Raw Frand zu Parschat Schemini 5763
Ein Angriff auf das Herz des jüdischen Volkes
Dieser Wochenabschnitt berichtet uns vom tragischen Tod der zwei ältesten Söhne Aron's. Auf dem Höhepunkt der Freude über die Einweihung des Stiftszeltes wurden Nadav und Avihu von einem "fremden Feuer" verzehrt, welches von Haschem gesandt worden war und sie tötete.
Der Talmud [Eruwin 63a] sagt uns: "Aron's Söhne starben erst, als sie eine halachische Entscheidung (jüdischer Rechtsspruch) in Gegenwart ihres Lehrers Mosche fällten" Unsere Weisen legen uns viele mögliche Erklärungen vor, weshalb Nadav und Avihu von einem so schrecklichen Schicksal heimgesucht wurden. Eine Erklärung aus dem Midrasch und Talmud begründet dies damit, dass sie ihren eigenen Richtspruch in Gegenwart ihres Lehrers Mosche kundtaten.
Die Halacha verbietet einem Schüler in Gegenwart seines Lehrers halachische Entscheidungen zu fällen. Wer dieses Verbot missachtet, ist todesschuldig. Dies erklärt auch den biblischen Ausdruck: "Sie brachten ein fremdes Feuer". Die Sünde bestand nicht in der Darbringung des Opfers; die Sünde bestand darin, dass sie eigenmächtig handelten, ohne sich mit ihrem Lehrer Mosche beraten zu haben.
Die Gemara in Eruwin berichtet weiter, dass ein Schüler von Rabbi Elieser in dessen Gegenwart ein halachisches Urteil fällte. Rabbi Elieser verkündete, dass dieser Schüler das Ende des Jahres nicht erleben würde - was auch wirklich eintraf.
Wenn wir darüber nachdenken, ist dies sehr schwer verständlich. Was ist denn schon so Schlimmes daran, eine halachische Frage im Beisein seines Lehrers zu beantworten? Wir anerkennen ja die Pflicht, einen Rav ("Kawod haRav") oder Talmudgelehrten zu ehren. Aber ist die Missachtung dieser Pflicht wirklich eine Todsünde? Das ist schwer zu verstehen. Ausserdem kennen wir die Regel, dass ein Rav auf Ehrerbietung verzichten kann ("Rav schemachal al kwodo, kwodo machul"). Ein Lehrer kann sagen: "Du musst wegen mir nicht aufstehen." Deshalb könnten wir doch annehmen, dass ein Lehrer auch Nachsicht zeigen kann, wenn ein Schüler in seiner Gegenwart eine halachische Entscheidung trifft. Warum zeigte Raw Elieser keine Nachsicht? Warum verkündete er mit Bestimmtheit, dass dieser Schüler noch im selben Jahr sterben würde?
Offensichtlich hilft in einer solchen Situation auch keine Mechila (Vergebung). Der Lehrer hat keine Möglichkeit zu vergeben. Warum nicht?
Der Mirrer Rosch Jeschiwa sz'l, Rav Chajim Schmulewitz, erklärt, dass die Sünde, in Gegenwart seines Lehrers eine halachische Entscheidung zu fällen, viel stärker an unseren Grundsätzen rüttelt, als eine Respektlosigkeit gegenüber dem Lehrer.
Der Talmud berichtet im Traktat Chagiga [14a], dass der Prophet Jeschajahu (Jesajas) vor der Zerstörung des Tempels zum jüdischen Volk kam und ihm 18 Flüche androhte. Er sprach von den schrecklichen Dingen, die es erleiden würde. In diesen Flüchen war auch enthalten: "Man wird im jüdischen Volk niemanden finden, der im Chumasch oder in der Mischna, im Talmud oder in der Agada bewandert ist; es wird keine Richter oder Propheten geben und niemanden, der befähigt wäre, in einer Jeschiwa zu sitzen." Der letzte Fluch jedoch war: "...sie werden hochmütig sein, die Jugend gegenüber dem Alter und die Geringen gegenüber den Ehrwürdigen" [Jeschajahu 3:5].
Wir können uns damit abfinden, mit Unwissenheit und ohne unsere Propheten leben zu müssen; wann jedoch beginnt der Abstieg von Klal Israel (jüdische Nation) zum absoluten Tiefpunkt? Wann sind wir an diesem Tiefpunkt angelangt? Wenn wir den Älteren die Ehrerbietung verweigern. Der Grund dafür ist darin zu suchen, dass das jüdische Volk mit einem Vogel verglichen wird. So wie ein Vogel ohne Flügel nicht fliegen kann, kann das jüdische Volk ohne seine Ältesten nicht existieren. Elefanten können ohne Flügel leben, Katzen können ohne Flügel auskommen, alle anderen Tiere brauchen auch keine Flügel - ausser dem Vogel.
Der Rest der Welt kann ohne seine Ältesten auskommen. Für die Ägypter, die Römer, die Franzosen, die Amerikaner und Italiener ist es nett, die ältere Generation zu haben - aber sie ist für ihre Existenz nicht notwendig. Das jüdische Volk ist jedoch nicht das jüdische Volk ohne seine Ältesten. Genau gleich wie die Flügel einen Vogel am Leben erhalten, halten die Ältesten Klal Israel über Wasser.
Deshalb war der grösste Fluch, den Jeschajahu dem jüdischen Volk vor dem Churban (Zerstörung des Tempels) androhte, dass sie eines Tages den Punkt erreichen würden, an dem die Jungen gegenüber den Älteren keinen Respekt mehr zeigen.
Darin, sagt Rav Chajim Schmulewitz, besteht das grosse Verbrechen, vor seinem Lehrer eine halachische Entscheidung zu fällen. Wenn Menschen ihre Meinungen darlegen und zu allen Aspekten des Lebens und der Halacha ihren Kommentar abgeben, ohne sich mit den Ältesten zu beraten, fügen sie uns allen ein grosses Unrecht zu. Sie nehmen uns unsere Gedolim (grossen Lehrer) weg. Das ist das Verbrechen von "Moreh Halacha lifnej Rabo", in Gegenwart seines Lehrers eine halachische Entscheidung zu fällen. Es ist kein privater Angriff auf den Lehrer, sondern stellt einen Angriff auf das innerste Wesen des jüdischen Volkes dar.
Wir sind ein Volk der Tradition. "Frage deinen Vater und er wird es dir sagen, deine Ältesten und sie werden dir berichten" [Dewarim 32:7]. Ohne diese Überlieferung und die Rücksprache mit den Ältesten, mit den Talmidej Chachamim (Talmudgelehrten) und der älteren Generation sind wir verloren. Deshalb fügt ein Schüler, der in Gegenwart seines Lehrers entscheidet, dem jüdischen Volk einen empfindlichen Schaden zu; er enthält dem jüdischen Volk etwas vor, das für seinen Weiterbestand dringend notwendig ist. Deshalb kann ein Lehrer diese schreckliche Sünde nicht verzeihen.
Das ist der Grund, warum die Freude über die Einweihung des Stiftszeltes mit dem Tod der zwei Söhne Aron's gedämpft werden musste - damit sich die Juden diese Lehre zu Herzen nehmen. Ohne unsere Ältesten sind wir kein Volk.
Quellen und Persönlichkeiten:
Rabbi Elieser (ca. 180): Gelehrter der Mischna und Schüler von Rabbi Akiva.
Rav Chajim Schmulewitz (1902 - 1978): Autor des Buches "Schaj Le'Torah "; Rosch Jeschiwa Mir; Litauen; Kobe; Jerusalem.
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