das jüdische Volk ist nicht monolithisch. Es war es nie und wird es auch nie sein. Wir sind verschieden, aber wir sollten alle um den zentralen Gedanken des Mischkan vereinigt sein.
Mit diesem Gedanken können wir vielleicht eine weitere Einsicht in die Rolle der "Tachasch-Felle" im Mischkan gewinnen. Die Tora sagt, dass sich unter den Materialien, die beim Aufbau des Mischkans verwendet wurden, rot gefärbte "Widderfelle", Techaschim-Felle und Schittim-Holz" [Schemot 25:5] befanden. Raschi zur Stelle erklärt "Techaschim-Felle" mit den Worten: "Dies (der Tachasch) ist eine Art Wild, das nur zu jener Zeit existierte und es hatte viele Farben…" Das Mischkan bestand aus Brettern mit einer Decke von Teppichen und diesen Fellen, die das Mischkan zuoberst bedeckten. Das Mischkan wurde zuerst mit einer Decke aus zehn zusammengenähten wollenen Teppichen und einer Decke aus elf Teppichen aus Ziegenhaare bedeckt. Darüber lag eine Decke aus Tierfellen, aus den erwähnten rot gefärbten Widderfellen und vielfarbigen Techaschim-Fellen.
Es gibt einen Disput im Talmud [Traktat Schabbat 28a]. Rabbi Jehuda ist der Meinung, dass aus den zwei Fellen zwei separate Decken hergestellt wurden. Laut seiner Meinung wurde das Mischkan zuerst mit den Widderfellen bedeckt, und auf diesen wurden dann die Techaschim-Felle gelegt. Rabbi Nechemja ist anderer Meinung; er meint, dass es nur eine Decke hatte, die je zur Hälfte Widderfelle und Techaschim-Felle enthielt, die zusammengenäht wurden. Das Problem mit Rabbi Nechemjas Meinung ist, dass sie einem deutlichen Passuk später in der Parascha zu widersprechen scheint: "Und du sollst eine Decke für das Zelt aus rotgefärbten Widderfellen anfertigen und darüber eine Decke aus Techaschim-Fellen [Schemot 26:14]. Dies scheint Rabbi Jehudas Ansicht zu unterstützen, dass sie aus zwei separaten Stücken bestand, wobei die Widderfelle sich darunter und die Techaschim-Felle sich darüber befanden.
Rabbi Me’ir Simcha zitiert in seinem berühmten Sefer Meschech Chochma eine Interpretation von seinem Vater, der die Haltung von Rabbi Nechemja gegen die einfache Auslegung dieses Passuks verteidigt. Rabbi Meir Simcha sagt, dass es stimmt, dass es nur eine Abdeckung hatte, die aus zwei Arten von Fellen zusammengenäht wurde, aber Mosche Rabbejnu stellte beim Aufbau des Mischkans sicher, dass sich die Techaschim-Felle über dem Platz des Allerheiligen befinden sollen. "Die Techaschim-Felle waren darüber" bedeutet, dass sie sich über dem Allerheiligen befanden und nicht über den Widderfellen. Und wirklich in Paraschat Bamidbar [3:25] steht: "… und seine Decke…", von dem hervorgeht, dass es nur eine Decke hatte.
Das Sefer Imrej Baruch stellt die Symbolk fest, die in dieser Interpretation enthalten ist: Die Techaschim-Felle, die vielfarbig waren, nahmen den heiligsten Platz im Mischkan ein. Die vielfarbigen Felle symbolisieren die vielfarbige jüdische Nation. Genauso wie die verschieden gefärbten Fahnen der Stämme deren mehrdimensionale Haltungen und Philosophien darstellten, stellten auch die vielfarbigen Felle den mehrdimensionalen Charakter des jüdischen Volkes dar. Dieser vielfarbige Charakter der Mischkan-Decke, die darstellt, was Klall Jisrael wirklich ist, ist am höchsten und heiligsten Platz des Mischkan verankert. Eine Vielfältigkeit, verschiedene Haltungen und die Tatsache, dass es verschiedene Wege gibt, Dinge innerhalb einer Tora-Anschauung zu betrachten, wird geschätzt. Dieser Gedanke spielt in der jüdischen Nation und innerhalb der jüdischen Religion eine prominente Rolle. Leider scheint in unserer Zeit diese Haltung manchmal verloren zu gehen. Heute scheint es einen Mangel an Toleranz für Vielfältigkeit zu geben. Die vorherrschende Haltung ist "entweder so, wie ich es sehe, oder gar nicht". Die allgemeine Meinung ist, dass "wir Recht haben und jeder andere falsch liegt". Dies ist nicht, wie es historisch gemeint war.
