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Die Nationen der Welt sind eine Nicht-Propheten-Organisation (Raw Frand Balak 5781)

Ergänzungen: S. Weinmann

Die Nationen der Welt sind eine Nicht-Propheten-Organisation

Paraschat Balak enthält die Berachot (Segen) von Bil’am, als er angeworben wurde, das jüdische Volk zu verfluchen. Er beabsichtigte, es zu verfluchen, aber segnete es stattdessen, grösstenteils gezwungenermassen.  Chasal (unsere Weisen) sagen, dass Bil’am ein Prophet war. Nicht nur war er ein gewöhnlicher Prophet, sondern Chasal [Midrasch Sifri zur Stelle] folgern vom Passuk "Es stand aber in Israel kein Prophet mehr auf wie Mosche" (Dewarim 34:10), dass in Israel solch ein Prophet nie wieder aufkam, dass jedoch ein Prophet dieses Formats unter den Nationen der Welt aufkam, und dies war Bil’am!

Zu Beginn von Paraschat Balak behandelt Raschi die offensichtliche Frage: Warum tat der Ribbono schel Olam (Herr der Welt) solches? Warum gab Er Bil’am solch weitreichende prophetische Fähigkeiten? Der Rambam (Maimonides) in Hilchot Jesodej HaTora [Kapitel 7] sagt, dass es, um einer Prophetie würdig zu sein, Voraussetzungen einer Geistigkeit und eines erhabenen Status bedarf. Ein Mensch muss weise, gerecht, heilig und bescheiden sein, um dazu qualifiziert zu sein.

Er schreibt dort: ‘Es ist eine der Grundlagen unseres Glaubens, dass G-tt den Menschen Prophezeiungen übermittelt. Prophezeiung wird nur einem sehr weisen Gelehrten verliehen, der über grosse Charakterstärke verfügt und der sich niemals von seinen Leidenschaften beherrschen lässt. Stattdessen beherrscht er jederzeit seine Leidenschaften mit seinem Verstand. Er muss [auch] sehr breitgefächerte und richtige Charaktereigenschaften besitzen.

Eine Person, die all diese Eigenschaften besitzt und [auch] körperlich gesund ist (in einem kranken Zustand sind g-ttliche Erkenntnisse schwer aufzunehmen), ist für Prophezeiungen geeignet. Sobald er den ‘Pardess’ (‘g-ttlichen Garten’) betritt, sich dem Studium dieser tiefgreifenden und erhabenen Themen hingibt und die nötige Einsicht gewinnt, sie zu verstehen und zu begreifen, wird er immer mehr veredelt und heilig. Er löst sich aus dem Treiben der allgemeinen Menschheit, welche sich [nur] innerhalb des engstirnigen Zeitgeistes ihrer Epoche (wörtlich: in der Finsternis ihrer Zeit) bewegt. Er muss sich weiterhin eifrig verbessern (schulen) und sein ganzes Sinnen darauf richten, überhaupt keinen Gedanken an nutzlosen Kram, törichten Zeitvertreib oder anderen Mumpitz (dieser Art) zu verschwenden.  

Vielmehr sollte er sein ganzes Trachten ununterbrochen nach oben richten, (seinen Geist) zum Thron G-ttes anheben, so dass er [einen Einblick] in die [Sphären der Engel in ihren] erhabenen und heiligen Formen gewinnt und die Weisheit des Heiligen, gelobt sei er, in ihrer Gesamtheit erkennt, [so wie sie sich in ihren mannigfaltigen Formen, angefangen] von der erhabensten [Engels]form bis zu den Tiefen (wörtlich: bis zum Nabel) der Erde (offenbart). Daraus wird er             [G-ttes] Grösse kennenlernen. [Sobald er all diese Stadien seiner Selbsterziehung abgeschlossen hat], wird ihm sofort die Gabe der Prophetie zu teil (wörtlich: wird der g-ttliche Geist auf ihm ruhen).

Sobald auf ihm der Geist der Prophetie ruht, vereint sich seine Seele mit jener Ebene, in der sich die ‘Ischim’ genannten Engel befinden. Er verwandelt sich zu einer ganz anderen Person und verfügt [nun] über eine Erkenntnisfähigkeit (ein Wissen), die sich in keiner Weise mit seinem bisherigen (Begriffsvermögen) vergleichen lässt. Er steigt über das Niveau aller anderen Weisen seiner Zeit, wie (der Prophet Schemu’el/Samuel) es Schaul [Schmuel I. 10,6] vorhersagte: ‘[Der Geist G-ttes wird auf dir ruhen] und du wirst mit ihnen weissagen und du wirst dich in eine andere Person verwandeln.’

