Notwendig für einen jüdischen Führer: ein Gefühl von Unzulänglichkeit - (Rav Frand Schemini 5781 - Beitrag 2)
Ergänzungen: S. Weinmann
Notwendig für einen jüdischen Führer: ein Gefühl von Unzulänglichkeit
Der Vers [Wajikra 9:7] sagt: „Und Mosche sprach zu Aharon: Tritt näher zum Altar und bringe dein Sündopfer und dein Ganzopfer dar und erwirke Sühne für dich und für das Volk, und alsdann bringe das Opfer des Volkes dar und erwirke für sie Sühne, wie G’tt geboten.“
Raschi erwähnt einen interessanten Torat Kohanim. Aharon schämte und fürchtete sich den Tempel-Dienst anzutreten. Mosche sagte ihm: „Warum schämst du dich? Dazu bist du ja erwählt worden!“
Weiter sagt der Torat Kohanim, dass der Altar Aharon in der Form eines Ochsen erschien und er deshalb nicht näher zu treten wagte. Mosche bat ihn, sich ein Herz zu fassen und auf den Altar zuzugehen.
Was meinen Chasal (unsere Weisen), wenn sie sagen, der Altar erschien ihm in der Form eines Ochsen? Man muss kein grosser Erklärer sein, um die Absicht dahinter zu erkennen: Aharon sollte nämlich die Sünde beim Goldenen Kalb in Erinnerung gerufen werden. Wenn wir dies jedoch so verstehen, stellt sich die Frage, warum der Altar ihm als Ochs und nicht als Kalb erschien.
Ich stiess auf einen schönen Peschat (Erklärung) von Rav Schlomo Breuer. Der Passuk in Tehilim/Psalm [106:19-20] sagt: „Sie fertigten ein Kalb in Chorew an und bückten sich zum gegossenen Götzen. Und sie vertauschten Seine Ehre mit der Gestalt eines Ochsen, der Gras frisst.“
Wir erkennen, dass die Sünde als Kalb begann und sich irgendwie zum Ochsen auswuchs. Rav Schlomo Breuer sagte im Namen seines Schwiegervaters, Rav Schimschon Rafael Hirsch, dass Klal Israel niemals an echter Awoda Sara (Götzendienst) interessiert war (wie bereits im Ramban, Ibn Esra und Ba’alej Tossafot erwähnt). Sie dachten nicht daran, G’tt zu ersetzen. Sie wollten einen Vermittler. Sie befürchteten, dass Mosche gestorben war und wollten jemanden an seiner statt.
Aharon schritt zur Tat und machte etwas, das wir im Nachhinein als Fehler betrachten müssen. Aharon gab nach und sagte: „Sie wollen einen Vermittler? Ich suche etwas für sie aus, dass sie niemals missbrauchen und ihm irgendwelche eigenen Kräfte zugestehen können. Ich nehme ein schwaches kleines Kalb. Wie kann sich jemand auch nur vorstellen, dass ein kleines Kalb ein G’tt werden kann?“
Was geschah? Das Zugeständnis wuchs an und entwickelte sich von einem einfachen Kalb zu der Gestalt eines Ochsen – einem Gegenstand mit eigener Kraft. Das war die Rolle von Aharon bei der Sünde des Goldenen Kalbes: Der Kompromiss mit dem Kalb wuchs sich zum Ochsen aus. Deshalb erschien ihm jetzt der Altar in der Form eines Ochsen.
Nun können wir die Bedeutung der Worte von Chasa’l verstehen. Aharon hatte Bedenken, seinen Dienst als Hohepriester anzutreten. Er sagte: „Ich versuchte mich schon einmal als Führer. Einmal habe ich versucht, ein Führer zu sein und habe versagt. Ich habe den Menschen nachgegeben. Ich habe einem Kompromiss zugestimmt, als ein klares Nein am Platze gewesen wäre.“ Wegen diesem Zugeständnis wurde aus einem Kalb ein Ochs. Deshalb zögerte Aharon. Er meinte, er sei diesem Posten nicht gewachsen.
Mosche sprach zu ihm: „Warum bist du so zaghaft? Das ist genau der Grund, weswegen du gewählt worden bist.“ Eine der Anforderungen an einen jüdischen Führer ist diese Empfindung von Unzulänglichkeit, ein Gefühl der Untauglichkeit. Ein Führer, der sich um eine Stellung bewirbt und sagt: „Ich eigne mich am besten für diese Stelle“ ist keine jüdische Führungskraft!
Es gab einmal einen Juden mit dieser Auffassung. Er dachte, dass er der Richtige für den Job sei. Der Name jenes Mannes war Korach. Wir wissen alle, was mit Korach geschah. Eine solche Person ist nicht geeignet für eine Führerposition.
Zurückhaltung, Verlegenheit und Demut sind Eigenschaften, die für jüdische Führungskräfte unabdingbar sind.
Quellen und Persönlichkeiten:
Raschi (1040-1105) [Rabbi Schlomo ben Jizchak]; Troyes (Frankreich) und Worms (Deutschland); „Vater aller TENACH- und Talmudkommentare“.
Torat Kohanim: Erklärung der Tana’im (Mischna-Gelehrten) zu Sefer Wajikra. Wird oft in Raschi zitiert.
Rav Schlomo Breuer (1849 – 1926): Rabbiner der Israelitischen Religionsgesellschaft in Frankfurt a. M., Deutschland.
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Die Bearbeitung dieses Beitrages erfolgte durch Mitarbeiter des Jüfo-Zentrums in Zürich
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