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Raw Ciner zu Paraschat  Ejkew 5779 -   Beitrag 2

Leute – die man mit den Fersen tritt…

Diese Woche lesen wir den Wochenabschnitt Ejkew. "We‘hajah Ejkew tischme‘un ejt haMischpatim" ("und es wird sein "Ejkew", wenn du die Gesetze hörst") [7:12]. Das Wort "Ejkew" hat viele Bedeutungen. Die verschiedenen Erklärer benützen diese, um den Passuk auf verschiedene Arten zu erörtern.

Der Targum übersetzt "Ejkew" mit "zum Ausgleich". Zum Ausgleich dafür, dass ihr die Gesetze annehmt, sagt der Passuk, wird Haschem den Bund und die Zuwendung, die er den Vorvätern zugeschworen hat, aufrechterhalten.

Gemäss Raschi bedeutet das Wort "Ejkew" "Ferse". "Wenn du die einfachen Mizwot, auf denen der Mensch (vielfach) mit der Ferse tritt, annimmst..."

Ejkew kann oft auch das Ende bedeuten, weil die Ferse das "Ende" des menschlichen Körpers darstellt. Der Ba‘al HaTurim sieht oft eine Verbindung zwischen den Schlussworten einer Parascha (Wochenabschnitt) und den Anfangsworten der nachfolgenden. Er weist darauf hin, dass die vorwöchige Parascha - nachdem uns dort befohlen wurde, die Gebote zu halten - mit den Worten schliesst: "Sie (die Mizwot) sind heute zu tun." [7:11] Unsere Parascha beginnt: "Wehajah Ejkew - und zum Schluss wird sein." Hier und jetzt, auf dieser Welt, ist der Ort, die Gebote zu erfüllen. Den Lohn dafür gibt es jedoch erst am Ende, in der künftigen Welt.

Vor kurzem besuchten meine Frau und ich eine alte Nachbarin in Israel, die ihren Ehemann verloren hatte, als wir gerade in den Vereinigten Staaten weilten. Ich habe in meinen Texten schon einige Male von diesen Menschen gesprochen, aber ich denke, es lohnt sich, sie nochmals zu erwähnen.

Beide sind Holocaust-Überlebende. Als die Gräueltaten begannen, war der Mann schon verheiratet und hatte bereits Kinder. Am Ende des Krieges stand er mutterseelenalleine da und ich glaube kaum, dass jemand dies nachvollziehen kann. Sie war noch nicht verheiratet, als sie nach Auschwitz geschickt wurde.

Meine Frau und ich hatten gelernt, auf ihre Gefühle Rücksicht zu nehmen. Einmal, gerade als wir unsere Nachbarin zu Besuch hatten, liess meine Frau den Kaugummi, den sie im Mund hatte, "schnappen". Unsere Nachbarin sprang auf, ihr Gesicht in Schrecken erstarrt. Nachher erklärte sie uns errötend, dass dieser Ton sie an die Peitschenhiebe erinnert habe, die sie über sich hatte ergehen lassen müssen. Als einmal ein anderes junges Paar in unserem Haus einen Hund bei sich hatte, rettete sie sich in unsere Wohnung, weil dies die Türe war, die gerade am nächsten lag. Sie erklärte, dass Dr. Mengele J"Sch. wissen wollte, was geschieht, wenn ein Mensch von einem Hund gebissen wird und nichts unternommen wird, um die Wunde zu heilen. Sie wurde als "Patient" ausgewählt und seither verfolgt sie eine unglaubliche Angst vor Hunden.

Sie trafen sich nach dem Krieg und heirateten. Sie wollten ein sinnvolleres Leben als ihnen dies in Europa möglich erschien und nahmen deshalb an der "illegalen Einwanderung" nach Palästina teil. Das Leben wurde für sie auch nach der Ausrufung des Staates Israel nicht einfacher. Als sie viele Jahre später von den Sonderrechten hörte, die die Regierung den Neueinwanderern bei ihrer Alijah (Neueinwanderung) gewährte, musste sie lachen. Sie verglich dies mit ihrer eigenen "Alijah" vor rund vierzig Jahren. Die jetzigen Einwanderer erhielten Mietzinsvergünstigungen - sie aber hausten in Zelten. Den jetzigen Einwanderer gab man drei Jahre, um einen Wagen und Elektrogeräte steuerfrei anzuschaffen - sie hingegen mussten Sümpfe entwässern. Und diese Liste könnte noch beträchtlich verlängert werden.

Zwei Kinder wurden ihnen geboren, ein Sohn und eine Tochter. Der Sohn kämpfte im Sechstagekrieg und starb jung. Wir haben nie herausfinden können, ob er im Krieg oder später wegen einer Krankheit gestorben war.

