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Die Macht des Gebets - Eine Lösung des Konflikts zwischen der Hinrichtung des Ben Sorer uMore und Jischmaels Rettung (Rav Frand, Ki Teze 5782)

Rav Frand zu Paraschat Ki Teze 5782

Ergänzungen: S. Weinmann

Die Macht des Gebets - Eine Lösung des Konflikts zwischen der Hinrichtung des Ben Sorer uMore und Jischmaels Rettung

Die dieswöchige Parascha enthält eines der verwirrendsten Gesetze, bez. des "Ben Sorer uMore"- des missratenen und widerspenstigen Sohnes. Der ist ein junger Mann, der begonnen hat, einen Lebensstil zu führen, der - gemäss Chasal (unsere Weisen) - am Ende zu Blutvergiessen führen wird. Der Talmud [siehe Traktat Sanhederin 68b-72a und Raschi hier zur Stelle] erklärt zu diesem Gebot: Der "Ben Sorer uMore" ist ein 13jähriger Sohn (in den ersten drei Monaten), der nicht auf seine Eltern hört und von seinen Eltern Geld stiehlt, um sich Unmengen an Fleisch und Wein, die er täglich verschlingt, finanzieren zu können. Auch Züchtigungen seiner Eltern und Bestrafung des Gerichts bringen ihn nicht von seinem Verhalten ab. Die Tora offenbart uns, dass so ein Junge früher oder später zum Räuber und Mörder wird. Er stiehlt von seinen Eltern bis ihr Vermögen aufgebraucht ist. Er begehrt seinen Gewohnten nachzugehen, die er nicht mehr vorfindet, daher stellt er sich an die Scheidewege und beraubt die Menschen und bringt sie notfalls auch um.

Daher sagen unsere Weisen: "Lasst ihn sterben, 'während er noch unschuldig ist', anstatt dass er sterben muss, nachdem er einen Mord begangen hat." Die Gemara [Sanhedrin 71b] stuft die Situation mit den berühmten Worten "Ben Sorer uMore nidon al schem Sofo" ein; der missratene und widerspenstige Sohn wird "im Blickwinkel seiner Zukunft " gerichtet,

Rabbi Elijahu Misrachi stellt die Frage, ob diese Anwendung des Rechts, die auf einer Prognose der zukünftigen schlechten Taten basiert, nicht einem Prinzip widerspricht, das die Tora in Paraschat Wajera vorstellt. Als der junge Jischmael (Ismael) dabei war, in der Wüste vor Durst zu sterben, und in seinem Todeskampf aufschrie, erschien ein Engel seiner Mutter Hagar und sagte zu ihr: "Fürchte dich nicht, denn G-tt hat die Stimme des Jungen "beAscher Hu scham" - da wo er ist - gehört [Bereschit 21:17]. Unsere Weisen [siehe Raschi] erklären dies so: G-tt sprach zu den Engeln: "Nach den Handlungen in seinem gegenwärtigen Zustand wird er gerichtet und nicht nach den Zukünftigen." Denn die Engel kamen vor den Allmächtigen und protestierten: "Herr der Welt, für ihn, dessen Nachkommen Deine Kinder durch Durst töten werden, willst Du einen Brunnen emporsteigen lassen, um ihn zu retten? G-tt antwortete ihnen: Wie ist er jetzt, gerecht oder frevelhaft? Die Engel antworteten: Gerecht. Da sprach G-tt: Nach seinen jetzigen Handlungen richte ich ihn, das bedeuten die Worte, da wo er ist.

Stellen Sie sich vor, wie die Welt aussehen würde, falls Jischmael dieses Ereignis nicht überlebt hätte. Stellen Sie sich das Nichtvorhanden des Leidens vor, das nicht nur Klall Jisrael gegenwärtig durchmacht, sondern auch das Nichtvorhandensein des Leidens, das die gesamte Welt jetzt wegen den Nachkommen von Jischmael durchmacht! Wir wären alle von so vielen Zarot (Unheil)  verschont geblieben, falls der Brunnen in der Wüste nicht auf wundersame Weise aufgetaucht wäre, um Hagars jungen Sohn zu retten! Die Welt erduldet so viel Leiden wegen den Nachkommen von Jischmael. Dies ist die Klage der Engel vor dem Allmächtigen: Denjenigen, dessen Kinder Deine Kinder töten werden – ihn rettest Du auf wundersame Weise mit einem Brunnen?

Die Weisen vermerken daraufhin die Reaktion des Allmächtigen auf die Engel: "Ist er im Moment schuldig oder unschuldig?" Die Engel gaben zu, dass der junge Jischmael in diesem Moment seines Lebens unschuldig war. Der Allmächtige sagte zu ihnen: "Ich beurteile Menschen nur auf Basis ihres gegenwärtigen Zustands"

Raw Elijahu Misrachi präsentiert daher einen offenkundigen Widerspruch: Einerseits töten wir den missratenen Sohn basierend auf seinen zukünftigen Handlungen, und andererseits beurteilt G"tt im Fall von Jischmael einen Menschen nur auf Basis seines gegenwärtigen Zustands!

