Der Allmächtige hat andere Regeln (Raw Frand Bamidbar 5781 und zum Schmitta-Jahr 5782)

Ergänzungen: S. Weinmann
Der Allmächtige hat andere Regeln
Das Sefer Bamidbar wird von den Weisen ‘Chomesch haPekudim’ [siehe z.B. Joma 68b] das "Buch der Zählungen" genannt. In Englisch wird es auch das ‘Buch der Zahlen’ genannt. Die dieswöchige Parascha enthält die erste der zwei Volkszählungen, die im Sefer Bamidbar erwähnt werden (die zweite Zählung findet in Paraschat Pinchas statt).
Ich habe eine interessante Betrachtung gesehen, die im Namen von Raw Chaskel Lewenstein sZl. zitiert wird: Wir treffen die Kategorisierung der Bevölkerung nach Stämmen an, jeder Stamm war ein Teil dieser Zählung. Die Bevölkerung des Stammes Dan betrug 62'700, während die Bevölkerung des Stammes Binjamin 35'400 betrug. Dies bedeutet, dass der Stamm Dan fast doppelt so zahlreich war wie derjenige Binjamins. In der Tat war der Stamm Dan der zweitbevölkerungsreichste aller Stämme. Nur der Stamm Jehuda war grösser als er.
Dies war vielleicht der Grund, dass der Stamm Dan als "Nachhut" fungierte – der letzte Stamm - am Ende des gesamten Lagers (in der Reise-Gliederung). Sie wurden [Bamidbar 10:25] "Me’assef lechol Hamachanot - der Schluss (die Sammler) des gesamten Lagers" genannt. Wenn eine Bevölkerung – mit Männern, Frauen und Kindern – von über vier Millionen Menschen als Teil des jüdischen Lagers reist, gibt es zwangsläufig viele verlorene Gegenstände. Der Stamm Dan hob alle verlorenen Gegenstände auf und diente als Fundbüro für das restliche Volk.
Diese Tatsache ist seltsam. Wenn wir auf den Wochenabschnitt Wajigasch zurückblicken, der die "zweite Generation" der verschiedenen Stämme Israels auflistet, dann finden wir dort, dass Binjamin zehn Söhne hatte, während Dan nur einen einzigen Sohn hatte. Zusätzlich war Dan's einziger Sohn behindert. Chuschim, der Sohn von Dan, war taub.
Als die Juden nach Ägypten zogen hätte jede statistische Tabelle ergeben und jede demografische Prognose vorausgesagt, dass der Stamm Binjamin zur Zeit des Auszugs aus Ägypten mindestens zehnmal grösser sein würde als der Stamm Dan. Jedoch das Gegenteil trat ein.
Daraus kann man etwas Wichtiges lernen. Die Lehre, die wir daraus ziehen, ist, dass "viele Gedanken sich im Herzen des Menschen befinden, jedoch G"ttes Plan wird ausgeführt werden." (Mischlej/Sprüche 19:21). All diese Prophezeiungen bezüglich der Frage, wie viele Kinder jemand haben wird oder wie gesund oder reich sie sein werden, müssen mit Vorsicht aufgenommen werden. Diese Angelegenheiten werden nicht von uns bestimmt. Sie liegen in den Händen von Haschem. Falls der Ewige etwas geschehen lassen will, wird Er es geschehen lassen; wenn Er es nicht will, wird es nicht geschehen.
Die Tora sendet uns hier eine Botschaft. Schaut, was mit dem Stamm Dan geschehen ist. Betrachtet das grosse Ausmass dieser Familie in Klall Jisrael, die mit einem einzigen behinderten Kind begann.
Der Ramban erwähnt einen ähnlichen Gedanken bezüglich des Stammes Lewi. Er schreibt, dass die Lewijim vom Alter von 30 Tagen an gezählt wurden, nicht wie die anderen Stämme, die erst vom Alter von zwanzig Jahren an gezählt wurden. Aufgrund dieser veränderten Richtlinie für ihre Zählung hätten wir erwartet, dass der Stamm Lewi die grösste Zahl von Menschen haben würde. Dies war jedoch nicht der Fall. In Wirklichkeit zählten sie nur 22'300 Menschen [siehe Raschi Bamidbar 3:39]. Noch erstaunlicher ist die Tatsache, dass es nur 8'580 Lewijim im Alter von 30 bis 50 Jahren gab [Bamidbar 4:47-48]! Wie war es möglich, fragt der Ramban, dass der Stamm Lewi – die Armee von Haschem – so wenig Menschen hatte? Das macht doch keinen Sinn! Wir hätten erwartet, dass dieser Stamm der bevölkerungsreichste und am stärksten gebenschte aller Familien Israels sein würde.
