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Warum die Mizwa von Zizit freiwillig und nicht obligatorisch ist - (Rav Frand, Schelach Lecha 5782)

Rav Frand zu Paraschat Schelach Lecha

 

Warum die Mizwa von Zizit freiwillig und nicht obligatorisch ist

Raw Ascher Weiss stellt in seinem Sefer (Buch) Minchas Ascher auf Chumasch eine sehr interessante Frage. Der Talmud  sagt, dass die Mizwa von Zizit (Schaufäden) allen anderen Mizwot der Tora ebenbürtig ist (Traktate Nedarim 25a und Menachot 43b, Raschi am Ende dieser Parascha). Sie ist eine Mizwa, die eigentlich sehr leicht erfüllt werden kann. Ein Mensch muss nur in einen Judaica Laden gehen, sich für zwanzig Dollar einen Tallit Katan besorgen und ihn tragen, um die Mizwa von Zizit zu erfüllen.

Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie – und viele Leute wissen dies nicht – dass ein Mensch gar nicht verpflichtet ist Zizit zu tragen. Das technische Erfordernis der Mizwa von Zizit ist, dass jemand, der ein Kleidungsstück mit vier Ecken trägt, Zizit an den Ecken des Kleidungsstücks anbringen muss. Wenn ein Mensch kein solches Kleidungsstück trägt – und streng genommen haben alle Kleider, die wir heute tragen, keine "vier Ecken" – muss er keine Zizit tragen. Sogar jemand, der einen Frack im litauischen Stil trägt (was unter vielen Raschej Jeschiwa üblich ist), der im Rücken einen langen Schlitz hat und so aussieht, wie wenn er ein "viereckiges" Kleidungsstück ist, muss daran keine Zizit anbringen. Der Grund dafür ist, dass eine der Ecken immer abgerundet ist – schauen Sie selbst nächstes Mal nach, wenn Sie jemanden sehen, der solch einen Frack trägt.

Genau genommen ist ein Mensch nicht gezwungen Zizit zu tragen. Jedoch schreibt der Tur und auch der Schulchan Aruch [24:1], dass jeder Mensch, der Intelligenz besitzt, von dieser speziellen Mizwa Gebrauch macht, dies wegen der Garantie, dass "wenn ihr sie (die Zizit) sehet, ihr an alle Gebote des Ewigen denkt und sie haltet" [Bamidbar 15:39]. Es besteht also eine besondere Segula (Schutz, Heilmittel), wenn man Zizit trägt; demzufolge wird jeder, der einen Wunsch für Verbundenheit mit dem Allmächtigen und Seinen Mizwot hat, sich ein spezielles viereckiges Kleidungsstück erwerben, um diese wunderbare Mizwa zu erfüllen. Der Talmud bringt noch weitere grosse Belohnungen für diese Mizwa, die der Tur [ibid.] zitiert. Aber streng genommen ist ein Mensch nicht verpflichtet Zizit zu tragen.

Der Minchas Ascher stellt die Frage: Wenn dies solch eine spezielle Mizwa ist, warum verpflichtete die Tora uns nicht dazu? Wir sagen nicht: Wenn du ein Paar Tefillin hast, dann ziehe sie am Morgen an. Nein. Wir müssen am Morgen Tefillin legen. Wenn jemand keine Tefillin legt, verletzt er ein positives Gebot. Jemand, der nicht Keriat Schema sagt, verletzt und vernachlässigt ein positives Gebot. Wenn jemand am Rosch Haschana kein Schofar hört, vernachlässigt er ein positives Gebot. Warum ist jedoch alles in Ordnung, wenn jemand keine Zizit trägt? Wie kann dies der Fall sein, wenn wir über eine Mizwa sprechen, die "allen Mizwot ebenbürtig" ist? Es ist ein Paradox. Es ist unverständlich.

