Rav Frand zu Parschat Ki Teze 5768
Drei Dinge, die wir aus dem Abschnitt über den widerspenstigen Sohn lernen können
Der Wochenabschnitt beschreibt eine Mizwa (Gebot), welche schwer zu verstehen ist - das Gesetz, welches vom widerspenstigen und rebellischen Sohn („Ben Sorer u`Moreh") handelt. Dieser junge Knabe hört nicht auf seine Eltern. Der Talmud [Sanhedrin 70a] beschreibt seine Vergehungen. Schreckliche Verbrechen sind sie eigentlich nach heutigen Kriterien nicht: Der Knabe neigt zu Unersättlichkeit. Er ist zudem an kleineren Diebstählen beteiligt. Er isst zuviel Fleisch und trinkt zuviel Alkohol.
Die Tora sagt uns, dass der Ben Sorer u‘Moreh durch die Eltern zum Bejt Din (Jüdischer Gerichtshof) gebracht wird. Wenn sich der Verdacht bestätigt und wiederholte Verwarnungen nichts nützen, tötet man ihn, um zu verhindern, dass er später einmal als Verbrecher hingerichtet werden muss.
Die Regeln und Umstände, um als Ben Sorer u'Moreh klassifiziert zu werden, sind so kompliziert, spezifisch und streng, dass der Talmud im achten Kapitel in Sanhedrin sagt, es habe nie einen Ben Sorer u`Moreh gegeben und dass es auch nie einen geben wird. Warum denn wurde dieser Abschnitt überhaupt geschrieben? Der Talmud antwortet, dass dieser Abschnitt geschrieben wurde, damit wir uns darin lernend vertiefen und dafür unseren Lohn erhalten. Mit anderen Worten: Dieser Abschnitt wurde wegen den darin enthaltenen Belehrungen geschrieben.
Die Tora will, dass wir daraus lernen, wie wir unsere Kinder erziehen sollen. Die Tora möchte uns zeigen, wie man Kinder erzieht sind und wie nicht. Mit grosser Wahrscheinlichkeit sind bei der Erziehung des widerspenstigen Sohnes grundlegende Fehler gemacht worden. Die Tora zählt uns Dinge auf, welche wir bei der Erziehung unserer Töchter und Söhne beherzigen und solche, die wir besser unterlassen sollten.
Der Rejschit Chochma schreibt, dass es einfacher ist, einen Olivenhain im Galil (wo Topographie und Klima den Bäumen nicht gut bekommen) aufzuziehen, als ein einziges jüdisches Kind richtig zu erziehen - und das sogar im Lande Israel (das wegen seiner Heiligkeit für die Kindererziehung sehr geeignet ist). Kindererziehung ist äusserst anspruchsvoll.
Speziell hervorheben möchte ich drei Lehren über Kindererziehung, welche wir aus dem Abschnitt über den Ben Sorer u`Moreh herauslesen können.
Die Tora schreibt, dass die Eltern zum Bejt Din kommen und bezeugen müssen: "Unser Sohn ist ein Rebell. Er hört nicht auf uns. Er ist unersättlich." [Dewarim 21:18]
Rabbi Mordechai Gifter bemerkt dazu, dass die Tora folgende Worte für das Nicht-Hören-Wollen gebraucht: "Ejnenu schome'a be'KOLEJNU". („Er hört nicht auf unsere STIMME.") Normalerweise müsste es heissen: "Ejnenu schome'a le'DWAREJNU". („Er hört nicht auf unsere WORTE.") Im Hebräischen besteht ein grosser Unterschied in der Bedeutung des Wortes DIBUR (Wort) und des Wortes KOL (Stimme). Dibur bedeutet wahrnehmbare Sprache, während das Kol einfach einen Laut beschreibt. Rabbi Gifter sagt, dass genau dies bei diesem Kind Probleme machen kann. Wenn es die Logik hinter einer Sache, welche die Eltern ihm sagen, nicht erkennen kann, deutet er ihre (vernehmbaren) "Worte" einfach als "Stimmen". „Ich verstehe nicht, was sie wollen. Sie kommen von einem anderen Planeten! Sie gehören in ein früheres Jahrhundert!" Weil das Kind gar nicht versteht, was sie sagen, ist es fest entschlossen, nicht auf sie zu hören. Rabbi Gifter erklärt, dass gerade dies das Problem des Kindes und mithin unserer heutigen Generation ist.
