Schewat/ Paraschat Beschalach

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Raw Ciner zu Parschat Dewarim 5761

Mosche: Rücksichtnahme kommt vor Kritik

Diese Woche beginnen wir das Sefer (Buch) Dewarim (5. Buch Moses). "Ejle haDewarim ascher diber Mosche el kol Jisrael" ("Dies sind die Worte, welche Mosche an ganz Israel richtete.").

Der Ramban erklärt, dass das Buch Dewarim auch "Mischne Tora" genannt wird. Die Wurzel von "mischne" ist "scheni": zweites, wiederholtes. Mosche wiederholte viele der Mizwot (Gesetze), die er nach dem Auszug aus Aegypten gelehrt hatte, nochmals für die Generation, die Erez Jisrael (das Land Israel) betreten sollte. Einige werden nochmals erläutert, um zu erklären, wie die Mizwa richtig ausgeführt werden soll. Andere werden wiederholt, um vor einer allfälligen Uebertretung zu warnen.

Darüber hinaus, schreibt der Ramban, hatte Mosche den Bnej Jisrael (Kindern Israels) noch nicht alle Mizwot bekannt gegeben, obwohl er sie bereits seit dem ersten Jahr nach dem Auszug aus Aegypten kannte. Bei einigen Mizwot machte es erst nach dem Betreten des Landes Sinn, sie zu kennen. Andere wurden den neuen Besitzern des Landes erst jetzt erklärt, weil sie nur sehr selten angewendet werden. Diese Gesetze werden in Dewarim erstmals aufgeführt.

Bevor er jedoch diese Mizwot vorzutragen begann, wies Mosche die Bnej Jisrael sanft und subtil zurecht. Auf feine Art wies er sie darauf hin, wie widerspenstig sie sich verhalten hatten, obwohl Haschem (G'tt) sie mit unbeschreiblichen Wohltaten überschüttet hatte. Auf diese Weise sollen wir davon abgehalten werden, dieses schlechte Verhalten zu wiederholen und uns zudem noch vermehrt bewusst werden, dass Haschem uns Seine Zuwendung stets zukommen lässt. Nun, da wir dabei waren, das Land Israel zu betreten, war es besonders wichtig zu wissen, dass Haschem zu uns hält, auch wenn wir Fehler machen. Mit diesem Wissen war die Eroberung des Landes in Griffnähe.

Wie ich bereits oben erwähnt habe, tat Mosche dies auf sanfte und subtile Weise. Er zählte die Sünden nicht explizit auf. Mosche erwähnte stattdessen Oertlichkeiten (von denen einige in Wahrheit gar nicht existierten), welche mit Wortspielen die Sünden umschrieben. Raschi erklärt, dass Mosche seine Zurechtweisung aus Achtung vor Israels Ehre auf diese Art und Weise aussprach. Damit wollte er sie vor der Beschämung und Erniedrigung, dass ihr Sündenregister aufgezählt wird, bewahren.

Rav Chajim Schmuelevitz erklärt, dass das riesige Potenzial, das Haschem in uns eingepflanzt hat, der Grund für diese Ehrerbietung ist. Unsere Weisen erklären einen Passuk (Vers) im Buch Wajikra wie folgt: "Kedoschim tih'ju" ("Heilig sollt ihr sein") [Vajikra 19:2]. Man könnte den Satz so auslegen, dass uns geboten ist, so heilig wie G'tt selbst zu sein … Aus diesem Grund fährt der Passuk fort und sagt: "Weil Ich (Haschem) heilig bin"; "Meine Heiligkeit ist jedoch grösser als eure", sagt Haschem.

Wir können die Grösse, die ein Mensch erreichen kann, gar nicht erfassen. Deshalb sind wir nicht einmal imstande, die Frage zu verstehen, die hier gestellt wird: Wie kann ich mir nur vorstellen, dass uns befohlen worden wäre, so heilig wie Haschem zu sein?! Wieso braucht es diesen zweiten Teil des Verses noch?

Unsere Weisen hingegen kannten das volle Potenzial eines Menschen. Sie waren jedoch unsicher, wieviel Heiligkeit sie verlangen sollten. Vielleicht war es doch das Ziel, dass die gleiche Heiligkeit, wie diejenige von Haschem angestrebt werden sollte?

Mosche wusste, mit wem er es zu tun hatte. Er kannte die Zurechtgewiesenen. Er verhielt sich deshalb äusserst respektvoll gegenüber ihren Gefühlen und ihrer Ehre und wies sie auf zurückhaltende Weise zurecht.

Rav Mottel Hornisteipeler war ein heiliger Mensch. An irdischen Genüssen wollte er nicht teilhaben; deshalb ass er nur sehr wenig. Auf einer Reise jedoch stoppte er einmal, roch an der Suppe und putzte die ganze Schüssel aus. Als er den Besitzer der Gaststätte um eine weitere Schüssel bat, schockierte er damit seine Begleiter.