Nun stellt sich die grosse Frage: Warum erhielt Bil’am, der sitten- und charakterlos war und keine der benötigten Eigenschaften besass, die Prophetie?

Raschi antwortet, dass Haschem Bil’am dieses Geschenk gab, damit die Nationen der Welt keine Klage gegen Ihn erheben können. Haschem gab Bil’am Prophetie, um die Behauptung "Hätten wir einen Propheten gehabt, so hätten wir uns (auch) gebessert", zu verhindern. Sie hätten behauptet: "Wir besassen keine Chancengleichheit. Wir hatten keine Aussicht auf (geistigen) Erfolg. Israel hatte einen Mosche Rabbejnu und andere Propheten, und wir hatten niemanden."

Viele stellen diese Erklärung von Raschi in Frage. Es ist immer noch keine Chancengleichheit!

Hätte Haschem ihnen einen Mosche, einen Schmuel Hanawi, einen Jeschaja Hanawi, einen Jescheskel oder sogar einen der zwölf kleineren Propheten gegeben, hätte Er die Behauptung der Nationen, dass sie keine Aussicht auf Erfolg hatten, verhindern können. Mosche war ein perfektes Menschenwesen. Wenn er sprach, waren die Menschen beeindruckt und hörten ihm zu. Die Nationen der Welt jedoch erhielten einen Bil’am! Bil’am war ein Beispiel für alles, was ein Mensch nicht sein sollte. Er war arrogant. Er war wollüstig. Er hatte ein böses Auge. Er war geizig. Er war verdorben. Bil’am war sicherlich kein Vorbild für ein verbessertes Verhalten, eher umgekehrt. Die Behauptung "es ist nicht fair" kann immer noch erhoben werden.

Ich hörte eine interessante Erklärung zu dieser Frage im Namen von Rav Ja’akow Galinsky. Er brachte die folgende These an: Jeder Prophet ist nicht viel besser als die Leute, für die er prophezeit. Kurzgefasst: die Nation erzeugt den Propheten! Ein erhabenes Volk erzeugt einen erhabenen Propheten; in einer verdorbenen Gesellschaft wird der Prophet nicht besser als sein Volk. Jede Generation erhält den Nawi (Propheten), den sie verdient, oder besser gesagt, den sie produziert.

Dies ist die Erkenntnis von Rav Galinsky. Er beweist dieses Prinzip von mehrere Stellen:

Ein Beispiel dafür ist, als Klall Jisrael mit dem goldenen Kalb sündigten; der Allmächtige sagte zu Mosche: "Geh, steig hinab, denn schwer gesündigt hat dein Volk…" [Schemot 32:7]. Raschi interpretiert dort die Worte "Geh, steig hinab" als 'gehe hinab von deiner Grösse (lech red miGedulassecha). Das Hinuntergehen war nicht nur ein Hinuntergehen von einer Höhe über dem Meeresspiegel. ‘Lech red’ deutet vielmehr auf einen geistigen Niedergang hin. Das Volk hat gesündigt, und dies beeinflusst Mosche! Denn der Prophet ist dort, wo das Volk ist. Wenn das Volk fällt, fällt auch der Nawi.

Ein weiteres Beispiel: "Im HaKohen haMaschiach jecheta leAschmat haAm - Falls der gesalbte Priester durch die Schuld des Volkes sündigen wird" [Wajikra 4:3]. Wenn der Hohepriester sündigt, da ist im Volk etwas nicht in Ordnung.

Der zwingendste Beweis stammt von einer bekannten Mischna in Traktat Rosch Haschana (3:8): "Wenn nun Mosche seine Arme in die Höhe hielt, siegte Israel…" In jenem monumentalen Kampf zwischen Amalek und Klall Jisrael war Israel siegreich, als sein Führer seine Hände hochhob, sobald aber Mosche seine Hände senkte, war Amalek siegreich. Die Mischna selbst stellt die Frage, ob denn Mosches Handbewegungen eine militärische Bedeutung hat? Sie antwortet, dass dies uns vielmehr lehrt, dass so lange Israel seinen Blick nach oben richtet und sein Herz seinem Vater im Himmel unterwirft, es siegreich sein kann, im umgekehrten Fall würde es verlieren.