Der Ramban [Bamidbar 3:14] antwortet, dass diese Merkwürdigkeit die Lehre des Midrasch Tanchuma [Wa’era 6] bekräftigt, dass der Stamm Lewi nicht in der ägyptischen Sklaverei und der schweren körperlichen Arbeit eingeordnet war, über die geschrieben steht: "Je mehr die Ägypter es (das Volk) quälte, desto mehr vermehrte es sich" (Schemot 1:12). Obwohl der Stamm, der in Ägypten nicht leiden musste und nicht verfolgt wurde, bevölkerungsreicher hätte sein sollen als die anderen Stämme, war es der Wille von Haschem, dass gerade das Gegenteil geschah. Derjenige Teil der Nation, der verfolgt wurde, war genau derjenige, der mit aussergewöhnlichen Geburtsraten gesegnet war, wie Raschi anfangs Schemot [1:7] den Midrasch Tanchuma [Schemot 5] zitiert: „Sie gebaren sechs in einem Mutterschoss“.
Dieses der Intuition widersprechende Resultat, das auf dem G"ttlichen Plan und Wille basiert, ist eine Regel, der wir in der Tora und in der gesamten jüdischen Geschichte immer wieder begegnen.
Dies ist zum Beispiel die Lektion des Schemitta-Jahres. Die Tora lehrt uns, das Land im siebten Jahr des Schmitta-Zyklus brachliegen zu lassen. Was geschieht, wenn man ein Jahr lang nicht arbeitet? Man hat keine Parnassa (Einkommen)! Da spricht der Herr der Welt: "Würdest du sagen: Was sollen wir essen im siebenten Jahr? Denn wir säen nicht, so sammeln wir auch kein Getreide ein. Da will ich meinem Segen über euch im sechsten Jahr gebieten; das er einen Ertrag für drei Jahre machen soll [Wajikra 25:20-21]."
Die Regeln des Allmächtigen bezüglich des Zusammenhanges von "Ursache und Wirkung" sind nicht die gleichen wie diejenigen der ganzen Welt.
In Europa gab es einen Brauch, dass die Leute vor dem Dawenen von Ma’ariv am Ende von Schabbat Tehillim (Psalm) sagten. Ein Jude kam einst an einem Moza’ej Schabbat (Ausgang von Schabbat) vor Ma’ariv in Schul und sah, wie ein anderer Jude sich die Augen ausweinte. Nach Ma’ariv ging er zu diesem Juden hin und fragte ihn: "Warum bist du so verzweifelt? Warum bist du so verstört?" Er antwortete: "Die ganze Woche arbeite ich ausserhalb der Stadt; nur auf Schabbat komme ich nach Hause. Ich habe eine Tochter, die keinen Schidduch (Heiratspartner) finden kann, weil ich kein Geld für ihren ‘Nadan’ (ihre Mitgift) habe. Ich werde am Schabbat so betrübt - wenn ich das Schicksal meiner Tochter sehe - sodass ich, wenn wir am Ende von Schabbat gemeinsam Tehillim sagen, zusammenbreche und allen meinen Gefühlen freien Lauf lasse. Die ganze Woche bin ich nicht in der Nähe meiner Familie und sehe deshalb nicht ihren Kummer, aber wenn ich dann den ganzen Schabbat mit ihr verbringe, schmerzt es mich, sodass am Moza’ej Schabbat beim Tehillim-Sagen alles aus mir herausbricht."
Der zweite Jude sagte ihm: Hör zu, wir haben etwas Gemeinsames. Wir haben beide kein Geld. Du hast eine Tochter. Ich habe einen Sohn. Lass uns einen Schidduch zwischen unseren Kindern machen. So geschah es. Die zwei armen Leute der Stadt schlossen einen Schidduch mit ihren Kindern. Was würden wir erwarten, dass aus diesem Ehepaar hervorgehen würde?