Raw Ascher Weiss behandelt diese Angelegenheit mit einem Zitat aus einer Talmudstelle in Menachot (43b): Rabbi Meir pflegte zu sagen: "Grösser ist die Strafe (für das Nicht-Tragen) der weissen (Fäden) als die Strafe (für das Nichttragen) der Techelet-Fäden. Die Tora schreibt vor, dass die Fäden, die wir an den Ecken unseres viereckigen Kleidungsstückes anbringen, sowohl weisse als auch Techelet- (dunkelblaue) Fäden enthalten müssen. Leider ist nach der Zerstörung des Zweiten Tempels, im Laufe der Jahrhunderte, dem jüdischen Volk die Identität der Farbstoffquelle verlorengegangen, weshalb nur noch weisse Schaufäden getragen wurden.

Der Techelet war immer sehr teurer und schwierig herzustellen. Sie müssen vom Farbstoff eines Wasserlebewesens namens "Chilason" hergestellt werden.

[Anmerkung des Herausgebers: Im Jahre 1883 begann der Radsiner Rebbe, Rabbi Chanoch Henich Leiner, die Techelet-Farbe von einem gewissen Tintenfisch herzustellen. Das löste damals in der jüdischen Welt, zwischen den Rabbiner und Dezisoren, eine grosse Diskussion aus.   

Seit rund 30 Jahren wird der Techelet-Farbstoff hauptsächlich aus der Hypobranchialdrüse von Hexaplex trunculus Meeresschnecken gewonnen. Viele Chemiker und Meeresbiologen kamen zum Schluss – nach Auswertungen von archäologischen Ausgrabungen von alten Techelet Herstellungszentren – dass dies der Techelet der Tora sei. Es gibt bereits hunderttausende Juden, die diese Techelet-Fäden in ihren Ziziot tragen. Der grösste Teil des jüdischen Volkes möchte aus verschiedenen Gründen nicht vom Brauch ihrer Vorfahren abweichen und tragen nur die weissen Fäden in den Ziziot]

Deshalb sagt die Gemara, dass falls ein Mensch es unterlässt, Techelet auf seinen Zizit anzubringen, die Strafe nicht so schlimm ist. Gegen einen Menschen jedoch, der keine weissen Fäden anbringt, die ja leicht zu erhalten sind, hat der Allmächtige eine beträchtliche Klage.

Rabbi Meir unterstützt seine Erklärung mit einer Analogie und sagt: "Dies kann mit einem irdischen König verglichen werden, der zwei Dienern Aufträge erteilte. Einen Diener beauftragte er, für ihn ein Siegel, das aus Ton hergestellt war, zu erwerben, den zweiten Diener bat er, für ihn ein Siegel, das aus Gold hergestellt war, zu kaufen. Beide waren fahrlässig und taten nicht, worum sie gebeten wurden. Wer wird die grössere Bestrafung erhalten? Eindeutig verdient der Diener, der beauftragt wurde, das Siegel aus Ton zu erwerben, das leicht erhältlich ist, eine grössere Strafe als der Diener, der beauftragt wurde, das schwer erhältliche goldene Siegel zu kaufen."

Die Analogie des Talmuds bezieht sich auf die Zizit als "Siegel aus Ton". Tossafot erklärt zur Stelle [Menachot 43b], dass Siegel aus Ton üblicherweise an die Körper von Sklaven angebracht wurden, um zu zeigen, dass sie einem gewissen Besitzer gehörten. Ebenso sind unsere Zizit unser "Siegel", die darauf hinweisen, dass auch wir Sklaven sind. Obwohl das Wort "Knecht" (Ewed) oder sogar "Diener" das Ohr und die Empfindsamkeit des modernen Menschen verletzt, ist dies im Judentum nicht der Fall. Wir sind stolz auf die Tatsache, dass G-tt sagt "Awadei hem" (sie sind Meine Sklaven) [Wajikra 25:42 und 25:55]. Wir sind "Diener des Herrn".

Wenn dies der Fall ist, sagt der Minchas Ascher, ist es eine viel grössere Manifestation, wenn jemand sich freiwillig zum "Sklaven" des Allmächtigen erklärt, als wenn jemand gezwungen wird, dieses Kennzeichen der Sklaverei zu tragen. Aus diesem Grund sind Zizit keine verpflichtende Mizwa.

