Welche Bedeutung haben die zwei Torarollen? (Rav Frand, Schoftim 5783)

Rav Frand zu Paraschat Schoftim 5783
Welche Bedeutung haben die zwei Torarollen?
Die Tora lehrt uns folgendes über den jüdischen König: "Und wenn er auf dem Thron seines Reiches sitzt, so soll er sich eine Abschrift dieser Lehre zweimal in ein Buch schreiben, aus dem Buch, das vor den Priestern aus dem Stamme Levi liegt." [Dewarim 17:18]
Obwohl dieser Passuk besagt, dass der König eine Sefer Tora schreiben soll, sollte eigentlich jeder Jude gemäss der Tora eine Sefer Tora schreiben (lassen). Jedoch der König - wie es im Talmud [Sanhedrin 21a] steht - muss zwei Torarollen schreiben (iassen): eine, die mit ihm überall mitreist und eine, die dauernd bei ihm zuhause aufbewahrt bleibt.
Rabbi Schlomo Kluger gibt uns folgende Erklärung zu diesen zwei Sifrej Tora: Der Passuk (Vers), der die Einsetzung des Königs beschreibt, gebraucht einen Ausdruck der Verdoppelung und Verstärkung, nämlich "Som Tassim alecha Melech – so sollst du über dich einen König setzen (2x setzen im Vers)." Die Weisen schliessen daraus, dass der Mensch sich vor seinem König fürchten soll. Heutzutage haben wir für diese Furcht kein Verständnis mehr, da die absoluten Monarchen verschwunden sind. Als es noch absolute Monarchien gab, galt für jemanden, der den König falsch anblickte: "Kopf ab!" Es war sogar eine Mizwa (Gebot) einen furchteinflössenden König einzusetzen. Ein König ist kein Freund oder Kollege. Er ist der Herrscher mit allen Herausforderungen seiner hohen Stellung.
Andererseits betont die Tora gegen Ende des Abschnittes, der vom König handelt, die Sorge: "Dass er sich nicht in seinem Herz über seine Brüder erhebe und nicht rechts noch links von den Geboten abweiche..." [17:20] Dies widerspricht eigentlich dem vorhergehenden Abschnitt.
Bevor der amerikanische Präsident eine Rede hält, spielt jedes Mal eine Kapelle: "Ein Hoch dem Präsidenten." Jeder geht in Achtungsstellung. Jede seiner Bekanntmachungen ist von einem „Hoch dem Präsidenten" begleitet. Nach einiger Zeit kann ihm dies zu Kopf steigen.
Einem jüdischen König könnte eine solche Behandlung erst recht in den Kopf steigen. Er ist ja schon von Gesetzes wegen verpflichtet, sich so zu verhalten, dass ihn seine Untertanen fürchten. Dies kann zweifellos zu Hochmut führen.
Der Passuk "Dass sein Herz sich nicht über seine Brüder erhebe“ dient deshalb als Gegengewicht. Macht verdirbt und absolute Macht verdirbt völlig. In der Öffentlichkeit muss ein jüdischer König wie ein König agieren, aber sein wirkliches Wesen muss davon unberührt bleiben. Er muss immer daran denken, wer er ist und wer der Einzige König (G'tt) ist.
Rabbi Schlomo Kluger sagt, dass gerade dies damit gemeint ist, wenn der König zwei Sifrej Tora (eine, mit der er ausgeht und eine, die zuhause bleibt) schreiben muss. Geht er aus, soll er die Tora von "du sollst über dich einen König setzen" mit sich nehmen; er muss handeln und Furcht einflössen wie ein König. Wenn er aber nach Hause zurückkehrt und sich in seinen Privatbereich begibt, muss er sich der zu Hause aufbewahrten Tora bewusst sein. Dies ist die Tora von: "Er soll sich nicht über seine Brüder erheben." Dies lehrt, dass Macht - ohne dauerhafte Selbsterziehung - den Menschen verdirbt.
[Anmerkung des Herausgebers: Der Ramban zur Stelle schreibt, dass hier die Tora das Verbot der Ga‘awa (Stolz, Hochmut, Erheblichkeit) andeutet. Wenn es schon dem König, der allen Grund dazu hat, hochmütig zu sein, verboten ist erheblich zu sein, umso mehr jeder anderen Person.]
In dem Gebet, in welchem am Schabbat der nahende Rosch Chodesch (der Beginn eines neuen jüdischen Monats) angekündigt wird, bitten wir am Anfang für ein Leben in G'ttesfurcht und wiederholen nachher am Ende die Bitte für ein Leben in G'ttesfurcht. Wozu diese Wiederholung? Dies wird oft so erklärt, dass unmittelbar vor der zweiten Bitte, ein Gebet für Reichtum und Ehre steht. Wenn wir gutes Geld verdienen oder Ehre erhalten, dann bleibt sehr oft die G'ttesfurcht links liegen.
Die erste Bitte ist für G'ttesfurcht, die jeder, der bescheiden lebt, haben sollte. Die zweite Bitte um G'ttesfurcht hat einen anderen Sinn. Sogar wenn wir Geld verdient oder Ehre erhalten haben, sollen wir die Quelle unseres Wohlstands und unserer Ehre nicht vergessen.
Quellen und Persönlichkeiten:
Rabbi Schlomo ben Jehuda Aharon Kluger (1785 - 1869) bekannt als der Maggid von Brody (Galizien). Er war dort rund 50 Jahre Rosch Bejt Din (Oberdajan) und Maggid (Prediger). Er war vorhin Rabbiner in Rava-Ruska und Kulikow (Galizien), dann in Józefów (Polen) und Brezany (Galizien). Als einer der führenden rabbinischen Autoritäten seiner Zeit erliess Rabbi Kluger Urteile zu vielen komplexen halachischen Fragen. Es wird ihm etwas Unglaubliches nachgesagt, nämlich dass er 365 Werke über alle Zweige, die es in der rabbinischen Literatur gibt, in seinem Leben geschrieben hat. Dutzende Werke wurden bereits veröffentlicht und laufend werden weitere Manuskripte gefunden und veröffentlicht.
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Die Bearbeitung dieses Beitrages erfolgte durch Mitarbeiter des Jüfo-Zentrums in Zürich
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