Zara’at (Aussatz) lehrt eine bedeutende Lektion über Negiut (persönliche Interessen) - Rav Frand Tasria 5782
Rav Frand zu Paraschat Tasria 5782
Ergänzungen: S. Weinmann
Zara’at (Aussatz) lehrt eine bedeutende Lektion über Negiut (persönliche Interessen)
Das Verfahren bei Nega’im (Aussatz) erfordert, dass der Kohen, der den Aussatz auf der Haut der Person betrachtet, entscheidet, ob es sich um Zara’at (unreinen Aussatz) handelt. Die Mischna sagt [Nega’im 2:5]: "Alle Aussatzschäden kann ein Mensch (Kohen) betrachten (und beurteilen), ausgenommen seine eigenen." Die einfache und korrekte Interpretation dieser Mischna ist, dass obwohl ein Kohen über Nega’im von anderen Leuten entscheidet, er nicht seine eigenen Aussatzschäden betrachten und darüber eine Entscheidung treffen kann.
Über die einfache und korrekte Interpretation dieser Mischa hinaus, kann man von der Formulierung dieser Halacha in der Mischna auch eine Lehre fürs Leben ziehen. Die Lehre fürs Leben ist, dass "alle Makel, kann ein Mensch sehen" – das heisst, dass ich andere Menschen betrachten und ihre Fehler bemerken kann. "Dieser Mensch ist jähzornig, dieser Mensch ist arrogant, dieser Mensch ist neidisch" und so weiter. Ich sehe jeden Fehler auf Erden bei anderen Leuten! Ausser "seinen eigenen Fehlern" – wir sehen unsere eigenen Fehler nicht. Sie können uns ins Auge springen, aber wir sehen sie nicht. Dies ist eine der grossen Herausforderungen des Lebens. Wir alle haben persönliche Interessen, die es uns nicht erlauben, unsere eigenen Mängel zu sehen. Wir sind uns dieser Neigungen nicht einmal bewusst. Ich sage immer, dass wenn man hört, wie ein Mensch sagt: "Ich mag no'gea beDawar (persönlich betroffen) sein, aber...", sollte man dem restlichen Teil des Satzes keine Aufmerksamkeit schenken. Es ist nicht möglich, dass "ich no'gea beDawar bin, aber...". Wenn jemand von der Angelegenheit betroffen ist, dann ist seine Meinung sicherlich persönlich gefärbt. Dies ist die Lektion fürs Leben in der Formulierung der Mischna "Alle Fehler kann ein Mensch sehen, jedoch nicht seine eigenen."
Ich will Ihnen zwei Vorfälle schildern, die dieses Phänomen anschaulich illustrieren.
Es gab einen Mann namens Rav David Mirer aus der Stadt Mir und einen zweiten Mann namens Rav David Nowardok aus der Stadt Nowardok. (In Europa wurden Menschen oft nicht mit ihrem eigenen Familiennamen benannt, sondern namens der Stadt, aus der sie stammten) Die Städte befanden sich nicht weit voneinander, und die zwei Davids kannten einander. Im Laufe ihrer Geschäftsverbindungen entstand ein Disput zwischen ihnen, den sie vor einen Din Tora (rabbinisches Schiedsgericht) brachten. Sie kamen zum grossen Rabbi Chajim Woloschiner, damit er ihren Fall entscheiden solle. Raw Chajim Woloschiner entschied zugunsten von Rav David Mirer. Rav David Nowardok empfand, dass Rav Chajim Woloschiner einen Fehler begangen hatte und dass er, Rav David Nowardok, in diesem Din Tora geschädigt worden sei. Raw Chajim Woloschiner war jedoch der Gadol Hador (einer der Tora-Grössen der damaligen Generation), und Raw David Nowardok konnte ihn nicht herausfordern. Er empfand jedoch die ganze Zeit, dass er den Fall zu Unrecht verloren hatte.
Mehrere Monate später traf Rabbi Chajim Woloschiner Raw David Nowardok und bat ihm um einen Gefallen: "Es gibt zwei Juden, die ich kenne, und die mich gebeten haben, ihren Din Tora anzuhören. Ich bin zu beschäftigt, um in ihrer Auseinandersetzung zu entscheiden. Würdest Du den Fall von mir übernehmen wollen? Ich werde dir sogar für deine vergeudete Zeit zehn Goldstücke bezahlen. Ich bitte dich, dass du den Fall übernimmst und ihn entscheidest."
Raw David Nowardoker akzeptierte den Auftrag. Er ging, um den Fall anzuhören und zu entscheiden. Die zwei Leute setzten sich vor ihn hin und jeder präsentierte seine Forderungen. Raw David Nowardoker entschied zugunsten der einen Partei. Raw Chajim Woloschiner fragte ihn später: "Nu, wem hast du recht gegeben?" Er antwortete: "Ich entschied für diese Person."
