Raw Frand zu Parschat Ki Tawo 5770
Nach vierzig Jahren geistige Reife zeigen
Die Parschiot im Buch Dewarim repräsentieren die letzten Tage im Leben von Mosche Rabbejnu. Am Ende von Ki Tawo sagt Mosche etwas sehr Interessantes: "Aber Haschem hat euch bis auf den heutigen Tag kein Herz zum Erkennen, keine Augen zum Sehen und keine Ohren zum Hören gegeben." [Dewarim 29:3]
Der Talmud [Awoda Sara 5b] leitet von diesem Passuk ab, dass ein Schüler seinen Lehrer und dessen Lektionen erst nach vierzig Jahren vollständig erfasst. Eine gewisse Reife kommt erst mit dem Alter.
Viele von uns können an die Lehrer und Rabbis zurückdenken, die sie in ihrer Jugend hatten. Vielleicht taten sie damals Dinge, die uns dannzumal unverständlich waren. Als wir älter wurden, sagten wir uns oft, "Nun verstehe ich, was er getan hat." Dies ist ein Beispiel von "Ein Mensch versteht seinen Lehrer erst nach vierzig Jahren vollständig."
Dies ist auch was in unserer Parscha geschah. Die Jehudim waren während vierzig Jahren in der Wüste. Trotzdem, dass sie unermessliche Grössen waren, war jene Generation eine äusserst schwierige Ansammlung von Einzelpersonen. Sie stellten Mosche und den Allmächtigen fast seit dem Befehl „Zieht aus" in Frage. Es waren noch keine sieben Tage seit dem Auszug aus Ägypten vergangen, als sie am Schilfmeer meinten, dass sie alle dem Untergang geweiht seien. Wir wundern uns, wie Menschen, welche alle Wunder der Plagen in Ägypten miterlebt hatte, unversehens in Panik geraten und meinen konnten, dass Haschem sie in Stich lasse? Und in gleicher Weise ging es während der ganzen Wüstenwanderung weiter: Wir werden verhungern; wir werden verdursten usw.
Nun, nach vierzig Jahren, nachdem die meisten der Generation des Auszugs aus Ägypten gestorben waren, sagt Mosche Rabbejnu endlich über die neue Generation: "Haschem hat euch bis auf den heutigen Tag kein Herz zum Erkennen, keine Augen zum Sehen und keine Ohren zum Hören gegeben." Mit diesem Gedanken können wir vielleicht einen sehr sonderbaren Passuk erklären.
Mosche macht eine kurze Zusammenfassung über die Reise durch die Wüste: "...die Kleider an eurem Leib wurden nicht abgetragen, und der Schuh an deinem Fuss wurde nicht abgelaufen. Brot habt ihr nicht gegessen, Wein und Berauschendes habt ihr nicht getrunken, damit ihr erkennen solltet, dass Ich der Ewige, euer G’tt bin. Und ihr kamt an diesen Ort, und Sichon, der König von Cheschbon und Og, der König von Baschan, zogen gegen uns in den Krieg, und wir schlugen sie. Und wir nahmen ihnen ihr Land und gaben es den Stämmen Re‘uwen, Gad und dem halben Stamm Menasche." [Dewarim 29: 3-5].
Würden wir die Höhepunkte dieser wundersamen Periode der jüdischen Geschichte schreiben, was hätten wir erwähnt? Würden wir das Detail der Landübergabe an die zweieinhalb Stämmen unter den Wundern erwähnen? Kaum!
Doch Mosche Rabbejnu erwähnt es als Höhepunkt! Er beschreibt, dass Haschem während den vierzig Jahren das jüdische Volk durch Wunder ernährte und kleidete. Haschem beschützte sie durch Wunder und besiegte Sichon und Og, als diese das jüdische Volk angriffen. Wir konnten erfolgreich ihre Länder übernehmen und hatten das erste Mal ein eigenes Stück Land.
Und dann erwähnt Er, dass dieses Stück Land den Stämmen Gad, Re‘uwen und dem halben Stamm Menasche übergegeben wurde. Diese Angelegenheit wird in einem kleinen Teil von Parschat Mass’ej beschrieben. Wir würden wahrscheinlich nicht sagen, dass dies einer der grossen Höhepunkte unserer Geschichte war. Mosche zählt sicherlich nicht jedes Ereignis der vierzig Jahre auf – nur die Höhepunkte! Und doch fühlte er sich verpflichtet, zu erwähnen, dass das eroberte Land zwischen Gad, Re’uwen und Menasche aufgeteilt wurde. Weshalb?
Der Schemen HaTow schlägt eine interessante Antwort vor. Mosche kam gegen Ende der vierzig Jahre zum Volk und sagte ihnen, dass die zwei Stämme ihren Anteil aus dem eroberten Land wollten. "Der Rest von uns wird nach Erez Jisrael reisen und mit den einunddreissig Königen und den sieben Nationen kämpfen. Nachdem wir sie besiegt haben, werden die restlichen Stämme ihren Anteil erhalten."
Viele Leute hätten auf einen solchen Vorschlag erwidert: "Nur einen Moment! Wir geben noch nichts weg! Lasst uns zuerst sehen, was geschieht. Was wenn wir die einunddreissig Könige und die sieben Nationen nicht besiegen können und das Land nicht erobern? Dies liesse uns keine andere Wahl, als das Territorium auf dieser Seite des Jordan zwischen allen zwölf Stämmen aufzuteilen. Nicht so schnell, Mosche Rabbejnu!"
Die dramatische Tatsache war jedoch, dass sie es nach vierzig Jahren “kapiert“ hatten! Endlich waren sie auf einer geistigen Stufe, dass sie, als ihnen gesagt wurde, dass sie mit G’ttes Hilfe das Land erobern würden, „das Geld schon auf der Bank“ hatten! Sie glaubten es so fest, dass sie bereit waren, das bereits eroberte Land wegzugeben. Sie wussten, dass das noch zu erobernde Land "schon ihnen gehörte".
Dies war der Unterschied zwischen jetzt und vor vierzig Jahren. Hätte Mosche Rabbejnu dies mit der früheren Generation versucht und ihnen gesagt "gebt dieses Land jetzt weg und ihr werdet eures später erhalten" so hätten sie ihm gesagt "nur einen Moment!" Sie hatten nicht einmal geglaubt, dass sie ihr Brot oder Wasser erhalten würden. Sie hätten gewiss nicht geglaubt, dass sie mächtige Armeen besiegen würden!
Um diese Entwicklung zu erwähnen, sagt Mosche: "Aber Haschem hat euch bis auf den heutigen Tag kein Herz zum Erkennen, keine Augen zum Sehen und keine Ohren zum Hören gegeben." Endlich nach vierzig Jahren habt ihr wahres Vertrauen in den Allmächtigen! Moshe beweist dies indem er ihre Bereitschaft erwähnt, das schon eroberte Trans-Jordanien den zweieinhalb Stämmen zu überlassen, in der Überzeugung, dass sie bald den Rest von Erez Jisrael erobern und ihren eigenen Anteil erhalten würden.
Dies ist nicht nur eine historische Fussnote über ein unbedeutendes Ereignis in der Wüste. Dies ist ein Wendepunkt in der geistigen Reife des jüdischen Volkes. Sie zeigten klar ihre Emuna (Glauben) in die Zusicherungen des Allmächtigen.
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