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„Statistische“ Grausamkeit (Rav Frand, Beha'alotecha 5783 - Beitrag 1)

Raw Frand zu Paraschat Beha'alotecha 5783 - Beitrag 1

„Statistische“ Grausamkeit

Der Rambam (Maimonides) schreibt in seine Werk Mischne Tora [Hilchot Ta’anijot Kapitel 1:1]: „Es ist ein positives Tora-Gebot, zu schreien und Posaunen zu blasen, über jedes Unglück, das der Gemeinde zustösst, wie es heisst in Bamidbar [10:9]: „Wenn ihr in eurem Lande gegen den Feind, der euch bedrängt, zur Schlacht auszieht, so sollt ihr mit den Trompeten Lärm blasen: dann werdet ihr dem Ewigen, eurem G-tt, in Erinnerung kommen und vor euren Feinden gerettet werden.“ 

Der Rambam fährt fort: „[Dieses Gebot ist nicht nur auf diesen begrenzten Geltungsbereich beschränkt; vielmehr] ist die Absicht: Wann immer sie sich in einer Notlage befinden, wie z.B. Hungersnot (Armut), Pest (Krankheiten), Heuschrecken oder dergleichen – schreien sie deswegen [zu G-tt] und lassen sie die Posaunen erschallen.

Der Rambam bezieht sich auf einen Passuk des dieswöchigen Abschnittes und erklärt, dass jedes Unglück und Leid, das der Gemeinde zustösst, ein Wehklagen und das Blasen der Trompeten erfordert.

Gemäss einigen Meinungen ist dieses Gesetz sogar heutzutage noch gültig - in Erez Jisrael. Nach anderen Meinungen, wird es nur (wieder) angewendet werden, wenn das Bejt HaMikdasch (Tempel) gebaut sein wird.

Der Rambam erklärt weiter [ibid. 1:2], dass dies Teil des Teschuwa- (Reue-) Prozesses ist. Wenn wir Juden die Trompeten hören, dann wissen wir, dass uns die Schwierigkeiten wegen unseren eigenen Handlungen befallen. Diese Selbstprüfung, die Entschlossenheit zu bereuen und die Verbesserung unserer gemeinsamen und individuellen Verhaltensweisen werden schlussendlich die Schicksalsschläge abwenden.

Der Rambam sagt jedoch [ibid. 1:3]: „Wenn die Gemeinde nicht mit Blasen und Beten reagiert, nicht bereut und ihre Denkweise ändert, sondern die Schicksalsschläge vielmehr dem „Lauf der Welt“ zuschreibt, einem statistischen Zufall, den „Gegebenheiten des Lebens“, so ist dies „Derech Achsariut“ (der „Weg der Grausamkeit“). Diese Haltung verursacht, dass die Menschen ihre schlechten Wege beibehalten und damit bewirken, dass G’tt „weiter solche Schicksalsschläge“ hinzufügen wird.

Dieser Ausdruck des Rambams, „Derech Achsariut“, hat mich immer gestört. Wenn der Rambam es „der Weg der Ketzer“ oder „der Weg der Narren“ genannt hätte, hätte mich das nicht gestört, aber „der Weg der Grausamkeit“ ist eine verblüffende Wortwahl. Was hat dies mit Grausamkeit zu tun?

Nicht lange her, hörte ich eine interessante Erklärung von Rav Nosson Scherman zur Bedeutung dieses Rambam. Rav Scherman verglich diesen Sachverhalt mit dem Geschehen an einer Kreuzung in der Nachbarschaft, an der sich laufend Unfälle ereignen. Es ist einfach eine schreckliche Ecke. Immer wieder: Noch ein Unfall, noch ein Mensch, welcher tödlich verletzt wird.

Jemand wendet sich an die Regierung und verlangt, dass sie etwas hinsichtlich dieser Kreuzung unternehmen soll. „Stellt ein Stoppsignal hin. Stellt eine Ampel auf. Tut irgendetwas – da draussen spielt sich ein Gemetzel ab!“

Der Bürokrat antwortet: „Nein, die Abteilung hat entschieden, dass es keinen Bedarf für ein Stoppsignal gibt.“ So ein Bürokrat ist grausam, weil er das Blutbad aufhalten und Unfälle verhindern könnte. Er ist aber nicht bereit, etwas dagegen zu tun. Es ist einfach grausam, ein Blutvergiessen verhindern zu können und es nicht zu tun, obwohl man die nötigen Mittel dazu besässe.

Das ist es, was der Rambam uns sagen will. Unglücke treffen eine Gemeinde und die Gemeinde könnte etwas dagegen tun, weil das Blasen der Trompeten und Teschuwa (Reue und Verbesserung unserer Taten) die Probleme abwenden würden. Die Gemeinde unterlässt es jedoch, etwas gegen die Unglücksfälle zu unternehmen und sie den „Realitäten des Lebens“ zuschreibt. Eine solche Gemeinde ist grausam zu ihren eigenen Mitgliedern.

Wenn wir sehen, dass Dinge in unseren Gemeinden schief gehen, neigen wir so oft dazu zu sagen: „Nun gut, so ist es einfach.“ Das ist grausam. Das ist nicht die Reaktion, welche die Tora von uns erwartet. Die Tora will, dass wir ein Stoppsignal aufstellen, dass wir anhalten, denken, reagieren und versuchen, uns zu bessern. Eine Gemeinde, die keine Reaktion zeigt, ist genau so gemein und grausam wie ein Bürokrat, der es versäumt, an einer unheilvollen Kreuzung ein Stoppsignal aufzustellen.

Quellen und Persönlichkeiten:

 

Rambam, Rabbi Mosche ben Maimon (Maimonides) (1135 – 1204); Spanien, Ägypten, Israel. Einer der bedeutendsten Rischonim, seine Hauptwerke sind: Das umfassende Werk zum jüdischen Recht „Mischne Tora-Jad Hachsaka“, Erklärung zur Mischna und „Moreh Newuchim (Führer der Irrenden / Unschlüssigen), wie weitere Werke.

Rav Nosson Scherman (geb. 1935 in Newark, New Jersey). Er ist ein amerikanischer Rabbiner, der vor allem als Chefredakteur von ArtScroll/Mesorah Publications bekannt geworden ist. In den ersten 25 Jahren (1975 – 2000) produzierte ArtScroll mehr als 700 Bücher, darunter Erzählungen , Geschichtsbücher, Kinderbücher und weltliche Lehrbücher,  und ist heute der grösste Verlag jüdischer Bücher in den Vereinigten Staaten.  Rabbi Scherman steuerte Übersetzungen und Kommentare für ArtScrolls Stone Chumash, ArtScroll Siddurim und Machsorim und Stone Tenach bei. Von 1990 bis 2005 war er Hauptherausgeber der 73-bändigen Schottenstein-Übersetzung des Talmud in Englisch. Danach folgte die Übersetzung in Hebräisch und Französisch

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Die Bearbeitung dieses Beitrages erfolgte durch Mitarbeiter des Jüfo-Zentrums in Zürich

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