Jeder Schritt hinterlässt einen Eindruck (Raw Frand, Tezawe 5781 - Beitrag 1)

Ergänzungen: S. Weinmann
Jeder Schritt hinterlässt einen Eindruck
Wir entnehmen der dieswöchigen Parascha, dass am Saum des Me’il (Mantelsaum) des Hohepriesters Glöcklein befestigt waren. Sobald sich der Hohepriester bewegte, hörte man ihn. Der Passuk sagt [Schemot 28:35]: "...der Klang (der Glöcklein) soll gehört werden, wenn er hineingeht in das Heiligtum vor G'tt und wenn er es verlässt, damit er nicht stirbt."
Rav Mordechai Gifter bringt dazu zwei interessante Gedanken:
Die Auswirkung unserer Handlungen
Die erste Lehre ist die folgende: Jedes Mal, wenn der Hohepriester einen Schritt machte, wurde dieser Schritt ihm und allen andern bewusst. Diese Tatsache vermittelt einen tiefgründigen Gedanken: Jeder Schritt, den ich mache, hat eine Wirkung. Er erzeugt ein Geräusch, das alle wahrnehmen. Das lehrt den Hohepriester, dass jede seiner Handlungen "jeder Schritt, jede Bewegung" eine besondere Bedeutung hat. Dies gilt auch für jeden Führer der jüdischen Gemeinschaft. Dies gilt umso mehr, je grösser er ist. Schlussendlich sollten wir aber alle bergreifen, dass jede unserer Handlungen eine grosse Wirkung hat auf uns und unsere Familie, aber auch auf unsere gesamte Umgebung und auch auf das ganze Volk!
Klopfe an, bevor du eintrittst
Seine zweite Beobachtung beruht auf einer Gemara im Traktat Pessachim [112a]. Der Talmud sagt dort, dass Rabbi Akiwa seinem Sohn Rabbi Jehoschua sieben Sachen befahl. Einer dieser Sachen war: "Betrete niemals plötzlich dein Haus, umso weniger das Haus deines Nächsten". Das bedeutet, dass er sich jedes Mal bemerkbar machen sollte, wie z.B. anklopfen, bevor er ein Haus betrat. Der Raschbam zur Stelle erklärt, dass dies aus Gründen des Zeniut (Scham) sei (vielleicht verrichte jemand etwas gerade, das nicht gesehen werden sollte).
Als weiteren Grund zitiert der Raschbam einen Midrasch Rabba [Wajikra 21:8], der erklärt, dass die Quelle dieser Anweisung im Vers unserer Parascha zu finden sei. Der Hohepriester wurde (wegen den Glöcklein) fortwährend gehört, wenn er sich ins Heiligtum hineinbegab. Von dieser Regel für den Hohepriester leitet Rabbi Jochanan ein Gesetz für Derech Erez (gutes Benehmen) ab. Es ist nicht angebracht, auch wenn der andere deinen Besuch erwartet, einfach bei ihm hineinzuschneien. Beim Kohen Gadol im Heiligtum ging es nicht um Zeniut, sondern nur um Derech Erez.
Rabbi Jehoschua wie auch Rabbi Jochanan betraten das Haus eines Fremden oder sogar das Haus eines Freundes nie, ohne vorher sich anzumelden oder anzuklopfen. Nicht einmal ihr eigenes Haus betraten sie, ohne vorher anzuklopfen. Aber auch heute noch können wir dies bei manchen Personen beobachten. Sie klopfen immer zuerst an, bevor sie eintreten, damit ihre Ankunft nicht völlig unerwartet ist.
Der Talmud Jeruschalmi sagt in Joma [7:3], dass der Hohepriester mit dem Tragen der Glöcklein, deren Klingeln seine Ankunft im Tempel ankündigte, für die Sünde von Laschon Hara (üble Nachrede) sühnte: "Komme die Stimme der Glöcklein und sühne für die Stimme der üblen Nachrede". Rav Gifter erklärt, dass der Grundgedanke, nicht unangekündigt irgendwo einzutreten, ein Ausdruck von Derech Erez ist. Man soll das Gespür und die Feinfühligkeit besitzen, den anderen nicht zu stören oder unangenehm zu überraschen. Ein Petzer ist im Grunde genommen jemand, der nicht fähig ist, zu erkennen, was ein Mensch überhaupt ist. Jemand, der einen anderen verleumdet, erkennt in ihm nicht den Menschen, der im "Ebenbild G'ttes" erschaffen worden ist. Der Grundstein für Derech Erez - für das respektvolle Behandeln eines Menschen - ist die Tatsache, dass dieser andere ein Mensch ist, der im "Ebenbild G'ttes" erschaffen wurde. Jemandem, der so weit gekommen ist, dass er einem anderen Menschen in den Rücken fällt, fehlt das minimale Verständnis, was ein Menschenwesen bedeutet.
Die klingende "Ankündigung" des Hohepriesters, als er den Tempel betrat, betonte auf feinfühlige Art die Eigenschaft von Derech Erez. Deshalb sühnte dieser Klang für Handlungen, die im leichtsinnigen Umgang mit Derech Erez begangen wurden.
Quellen und Persönlichkeiten:
Midrasch Rabba (der grosse Midrasch): Grosse Sammlung von Erklärungen und Aggadot zum Chumasch der Tana’im (Mischnagelehrten) und Amora’im (Talmudgelehrten).
Raschbam, Akronym für "Rabbi Schemuel ben Me’ir (ca. 1085 - 1174): Enkel von Raschi. Sohn seines Schwiegersohns Rabbi Me’ir. Tossafist (Talmuderklärer) und Erklärer von Chumasch. Lebte in Ramerupt bei Troyes (Frankreich).
Rav Mordechai Gifter (1916 - 2001): Rosch Jeschiwa, Telser Jeschiwa, Cleveland, Ohio; USA. Grosser Talmudgelehrter, tiefer Denker und Verfasser von vielen Werken zum Talmud, Chumasch und Haschkafa.
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Die Bearbeitung dieses Beitrages erfolgte durch Mitarbeiter des Jüfo-Zentrums in Zürich
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