In Wirklichkeit hatte das Ehepaar fünf Söhne, die alle berühmte Tora-Gelehrte wurden. Einer von ihnen war der Kezot Hachoschen. Ein zweiter schrieb das Werk Kuntras Hassefejkot. Dies entstand aus einem Verzweiflungs-Schidduch, weil sie zu arm waren, um jemand anderen heiraten zu können. Man weiss nie "von wo kommt meine Hilfe" [Tehillim 121:1].
[Anmerkung des Herausgebers: Der Steipeler Gaon, Rav Jisrael Ja’akow Kanjewski, erzählte die Geschichte etwas anders, aber die Lehre ist die gleiche:
Ein Jehudi kam zum Steipeler und beklagte sich: “Für meine Tochter bietet sich ein herrlicher Schidduch an, jedoch habe ich keinen Cent, um die Tochter zu verheiraten.“ Da sagte der Steipeler zu ihm: Komm, ich werde dir eine Begebenheit erzählen, die ich vom Chafez Chajim gehört habe. “In einer kleinen Stadt in Litauen wollten sich zwei angesehene, aber sehr arme Familien, meschadech sein (ihre Kinder miteinander vermählen lassen). Jedoch hatten beide nichts.
Da kamen sie zum Rav (Rav Chajim Zanser aus Brody) und erzählten ihm ihr Problem: „Wovon soll das junge Paar nach der Heirat leben?“ fragten sie ihn. „Was ist hier das Problem?“ entgegnete ihnen der Rav, “der Bräutigam kann ja weiter bei seinen Eltern essen, wie bis anhin und das gleiche die Braut.“ Die jungen Leute heirateten und jeder ass seine Mahlzeiten - wie bis anhin - bei den Eltern.
„Weißt du, wer diesem armen Paar entstammte? Der Kezot Hachoschen!“]
Quellen und Persönlichkeiten:
- Midrasch Tanchuma: Sammlung von Erklärungen und Aggadot zum Chumasch. Wird nach dem Amora (Talmudgelehrten) Rabbi Tanchuma Bar Abbabenannt, da er am häufigsten in diesem Midrasch zitiert wird. Er war ein jüdischer Amora der 6. Generation, einer der bedeutendsten Aggadisten seiner Zeit.
- Raschi (1040-1105) [Rabbi Schlomo ben Jizchak]; Troyes (Frankreich) und Worms (Deutschland); „Vater aller TENACH- und Talmudkommentare“.
- Ramban: Rabbi Mosche ben Nachman (1194 - 1270); Gerona, Spanien; Erez Jisrael; einer der führenden Toragelehrten (Rischonim) des Mittelalters, einer der Haupterklärer des Chumasch (fünf Bücher Moses), wie Verfasser weiterer Werke in Haschkafa (Kitwej haRamba“n) und Abhandlungen zum Talmud.
- Rabbi Arjeh Leib HaCohen Heller(1745 - 1812); Kalusch, Stryi (Galizien). Rabbiner, grosser Talmud-Gelehrter und Halacha-Spezialist. Er war ein Nachkomme von Rabbi Yom-Tov Lipmann Heller in fünfter Generation. Er wurde als "der Kezos" bekannt, basierend auf seinem Hauptwerk Kezot Hachoschen. Weitere Werke: Awnej Milu’im und Schew Schmat’sa.
- Rabbi Jehuda Heller-Kahane(1743-1819); Kalusch (Galizien), Siget (heute Rumänien). Rabbiner, grosser Talmud-Gelehrter und Halacha-Spezialist. Er wurde als "der Kuntras Hassefejkot" bekannt, basierend auf dem Namen seines Werkes. Bruder des "Kezos".
- Rav Jecheskel (Chaskel) Lewenstein (1884 – 1974): Maschgiach (geistiger Leiter) der Jeschiwot von Mir und Poniwesch, Litauen, USA, Israel.
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Die Bearbeitung des Beitrages dieser Woche erfolgte durch Mitarbeiter des Jüfo-Zentrums in Zürich
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