Sich den vorherrschenden Winden widersetzen (Rav Frand, Pinchas 5782 - Beitrag 1)
Rav Frand zu Paraschat Pinchas 5782
Sich den vorherrschenden Winden widersetzen
In der dieswöchigen Parascha kamen Zelofchads Töchter zu Mosche Rabbejnu mit einer Forderung. Nach den Gesetzen der Tora beerbt ein Sohn seinen Vater unter Ausschluss seiner Schwestern. Zelofchad starb ohne Söhne; er hatte nur Töchter. Die Töchter kamen und argumentierten, dass sie nicht benachteiligt werden sollten. Sie wollten nicht, dass die Erbschaft ihres Vaters in Erez Jisrael verloren gehen sollte. Mosche Rabbejnu brachte diese Frage vor G"tt, Der in der Tat den Anspruch der Töchter Zelofchads bestätigte und für alle Generationen bestimmte, dass wenn der Verstorbene keine Söhne hinterlassen sollte, die Töchter den Vater beerben.
Der Midrasch zur Stelle [Sifri Suta, Jalkut Schimoni 773] kommentiert dazu: "Es gibt Zeiten, wo eine fromme Einzelperson die Belohnung einer gesamten frevelhaften Generation erhalten kann. Noach stand gegen seine Generation der Sintflut auf und nahm die Belohnung, die für sie alle bestimmt war. Awraham behauptete sich gegen seine Generation der Dor Hapalga (Turmbau zu Babylonien) und auch danach und hatte das Verdienst, die Belohnung jener ganzen Generation zu erhalten. Lot behauptete sich gegen die Leute von Sedom und nahm die Belohnung, die für sie alle bestimmt war." Der Midrasch kommt zum Schluss, dass auch die Töchter von Zelofchad die Belohnung ihrer gesamten Generationen für sich nahmen.
Eigentlich ist dies unverständlich! Was taten sie denn? Wir wissen, dass Noach seine Generation, während 120 Jahren warnte und sich ihrer Bosheit entgegenstellen musste. Awraham stellte sich gegen den Götzendienst und die Auflehnung gegen den Allmächtigen und liess sich - für seine Ideale - sogar in den Feuerofen werfen. Lot widerstand der Entartung des Milieus von Sedom. Was taten jedoch die Töchter von Zelofchad? Sie gingen zum Nachlassgericht, weil ihnen – nach ihrer Meinung - die Erbschaft ihres Vaters zustand. Was ist da so besonders daran?
Der Midrasch erklärt, dass man den Zeitpunkt in Betracht ziehen muss, in der sie ihre Forderung anbrachten. Während das jüdische Volk schrie [Bamidbar 14:4]: "Wollen wir uns einen Führer einsetzen und nach Ägypten zurückkehren!" Dies hier (Einzug nach Kena’an) wird nicht funktionieren, dies kommt nicht gut...", in diesem Moment kam das Gesuch von Zelofchad’s Töchter, und Mosche war darüber total verblüfft. Ihr Interesse und ihr Verlangen nach diesem Land entsprachen überhaupt nicht der Realität der "Themen des Tages".
Sie waren entschlossen. Sie sagten: "Uns interessiert nicht, was jeder andere jetzt sagt; wir wissen, dass das Land Israel der Platz ist, wo die Zukunft des jüdischen Volkes liegt. Ejt la’assot laHaschem, hefejru Toratecha!" Zu einer Zeit, da andere die Tora ablehnen (Hefejru Torotecha), ist es an der Zeit, aufzustehen und für G-tt zu wirken (Ejt la’assot laHaschem)!
Dieser Midrasch sagt uns etwas sehr Wichtiges. Die Aktivitäten und Taten von Menschen können nicht in einem Vakuum beurteilt werden, sondern müssen im Zusammenhang mit den Zeiten gesehen werden. Unter normalen Umständen stellt die Tatsache, dass man zum Gericht geht und um die Erbschaft seines Vaters bittet, keine mutige und heldenhafte Tat dar. Es gibt jedoch Zeiten in der Geschichte, wenn eine harmlose und einfache Handlung ein Akt der höchsten Tapferkeit war. Zelofchods Töchter stellten einen solchen Akt zur Schau.
Im Klima der weitverbreiteten Kritik Erez Jisraels und dem Verlangen nach dem wunderbaren Leben in Ägypten widerstanden sie dem Trend; sie schwammen gegen die vorherrschende Strömung und gingen unbeirrt ihren eigenen Weg. Dies war eine mutige Handlung.
Dies ist für uns eine enorme Lektion. Manchmal kann eine alltägliche Handlung – angesichts der Atmosphäre und der Stimmung – eine sehr noble Handlung sein, von solchem Ausmass, dass der Midrasch die Töchter von Zelofchad mit Awraham Awinu vergleicht!
Quellen und Persönlichkeiten:
Jalkut Schim’oni ist eine Midraschim-Sammlung. Der Verfasser ist vermutlich Rabbi Schim’on Kara, genannt Rabbi Schim'on haDarschan. Französischer Rabbiner (12. Jahrhundert) Nach anderen Quellen aus Frankfurt a/M stammend (11. Jahrhundert); vermutlich doch erst aus dem 13. Jahrhundert. Dieses Werk ist deshalb besonders wertvoll, weil er diverse Quellen benutzt, die ansonsten teilweise oder ganz als verloren gelten, wie Sifrej Sutta, Midrasch Jelamdenu, Midrasch Awkir, etc.
Sifrej Sutta (hebräisch: ספרי זוטא) ist ein Midrasch zu Sefer Bamidbar. Mittelalterliche Autoren erwähnen ihn unter verschiedenen anderen Titel wie „Sifrej schel Panim Acherim“, oder "Sifre Rabbati", etc. Der Sifrej Sutta wurde nicht erhalten; und war offenbar im Mittelalter nicht mehr vorhanden. Allerdings wurden Fragmente von Sifrej Sutta in der Kairoer Genisa entdeckt, und Auszüge davon werden im Midrasch HaGadol und Jalkut Schimoni zitiert. In den letzten 120 Jahren wurden von verschiedenen Autoren alle Erklärungen des Sifrej Sutta aus vielen anderen Midraschim und Zitaten in Büchern der Rischonim gesammelt und in einem Band herausgegeben.
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Die Bearbeitung dieses Beitrages erfolgte durch Mitarbeiter des Jüfo-Zentrums in Zürich
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