Tefillin? Ja. Schofar? Ja. Mazza? Ja. Das erklärte Ziel von Zizit ist jedoch eine Kundmachung, eine Demonstration des "Ich bin Dein Sklave. Ich akzeptiere Dich als meinen Herrn." Wenn ein Mensch gezwungen wird, Zizit anzuziehen, ertönt die Erklärung nicht so laut. Sie ist nicht so klar. Wenn ich gehe und freiwillig diese Zizit kaufe, erkläre ich: "Allmächtiger, ich will dein Sklave sein."

Quellen und Persönlichkeiten:

Tossafot ("Tossafisten"): Talmuderklärer des 12. und 13. Jahrhunderts. Einige unter ihnen waren Enkel von Raschi.

Rabbi Ja‘akov ben Ascher (1269 – 1343): Köln (Deutschland), Toledo (Spanien). Er war eine halachische Autorität des Mittelalters. Er verfasste berühmte Werke wie die "Arba’a Turim" ("vier Reihen", da sein Werk vier Gesetzesabteilungen umfasst), oft nur mit dem Kürzel "Tur" genannt, eine der ersten kompletten jüdischen Gesetzessammlungen, die Basis unseres Schulchan Aruch’s (Gesetzbuch) von Rabbi Josef Karo. Seine Tora-Erklärung wird deshalb "Ba’al HaTurim" (Meister der Turim) genannt.

Rabbi Josef ben Efrajim Karo (1488 – 1575); Verfasser des Schulchan Aruch. Toledo (Spanien),  Istanbul und Adrianopel (Türkei), Saloniki (Griechenland), Zefat/Safed (Israel). Seine Familie floh bei der Vertreibung der Juden aus Spanien (1492) und Portugal (1497) in das Osmanische Reich. Er studierte zunächst bei seinem Vater, der selbst ein gelehrter Talmudkenner war. 1522 begann er mit der Niederschrift seines Hauptwerks Bejt Josef (Erklärung zu den Arba Turim) und zog 1536 nach Zefat. Dort verfasste er den Schulchan Aruch („gedeckter Tisch“), den noch heute gültigen jüdischen Gesetzeskodex. Als Basis seines Werkes dienten ihm die "Arba’a Turim" ("vier Reihen", ein Werk der vier Gesetzesabteilungen umfasst) von Rabbi Ja‘akov ben Ascher (1269 – 1343).

Rabbi Gershon Chanoch Henech Leiner von Radzyn (1839 - 1890), der 3. Rebbe der Isbitza-Radzin-Dynastie. Er war ein grosser Talmudgelehrter und Mekubal. Er schrieb unzählige Werke. Er war ein Genie, er war auch in mehreren wissenschaftlichen Bereichen wie Chemie, Ingenieurwesen und Medizin äusserst sachkundig . Er sprach mehrere Sprachen fliessend und benutzte sie häufig, während er den unzähligen Menschen, die sich hilfesuchend an ihn wandten, Medikamente auf Latein verschrieb. Sehr berühmt wurde er durch seine unermüdliche Forschung und Arbeit für die Wiederherstellung der Techelet der Zizit. 

Rav Oscher Selig Weiss (geb.  1953); als grosse Tora-Persönlichkeit der Generation bekannt. Er ist ein Possek (Dezisor), Rosch Kollel von Machon Minchas Oscher, Rosch Jeshiwa Darchej Torah und Autor von den Büchern Minchas Oscher, zur Thora und Moadim und tausenden Responsen zu unzähligen Themen. Er erteilt Schiurim in Englisch, Hebräisch und Jiddisch. Zusätzlich zu seinem strengen Tagesplan des Lernens, Lehrens, Beratens und Schreibens dient Rav Weiss als Possek für das Shaarei Tzedek Medical Center, unterhält ein Bejt Din leHora'ah, Bejt Din Tzedek Darchei Torah und leitet div. Kollelim.

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