Falls dies der Fall ist, stellt sich eine offensichtliche Frage: Soll doch Mosche Rabbejnu seine Hände dauernd hochhalten, was auch immer geschieht? Die Antwort ist, dass Mosche Rabbejnus Kraft von den Handlungen des Volkes abhängig ist. Solange die Leute ihre Herzen ihrem Vater im Himmel unterwarfen, hatte Mosche Rabbejnu die Kraft, seine Hände hochzuhalten. Als die Leute aus irgendeinem Grund von dieser Haltung abwichen, verlor Mosche Rabbejnu einen Teil seiner Kraft. Der Nawi ist das Volk, und das Volk ist der Nawi.

Rav Ja’akow Galinsky stellt einen erstaunlich originellen Gedanken vor: Mosche Rabbejnu und Bil’am hatten dasselbe Potential. Bil’am musste nicht die Person werden, die er wurde – mit dem bösen Auge, der arroganten Wesensart, dem geizigen Wesen und seiner moralisch verdorbenen Entartung. Er hätte ein Mosche Rabbejnu werden können. Es hing nur von den Leuten ab – den 'Kunden' des Propheten. Wegen den angeborenen Charakterzügen der Nationen der Welt wurde er ein Bil’am.

Mit diesem Gedanken erklärt Rav Galinsky einen bekannten Midrasch Rabba zu Beginn von Paraschat Emor [26:7]. Der Midrasch sagt, dass der Allmächtige Mosche jede Generation und ihre Richter, jede Generation und ihre Könige, jede Generation und ihre weisen Männer, jede Generation und ihre Führer, jede Generation und seine Propheten und jede Generation und ihre Lehrer zeigte. Und dann kommt das Überaschende: Er zeigte Mosche auch jede Generation und seine Räuber und jede Generation und seine Diebe (Dor, Dor weChomsaw: Dor, Dor weGaslanaw; Dor, Dor uNewiaw…).

Die Frage stellt sich: Warum zeigte der Allmächtige Mosche zuerst die Generation und erst nachher ihre Führer? Und warum zeigte Er Mosche die Vagabunden der Generationen? Und warum benötigte Mosche all diese Informationen?

Rav Galinsky antwortet, dass dem so war, weil Mosche Rabbejnu eine Frage hatte: Warum gab es keine Propheten mehr ab kurz nach der Erbauung des Zweiten Bejt Hamikdasch? Warum haben wir in späteren Generationen (einschliesslich unserer eigenen) keine Newi’im mehr? Und warum sinkt die Weisheit von Generation zu Generation? Antwortete ihm der Ribbono schel OIam : "Schau doch zuerst einmal auf das geistige Level jeder Generation; schau mal die Generation mit ihren Dieben und Räubern an. Sie verdienen es nicht, grosse Weisen und Propheten unter ihnen zu haben." Die Weisen und die Propheten sind von ihrer Generation abhängig.

So beantwortet Rav Galinsky diese Frage zu Raschi. Bil’am hatte das Potential, ein Mosche Rabbejnu zu werden. Wir sehen jedoch, dass die Generation einen starken Einfluss auf die geistigen Fähigkeiten ihrer Propheten hat. In der Tat können sich die Nationen der Welt nicht beklagen, dass sie einen mangelhaften Propheten erhalten haben, weil der Prophet nur das geistige Wesen der Nationen, zu welchen und für welche er prophezeit, widerspiegelt. Der Prophet ist das Produkt des geistigen Niveaus der jeweiligen Nation.

Quellen und Persönlichkeiten:

Sifri – Ältester Midrasch Kommentar zu Sefer Bamidbar und Sefer Dewarim. Der Sifri zu Bamidbar stammt aus dem Bejt Hamidrasch von Rabbi Jischma’el und der auf Dewarim aus dem Bejt  Hamidrasch von Rabbi Akiwa. Wird oft von Raschi zitiert.

Raschi (1040-1105) [Rabbi Schlomo ben Jizchak]; Troyes (Frankreich) und Worms (Deutschland); „Vater aller TENACH- und Talmudkommentare“.

Rambam, Rabbi Mosche ben Maimon (Maimonides) (1135 – 1204), einer der bedeutendsten Rischonim, seine Hauptwerke sind: Das umfassende Werk zum jüdischen Recht „Mischne Tora-Jad Hachsaka“, Erklärung zur Mischna und „Moreh Newuchim (Führer der Unschlüssigen)“, Spanien, Aegypten, Israel

Rav Ja’akow Galinsky (1920-2014). Krynki, Polen. Rosch Jeshivas Chadera, Israel. Eine überragende Persönlichkeit und weltbekannter Maggid, der das Publikum dauernd  ‚in Atem hielt‘.

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Die Bearbeitung dieses Beitrages erfolgte durch Mitarbeiter des Jüfo-Zentrums in Zürich

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