Hocherfreut darüber, dass der Gast an seiner Speise derart Gefallen fand, eilte der Besitzer in die Küche und brachte eine Schüssel mit der gleichen Suppe. Rav Mottel ass die zweite Schüssel leer, bat um eine weitere und machte sich daran, auch diese ratzeputz auszulöffeln. Als er um eine vierte Runde bat, musste ihm der Besitzer sagen, dass keine Suppe mehr da war. Rav Mottel dankte ihm und machte sich auf den Weg.

Als er die Aufregung und die Neugier seiner Schüler spürte, begann der Rebbe, sich zu erklären. Als er die Suppe probierte, hatte er festgestellt, dass der Koch versehentlich Brennsprit in die Suppe gegossen hatte. Hätte der Besitzer davon gekostet, wäre er sicher zornig auf den Koch geworden. "Ich ass den ganzen Topf, um dem Koch die Beschämung zu ersparen …"

Täglich haben wir Begegnungen, bei denen wir anderen gegenüber Mitgefühl und Ehrfurcht zeigen können, indem wir ein Lachen oder auch ein Lächeln unterdrücken. Mein Bruder ist aussergewöhnlich, wenn es darum geht, anderen zu helfen oder einen anderen nicht zu beschämen. Einmal geriet er in eine Lage, in der es fast übernatürliche Kräfte brauchte, um nicht lauthals loszulachen.

Wir waren halbwüchsig und wollten einen Sommerjob in einem Hotel antreten. Dafür brauchten wir einen Wagen. Unser Vater, der damals als Physiotherapeut arbeitete, wusste von einem älteren Ehepaar, das seinen Wagen loswerden wollte. Sie brauchten ihn nur zweimal in der Woche um von einer Strassenseite auf die andere zu fahren, damit die Strassenreiniger ihre Arbeit machen konnten. Es war einfach ein "beidseits-der-Strasse-parkierter" Wagen.

Der Wagen war etwa dreizehn Jahre alt und es waren noch etliche Arbeiten nötig, bevor er die Motorfahrzeugkontrolle bestehen konnte. Wir boten dem Besitzer hundert Dollar, die er gerne akzeptierte und dann machten wir drei eine "Testfahrt".

"Er mag zwar alt sein, aber er startet wie ein neuer Flitzer!" rief der Verkäufer auf dem Weg zum Wagen aus. "Er startet sofort. Er macht nie Probleme. Er startet wie ein Flitzer. Ihr Buben werdet ein grossartiges Auto haben. Er startet wie ein Flitzer. Wartet nur."

Einige Minuten später kamen wir beim Wagen an. Der Verkäufer nahm auf dem Fahrersitz Platz und mein Bruder, der bereits den Führerausweis besass, auf dem Beifahrersitz. Ich setzte mich auf einen Sitz hinten und hörte noch einmal: "Er startet wie ein Flitzer."

Mit einem Lächeln und einem leuchtenden Gesicht steckte der alte Mann den Schlüssel ins Zündschloss und versuchte den Wagen zu starten. AHEH AHEH AHEH HAaaa… AHEH AHEH AHEH HAaaa… AHEH AHEH AHEH HAaaa… AHEH AHEH AHEH HAaaa…

Ich biss mir fast die Finger ab und duckte mich hinter den Vordersitzen, weil ich den Mann mit meinem Lachen nicht beschämen wollte. Da schoss mir ein Gedanke durch den Kopf. Ich kann mich hier hinten ja verstecken, aber was tut mein armer Bruder auf dem Vordersitz? Ich hob ganz scheu meinen Kopf, während der Starter immer noch im Hintergrund jaulte. Ich sah seinen Kopf zwischen Sitz und Seitentür gedrückt. Ich drehte mich, um genauer hinzusehen. Ich erblickte ein breites Rinnsal von Tränen, das über seine Backe floss, aber über seine Lippen kam kein Laut. (Der Wagen konnte nachher gestartet werden und schaffte es während dem ganzen nachfolgenden Sommer.)

Die Ehre des Verkäufers blieb intakt und wir hatten einen Wagen, der beinahe intakt war. Wie ich bereits sagte: Mein Bruder ist jemand, der besonders darauf achtet, die Gefühle anderer nicht zu verletzen.

"Ejle haDewarim ascher diber Mosche." Mosche zeigte ausserordentliches Verständnis für die Gefühle der anderen. Weil er so darauf bedacht war, war er fähig, ihr Lehrer zu sein.

Gut Schabbos!


Quellen und Persönlichkeiten:
Ramban: Rabbi Mosche ben Nachman (1194-1270), einer der führenden Toragelehrten des Mittelalters; Spanien, Jerusalem.
Rabbi Chaim Schmuelevitz (1902 – 1979): Rosch Jeschiwa Mir; Mir (Litauen), Schanghai, Jerusalem.



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