Das Sefer Bej Chija legt eine Antwort auf die Frage des Misrachi vor. Rabbi Meir [Tallmud Traktat Rosch Haschana 18a] erzählt von zwei Leuten, die dieselbe Krankheit hatten, und auch von zwei Leuten, die desselben Verbrechens angeklagt wurden und zur gleichen Todesstrafe verurteilt wurden. Obwohl diese zwei Paare von Menschen sich in praktisch identischen Situationen befanden, stellte sich danach heraus, dass einer der Kranken geheilt wurde und der andere starb, und einer der zum Tode Verurteilten hingerichtet wurde und der andere der Strafe entging. Rabbi Meir stellt die Frage: Warum ist es so, dass in solchen Situationen der eine überlebt und der andere stirbt? Die Antwort: "Dieser betete und wurde erhört; dieser betete und wurde nicht erhört. Dieser betete ein 'vollständiges Gebet' (Tefila schelejma), und jener betete ein Gebet, das nicht vollständig war." Raschi zur Stelle erklärt: ‘Schelejma’ bedeutet mit Kawana (Andacht).

Diese Antwort sollte bei uns widerhallen, wenn wir jetzt in den Wochen vor Rosch Haschana stehen. Die Antwort ist, dass einer mit gänzlicher Kawana, mit seinem ganzen Herzen und seiner ganzen Seele dawente (betete), und deshalb gerettet wurde. Der Mann, der dieselbe Krankheit oder das gleiche Urteil hatte, jedoch nicht gesund wurde oder seiner Strafe entging, dawente kein "vollständiges Gebet".

Wir könnten uns die Frage stellen: Wie weiss Rabbi Meir dies? Woher weiss er, dass der unterschiedliche Ausgang auf einen qualitativen Unterschied in ihrem Gebet zurückzuführen ist? Vielleicht überlebte ein Mensch, weil er viele Verdienste hatte, und vielleicht starb der andere Mensch, weil er viele Schulden in seinem G"ttlichen Konto hatte? Wie kann der Talmud so überzeugt diesen Unterschied ihrer Schicksale der Tefilla zuschreiben? Sagt der Bei Chija, dass wir von dieser Gemara sehen, dass wenn ein Mensch ein "vollständiges Gebet" dawent, er unabhängig von seinen Verdiensten oder Schulden, die er durch vergangene Taten erworben hat, "die Fähigkeit" hat, zu überleben. Alles andere ist irrelevant. Der Mensch, der überlebte, mag schreckliche Sünden begangen haben, aber die Macht des Gebets übertrumpfte all diese negativen Taten. Ein Mensch andererseits, der vielleicht Verdienste hatte, jedoch die Macht des Gebets zur Zeit einer Krise nicht ausgenützt hat, mag jedoch vielleicht nicht überleben.

Dies kann uns helfen, den Widerspruch zu lösen. Der Grund, warum Jischmael gerettet wurde, war nicht nur, weil er aufgrund seines gegenwärtigen Status beurteilt wurde. Die Faustregel ist – wie wir beim Ben Sorer uMore sehen – dass ein Mensch aufgrund seiner zukünftigen Handlungen hingerichtet werden darf. Bei Jischmael spielte jedoch noch ein Faktor eine Rolle: Dieser Faktor war ‘Wajischma et Kol haNa’ar’ (und Er hörte die Stimme des Jungen), Jischmael dawente. Deshalb übertraf die Macht seines Gebetes alles andere, obwohl seine Nachkommen zukünftig das jüdische Volk verfolgen, verdursten und viele umbringen wird, und aufgrund seines Endes hätte beurteilt werden sollen.

Wie wir schon in der Vergangenheit erwähnt haben, ist dies etwas, das den Benej Jischmael hilft. Sie sind keine Götzendiener, und sie meinen es mit ihren Gebeten sehr ernst. Sie beten fünfmal am Tag. Dies ist es, was sie damals rettete, und das ihnen – so denke ich – die Macht gibt, auch fortzubestehen. Der einzige Weg, wie wir sie übertreffen können, ist durch die Macht unserer Gebete. Möge der Allmächtige unsere Aufschreie hören und endlich dieses Exil von Jischmael und Edom zu Ende führen.

1. Raschi (1040-1105), Akronym für Rabbi Schlomo ben Jizchak; Troyes (Frankreich) und Worms (Deutschland); „Vater aller TENACH- und Talmudkommentare“.

2. Rabbi Elijahu Misrachi (1435–1526) war eine Autorität der Halacha, Kommentator, Wissenschaftler und jüdisch-türkischer Staatsmann. Oberrabbiner des Judentums des Osmanischen Reiches und ihr Führer, Rosch Jeschiwa und einer der drei Hauptkommentatoren von Raschis Kommentar zur Tora.

3. Rav Elisha Horowitz, zeitgenössischer Rabbiner. Lawrence, N.Y. USA. Verfasser von Bej Chija, Erklärungen zum Chumasch.

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Die Bearbeitung dieses Beitrages erfolgte durch Mitarbeiter des Jüfo-Zentrums in Zürich

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