Dies ist nicht der Weg der Schewatim (Stämme). Als Ja’akow seine Söhne anschaute, sah er zwölf verschiedene Charaktere mit zwölf verschiedenen Vorgehensweisen. Es ist etwas, das ermutigt werden sollte. Jedoch muss es ein Gegengift geben, uns von dem Phänomen der Uneinigkeit zu schützen. Das Gegengift ist das "Mischkan in unserer Mitte". Im Endeffekt wollen wir alle dasselbe Ziel erreichen. Die Vorgehensweise mag anders sein, aber das Ziel (Tachlit) ist dasselbe.
Der Talmud lehrt uns im Traktat Ta’anit [31a], dass der Allmächtige in der Zukunft einen Kreis von gerechten Männern (Zaddikim) bilden wird. Die G"ttliche Präsenz wird in der Mitte des Kreises sein, und jeder wird auf die Mitte des Kreises weisen und sagen: "Dies ist unser G-tt, auf Den wir sehnsüchtig warteten..."
Ein Kreis hat eine geometrische Eigenschaft, die hier am meisten relevant ist – nämlich, dass jeder Punkt auf dem Kreis von seinem Zentrum gleichweit entfernt ist. Kein Punkt ist näher, und kein Punkt ist weiter. Der Talmud spricht über eine zukünftige Zeit – eine Zeit, nachdem wir durch unser gegenwärtiges Exil und durch alle Dispute und Spaltungen gegangen sein werden, die heute existieren, wobei jeder argumentiert: "Dies ist der richtige Weg; ich befinde mich näher zum Allmächtigen als du." In dieser zukünftigen Zeit wird Haschem einen Kreis ziehen und in der Mitte sitzen, und alle Gerechten im Kreis – von allen verschiedenen "Schattierungen" – werden auf das Zentrum weisen und ausrufen: "Dies ist Haschem; dies ist der G"tt, den wir immer angebetet haben!" Sie werden sich danach umdrehen und sehen, dass jeder gleichweit entfernt ist. Niemand hat mehr Recht und niemand hat mehr Unrecht. Dies ist der Klall Jisrael der Zukunft, den der Ribbono schel Olam (Herr der Welt) Sich ausmalt.
Quellen und Persönlichkeiten:
Raschi, Akronym für Rabbi Schlomo ben Jizchak (1040-1105); Troyes (Frankreich) und Worms (Deutschland); „Vater aller TENACH- und Talmudkommentare“.
Rabbi Abraham Abele Halevi ben Chaim Gombiner (ca. 1635 – 1682), Gąbin (Gombin), Kalisch, Polen. Rabbiner, Talmudist und eine führende religiöse Autorität in Polen. Sein berühmtes und sehr festlegendes Werk ist der Magen Awraham, Kommentar zum Schulchan Aruch-Orach Chajim von Rabbi Josef Karo. Seine Eltern wurden bei den Chmelnyzkyj-Massakern 1648 ermordet.
Rabbi Emanuel Chai Riki (Ricci) (1688-1743); Rabbiner und Kabbalist. Ferrara, Triest (Italien), Zefat/Safed (Israel); Livorno (Italien) Smyrna, Konstantinopel (Türkei), Saloniki (Griechenland), und London (GB). Aleppo (Syrien) und Jerusalem. Verfasste unzählige Werke zur Mischna, zum Talmud, zu TENACH, zu Tehilim (Psalm), zur Halacha, etc. Sein kabbalistisches Werk heisst Mischnat Chassidim, eine Erklärung zu allen kabbalistischen Begriffen in den Schriften des Arisal.
Rabbi Dow Bär, der grosse Maggid von Mesritsch (1710-1772); Rowne (Polen) und Mesritsch (Wolhynien, heute Ukraine). Er war einer der Schüler und der Nachfolger von Rabbi Israel ben Elieser, bekannt als der Ba’al Schem Tow, des Begründers des Chassidismus. Die Lehren und Betrachtungen von Rabbi Dow Bär wurden nicht von ihm selbst niedergeschrieben, sondern sind in Werken seiner zahlreichen Schüler erhalten.
Rabbi Me’ir Simcha HaKohen (1843 – 1926): Autor der bekannten Werke „Or Sameach“ zum Rambam (Maimonides) und „Meschech Chochma“ Gedanken zum Chumasch. Brillanter Denker und Rabbiner in Dvinsk, Russland.
Rabbi Ja'akov Kamenetsky (1891-1986); Minsk, Slobodka, Seattle, Toronto und New York. War Rabbiner, Rosch Jeschiwa, Possek und grosser Talmudgelehrter. Rosch Jeschiwa von Tora We’Daat, Brooklyn. Zusammen mit Rabbi Mosche Feinstein leitete er das amerikanische Judentum in Fragen der Halacha und in spirituelle Führung bis 1986, als beide Grössen starben. Verfasser von verschieden Werken, wie Emet leJa’akov zum Schulchan Aruch und Erklärungen zum Chumasch.
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Die Bearbeitung dieses Beitrages erfolgte durch Mitarbeiter des Jüfo-Zentrums in Zürich
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