Die pädagogische Lehre, die wir daraus ziehen sollen, ist, dass Eltern die Pflicht haben, den Kindern zu versuchen verständlich zu machen, was sie meinen. Wir haben aber auch die Pflicht ihnen dann etwas zu sagen, wenn sie nicht verstehen, was wir meinen. Sie sollen nämlich auf jeden Fall tun, was man ihnen sagt, weil Eltern weiser sind, schon länger gelebt haben und ein grösseres Wissen haben. Das Folgende ist wahr, obwohl es abgedroschen tönt: "Später wirst du verstehen" ist immer noch die Wahrheit. Den folgenden Gedanken müssen Eltern ihren Kindern beibringen: "Ich weiss, dass du es nicht verstehst, du denkst es seien einzig "Kolejnu" ("unsere einfachen Stimmen"). Glaube uns aber, vertraue auf uns!" Um das geht es, wenn man vom Konzept der "Messora" (Überlieferung der Werte) spricht. "Höre, mein Sohn, auf die geistige Lehre deines Vaters ... [Mischlej (Sprüche) 1:8], sogar wenn du noch nicht verstehst, was alles dahinter steckt.
Eine andere Stelle in Talmud Sanhedrin lehrt uns folgendes: Aus dem schon vorher erwähnten Passuk (Vers) wird abgeleitet, dass die Stimmen von Vater und Mutter gleich sein müssen. Der Talmud verlangt, dass Vater und Mutter die gleiche Grösse, dasselbe Aussehen und gleichtönende Stimmen haben müssen. Rabbi Zev Leff sagt, dass der Talmud nicht die Stimmlage oder -frequenz meint. Die Gemara (Talmud) lehrt hier vielmehr, dass Eltern ihren Sprösslingen klare, einheitliche Botschaften geben sollen. Mit widersprüchlichen Botschaften können Kinder schwer umgehen. Die "Stimmen" der Eltern müssen identisch sein. Denn, wenn ein Kind vom Vater eine Botschaft und von der Mutter eine andere vernimmt, so wird es dies sofort ausnützen. Deshalb müssen Eltern manchmal die Dinge vorher unter sich besprechen. Sie müssen miteinander vereinbaren, was recht ist und was falsch und wie sie eine bestimmte Situation angehen wollen. Nur dann können sie mit "einer Stimme" handeln.
Die dritte Lehre, die der Talmud aus der Lehre über den „Ben Sorer u'Moreh" ableitet, stützt sich auf das Wort "se" (dieser): Die Eltern müssen klar sagen können: "DIESER, unser Sohn" ("Benejnu SE"). Daraus schliesst er, dass die Eltern imstande sein müssen, das Kind, das ihnen Schwierigkeiten bereitet, mit klarem Blick zu erkennen und mit ihrem Finger auf es zu zeigen. Wieso kann das Gesetz über den widerspenstigen Sohn nicht auch auf blinde Elternangewendet werden? Rabbi Leff meint, dass Eltern, die blind sind, die wahren Bedürfnisse ihres Sohnes nicht erkennen können. Sie sind nicht imstande, ihrem Kind eine massgerechte Erziehung zu bieten und ein Zuhause, das seine einzigartigen und unverwechselbaren Fähigkeiten fördert. Für Kindererziehung gibt es keine Einheitsdoktrin. Kindererziehung ist wohl das komplizierteste Betätigungsfeld der Welt. Was für ein Kind gut ist, muss nicht notwendigerweise auch für ein anderes richtig sein. Wenn Eltern ihr Kind bedauerlicherweise nicht sehen können, kann ihre Erziehung sich auch nicht auf eigene Beobachtungen stützen.
Ein solches Kind kann nicht zum "widerspenstiger Sohn" gestempelt werden. Es ist nicht allein schuld an seiner Lage - es wuchs in schwierigen Verhältnissen auf.
Der Talmud [Schabbat 31a] führt eine Reihe von Fragen auf, die uns gestellt werden, wenn wir nach 120 Jahren vor dem Himmlischen Gericht erscheinen müssen. Wir werden gefragt, ob unser Geschäftsgebahren ehrlich war, ob wir feste Zeiten für das Toralernen festgesetzt haben, ob wir uns bemühten, eine Familie zu gründen, ob wir nach der Erlösung strebten usw. Der Sohar fügt dieser Liste noch eine weitere Frage hinzu. Der Sohar fügt hinzu, dass das himmlische Gericht nach 120 Jahren fragen wird: "Hast du für die richtige Erziehung deiner Kinder gesorgt?" Der Sohar sagt, dass G'tt die Anklage gegen einen Menschen fallen lässt, falls er diese Frage mit "ja" beantworten kann. Dann weigert er sich, Klagen gegen diesen Menschen anzuhören. Wenn jemand diese Frage beantworten kann, kommt er ohne weitere Mühe zum Ziel. Dies ist einerseits sehr ermutigend, aber andererseits auch sehr beängstigend!
Halewaj (möge es so sein), dass wir diese Frage am grossen Tag des Gerichts mit "ja" beantworten können.
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