Raw Frand zu Parschat Dewarim 5766
Kinder sind ein Geschenk
„Der Ewige, der G’tt eurer Väter, möge euch noch tausendmal mehr werden lassen, als ihr jetzt seid, und möge euch segnen, wie er euch verheissen hat.“ [Dewarim 1:11]
Das jüdische Volk war gemäss Raschi über diesen Segen, den Mosche ihnen gegeben hatte, nicht sehr erfreut. „Der Ewige, der G’tt eurer Väter, möge euch noch tausendmal mehr werden lassen, als ihr jetzt seid,“ hatte er gesagt, „und möge euch segnen, wie er euch verheissen hat.“
„Das war alles? Nichts mehr?“ wunderten sich die Leute. „Ist dies das vollständige Ausmass deines Segens? Haschem segnete uns [Berejschit 32:13], dass wir ‚so zahlreich wie der Sand des Meeres werden, der vor Menge nicht gezählt werden kann’.“
Mosche antwortete: „Ihr bekommt bestimmt den Segen, den Haschem euch gab. Dies (das Tausendfache) ist lediglich mein eigener Segen an euch.“
Was genau bedeutete Mosche’s Antwort? Wie würde das jüdische Volk von diesem zusätzlichen Segen des tausendfachen Mengenwachstums profitieren, wenn sie schon Haschems Segen besassen, der ihnen nahezu eine grenzenlose Zunahme ihrer Zahl zusicherte?
Der Chatam Sofer erklärt, dass Mosche sie prüfte. Wieso wollten sie Kinder haben? War es, weil Kinder im Haushalt eingesetzt werden können? Oder damit sie Gesellschaft leisten können und im Alter eine gewisse Sicherheit darstellen? Oder ist es so, dass jedes Kind einen g’ttlichen Funken offenbart, ein unbezahlbares Geschenk des Himmels, ein Teil der Kommenden Welt?
Mosche prüfte das jüdische Volk. Er segnete sie mit einem „tausendfachen“ Anstieg der Bevölkerung. Hätten sie Kinder für ihre eigenen Zwecke erstrebt, so hätten sie gesagt: „Vielen Dank. Aber jetzt haben wir genug! Eine Vertausendfachung genügt völlig für unseren Zweck. Wir brauchen jetzt keine weiteren mehr.“ Das sagten sie jedoch nicht. Sie wollten weitere Kinder. Sie wollten Kinder „die zu zahlreich zum Zählen“ waren. Sie dachten offensichtlich nicht an ihre eigenen materiellen und emotionellen Bedürfnisse, sondern an den weitreichenden Segen, den jedes Kind verkörpert und erwiesen sich so als würdig, Haschems Segen zu empfangen.
Hunderte von Jahre früher waren diese beiden gegensächlichen Ansichten gegenüber Kindern bereits ein Thema. Ja’akow und Ejsaw teilten sich auf. Ejsaw nahm die diesseitige Welt und Ja’akow erhielt die Kommende Welt. Als Ja’akow aus Aram zurückkehrte, empfing ihn Ejsaw als Anführer einer 400 Mann starken Armee. Während den ersten spannungsgeladenen Minuten fiel Ejsaws Auge auf die vielen Kinder Ja’akows.
„Wer sind diese Kinder?“ wollte Ejsaw wissen.
„Das sind die Kinder, welche Haschem deinem Diener gnädigerweise schenkte.“ antwortete Ja’akow.
Der Pirkej deRabbi Elieser führt das Gespräch zwischen Ja’akow und Ejsaw weiter und deckt den unterschwelligen Konflikt auf.
„Was hast du mit all diesen Kindern vor?“ wollte Ejsaw wissen. „Ich dachte, wir hätten uns aufgeteilt. Ich habe diese Welt erhalten und du die Kommende. Weshalb hast du dann so viele Kinder? Was haben Kinder mit der Kommenden Welt zu tun? Kinder sind ein Segen auf dieser Welt.“
„Nicht doch“, antwortete ihm Ja’akow, „Kinder stellen g’ttliche Funken dar. Die Möglichkeit ein Kind zu erziehen, eine himmlische Seele so aufzubauen, dass sie imstande ist, in die Kommende Welt einzutreten, ist ein Vorrecht von höchstem geistigen Wert. Das ist der Grund, weshalb ich Kinder habe.“
Ja’akow möchte Kinder um ihrer selbst willen, Ejsaw sieht in ihnen jedoch eine Investition für diese Welt. Kinder bedeuten ein weiteres Paar Hände auf dem Bauernhof. Sie können Kühe melken und bei vielen anderen Arbeiten eingesetzt werden, welche in einem landwirtschaftlichen Betrieb erledigt werden müssen.
Der Mensch von heute hat sich vom Leben auf dem Land wegentwickelt. Er zog vom Hof weg und braucht nun die Kinder nicht mehr für diesen Zweck. In Wahrheit hat er eine überraschende Entdeckung gemacht: Kinder bedeuten eine grosse Last. Sie sind teuer, zeitraubend und anstrengend. Wer braucht Kinder?
Wie steht es jedoch mit etwas Gesellschaft? Einsamkeit? Kein Problem. Der moderne Mensch hält sich einen Hund. Hunde sind wunderbar. Wenn man nach Hause kommt, rennt er einem begeistert und wedelnd entgegen und bringt die Zeitung samt Hausschuhen. Man muss sich nicht mit einem Haus voll schreiender, anspruchsvoller und quengelnder Kinder herumschlagen. Wofür denn braucht man Kinder? Das ist Ejsaw’s Haltung angepasst an die heutige Zeit.
Ja’akow andererseits versteht, dass Kinder nicht dafür da sind, um diese Welt zu geniessen oder um sich das Leben zu erleichtern. Jedes Kind ist eine geistige Aufgabe, ein Funken G’ttlichkeit, welches unserer Obhut und Führung anvertraut wurde, ein Grund, G’ttes Willen zu erfüllen, indem wir diese Seele der Kommenden Welt zuführen.
Quellen und Persönlichkeiten:
Raschi (1040 - 1105) [Rabbi Schlomo ben Jizchak]: Troyes (Frankreich) und Worms (Deutschland), "Vater aller Torahkommentare".
Chatam Sofer: Titel von Werken des Rabbi Mosche Sofer (1762 – 1839) von Pressburg, Slowakei. Rosch Jeschiwa und anerkannter Führer der ungarischen Juden.
Pirkej deRabbi Elieser: Midrasch-Erklärungen von Rabbi Elieser ben Horkenus.
Midrasch: Erklärung zur Torah, oft mit Gleichnissen.
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