Als wir nach Israel zogen, waren sie schon ältere Leutchen. Er arbeitete schwer in der Küche einer örtlichen Institution. Sie vertrug Briefe. Sie arbeiteten ehrlich Tag für Tag für ihren Lebensunterhalt, bis sie zu alt und zu schwach dafür waren.

Sie waren Menschen, die viel Schmerz und Leid hatten durchstehen müssen. Trotzdem lebten sie ihr Leben in Zufriedenheit mit einer tiefen Zuwendung zu G‘tt. Manchmal dachte ich mir, dass bereits eines der Dinge, die sie überstanden hatten, mich wohl aus den Socken geworfen hätte. Sie aber hielten durch.

Während wir gestern Abend so da sassen, schwatzten und über ihren verstorbenen Ehemann redeten, fiel mein Blick auf die Nummer, die auf ihrem Arm eintätowiert war. Ich dachte mir, dass es diese Art Menschen wohl nicht mehr viele gibt - Menschen, die so viel leiden mussten, nur weil sie Juden sind - und trotzdem nicht wankten.

Wir haben uns an unseren Komfort und Luxus gewöhnt. Einer meiner Rebbe‘im (Lehrer) bemerkte einmal: "Wenn wir dereinst unseren Kindern erklären wollen, wie hart wir es in unserer Jugend gehabt haben, werden wir ihnen erzählen, dass wir uns aus dem Sessel erheben und die Knöpfe an der Klimaanlage selbst drücken mussten, um auf eine andere Temperatur umzuschalten ..."

Ich dachte auch an die Raschi - Stelle, die ich vorhin erwähnt habe. Raschi sprach über die Gebote, auf die getreten wird - ich dachte an die Menschen, auf die getreten wird.

Die Frau sagte uns einige Male, dass die Welt für sie keinen Platz zu haben scheint. Nur Geld, Geld, Geld. Nur das scheint zu zählen. Das ist der Götzendienst von heute. Das ist es, was alle wollen, das ist es, was alle verehren. Jeder will es, aber niemand will etwas dafür tun. (Und das war ihre Meinung, ohne etwas von Optionsscheinen und Techno-Aktien gehört zu haben.)

Ihr Ehemann, seligen Angedenkens, arbeitete hart und einfach für seinen Lebensunterhalt. Er erwartete nichts von anderen und verlangte nichts von anderen. Einer der Weisen des Talmuds war Rabbi Jochanan „Hasandlar - der Sandalenmacher“. So wird er im ganzen Talmud bezeichnet. Produktiv, stolz und ehrlich. Mein Nachbar war ein Kartoffelschäler - dies waren die einzigen "Chips", mit denen er arbeitete. Produktiv, stolz und ehrlich. Oft sind gerade dies die Menschen, auf denen herumgetrampelt wird.

Unsere Parascha warnt: "Pass, auf, dass du Haschem, deinen G‘tt nicht vergisst ... Du wirst schöne Häuser bauen, viel Vieh besitzen, eine grosse Menge Silber und Gold anhäufen ... und Haschem vergessen." [8:11-14]

Jeder Mensch wurde im Ebenbild G‘ttes geschaffen. Kürzlich dachte ich mir, dass die Warnung, G‘tt zu vergessen, sich auch auf die armen, "unbedeutenden" Menschen bezieht. In Wahrheit sind es eigentlich wir selbst, die am meisten verlieren, wenn wir diese unglaublich zähen Menschen nicht kennen und nicht von ihnen lernen. Ich dachte mir, als ich auf die Nummer auf ihrem Arm blickte, dass die Möglichkeit dazu langsam aber sicher verschwindet. Möge Haschem uns die Weisheit geben, unsere Augen und Herzen weit offen zu halten.

Quellen und Persönlichkeiten:

 

  • 1. Targum (Onkelos) (gest. ca. 90): massgebender Übersetzer des Chumasch ins Aramäische.
  • 2. Raschi (1040-1105) [Rabbi Schlomo ben Jizchak]; Troyes (Frankreich) und Worms (Deutschland); „Vater aller Torahkommentare“.
  • 3. Baal HaTurim (1268 – 1340): Torah-Erklärung von Rabbi Ja‘akov ben Ascher, der auch den Tur schrieb, eine frühe, jüdische Gesetzessammlung. Erste Ausgabe 1514 in Konstantinopel.

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Die Bearbeitung der Gedanken dieser Woche erfolgte durch Mitarbeiter des Jüfo-Zentrums in Zürich

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