Plötzlich traf es ihn wie ein Blitzschlag. Es war genau derselbe Fall, den er mit Raw David Mirer gehabt hatte. Er konnte jedoch damals nicht sehen, dass seine Logik falsch war, weil es sich um seine eigene Tasche handelte. Als er jedoch dieselben Tatsachen bei anderen Personen sah, konnte er klar die Wahrheit sehen.
Nachdem Raw Chajim Woloschiner starb, kamen diese zwei Leute zu Raw David Nowardoker und erklärten ihm, dass sie nie einen Din Tora miteinander hatten. Es war eine Farce gewesen, die Raw Chajim Woloschiner mit ihnen arrangiert hatte. Er wollte Raw David Nowardoker eine Lehre erteilen – wenn es sich um dein eigenes Geld handelt, siehst du die Dinge nicht richtig.
Das Folgende ist ein noch erstaunlicherer Vorfall:
Der "SchaCh", Raw Schabbatai Kohen, einer der berühmtesten Kommentatoren des Schulchan Aruch hatte einst einen Din Tora mit einem anderen Juden. Niemand in der Stadt des "SchaCh" wollte jedoch den Fall entscheiden, weil sie nicht einen Fall übernehmen wollten, bei dem sie vielleicht gegen den Gadol Hador entscheiden müssten. Der Schach und sein Disputant beschlossen, in eine andere Stadt zu reisen, wo niemand den Schach kannte, und dort den Fall anhören zu lassen. Im 17. Jahrhundert wussten die Leute nicht, wie der Schach aussah. Es gab keine jüdischen Zeitungen und keine Bilder. Die Leute sahen nicht Bilder, wie der Schach sein Chamez verbrannte, seine Chanukkalichter anzündete oder bei einer Veranstaltung sprach – also wussten die Leute auch nicht, wie er aussah!
Sie reisten zu einem Raw in einer anderen Stadt. Der Schach erklärte seine Seite der Geschichte, und der Disputant erklärte seine Seite der Geschichte, und der Raw entschied gegen den Schach. Der Schach sagte: "Okay. Sie sind der Raw. Sie haben gepaskent (entschieden). Ich muss es akzeptieren. Sagen Sie mir jedoch bitte, warum Sie so gepaskent haben?" Der Raw erwiderte: "Ich habe auf Basis der Meinung des Schach – eines kürzlichen erschienenen Kommentars zu Choschen Mischpat (Teil des Schulchan Aruch, der sich mit finanziellen Angelegenheiten befasst) - gepaskent, und er zitierte genau den Absatz und den Paragraphen, wo der Entscheid des Schach aufgezeichnet war.
In diesem Moment war der Schach bestürzt. "Es ist ein eindeutiger Schach! Ich bin es (der diesen Kommentar geschrieben hat)!"
Obwohl jedoch der Schach in einem abstrakten Fall eindeutig geurteilt hatte, konnte er es nicht auf sich selbst anwenden. Er war geblendet durch seine persönliche Verwicklung in dieser Angelegenheit! Es war so, weil "ein Mensch über alle Fehler urteilen kann, jedoch nicht über seine eigenen Fehler". Wir sehen die Fehler von anderen, jedoch nicht die eigenen. Dies ist der beängstigende Teil bei Negiut, wenn persönliche Interessen vermischt sind.
Quellen und Persönlichkeiten:
1. Rabbi Schabbatai ben Meïr haKohen (1621-1662), Krakau (Polen), Wilna (Litauen) und Holešov (Mähren, heute Tschechien). Er war ein jüdischer Gelehrter, Rabbiner, Talmudist und Dezisor und einer der berühmtesten Kommentatoren des Schulchan Aruch. Bekannt mit dem Akronym SchaCh, nach seinem bedeutendsten Werk Siftej Kohen, einem Kommentar zum Schulchan Aruch, den er im Alter von 24 Jahren (!) in Krakau veröffentlichte.
2. Rabbi Chajim ben Jizchak von Woloschin (1749-1821): Berühmter Schüler des Wilnaer Gaon, Gründer der Jeschiwa von Woloschyn; Litauen (heute Weissrussland). Sein Hauptwerk ist die ethisch-kabbalistische Schrift Nefesch Hachajim. Weiteres Werk Ruach Chajim, Kommentar zu Pirkej Awot Die meisten seiner Werke wurden – noch als Manuskripte – 1815 durch einen Brand vernichtet.
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Die Bearbeitung dieses Beitrages erfolgte durch Mitarbeiter des Jüfo-Zentrums in Zürich
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