"Der Mann, der sich selbst in seinem Herzen segnet..." hat nicht ganz Unrecht - (Rav Frand Nizawim 5781)
"Der Mann, der sich selbst in seinem Herzen segnet..." hat nicht ganz Unrecht
In Paraschat Nizawim warnt der Allmächtige Klall Jisrael, dass sie kurz davor stehen, in ein Land einzureisen, in dem in Fülle Götzendienst betrieben wird. "Ihr wisst ja, wie wir im Land Ägypten gewohnt haben, und wie wir mitten durch die Völker gezogen sind… Und ihr habt ihre Gräuel und ihre Götzen aus Holz und Stein, aus Silber und Gold gesehen, die sich bei ihnen finden. Es könnte nun einer unter euch sein, ein Mann oder eine Frau oder eine Familie oder ein Stamm, dessen Herz sich heute vom Ewigen, unserem G"tt, abwendet, und der hingeht und den Göttern jener Völker dient, es könnte unter euch eine Wurzel sein, die Gift und Wermut als Frucht hervorbringt.
Und er könnte, obschon er diese Fluchworte hört, sich in seinem Herzen segnen und sagen: 'Es wird mir wohlergehen, wenn ich wandle, wie es mein Herz begehrt -– sodass die Sättigung den Durst noch mehrt.' Ihm wird der Ewige nicht vergeben wollen, sondern der Zorn des Ewigen und Sein Eifer werden dann gegen den Mann auflodern, und all die Fluchworte, die in diesem Buch geschrieben stehen, werden auf ihm ruhen, und der Ewige wird seinen Namen auslöschen, soweit der Himmel reicht. Und der Ewige wird ihn absondern zum Unglück aus allen Stämmen Israels, ganz nach den Fluchworten des Bundes, die in diesem Buche der Tora niedergeschrieben sind" [Dewarim 29:15-20].
Etwas in diesen Versen scheint keinen Sinn zu machen. Nachdem der Mensch all dies hört und klar und in allen Einzelheiten vor der Strafe gewarnt wird, die er erhalten wird, falls er den Göttern der Nationen von Kena’an dient, wie kann er "sich selbst im Herzen segnen und sagen: 'Es wird mir gut gehen, obwohl ich mit der Begierde meines Herzens weitermache'? Was kann er sich dabei denken? Der Allmächtige warnt ihn und sagt ihm, er solle dies nicht tun, da ihn sonst all diese Flüche ereilen werden!
Wir könnten vielleicht die Reaktion eines eigensinnigen Menschen verstehen, wenn er sagt: Mich geht es nicht an; ich glaube nicht an G"tt; oder etwas Ähnliches. Dieser Mensch hört jedoch den Fluch, und er akzeptiert ihn, aber in der Tiefe seines Herzens sichert er sich selbst zu: "Alles wird für mich gut gehen." Was denkt er sich denn?
Der Ibn Esra stellt diese Frage und erklärt den theologischen Fehler dieses Menschen. Der Mensch glaubt, dass er sich auf die Frömmigkeit und den Verdienst der Zaddikim verlassen kann, die zahlreich sind und deshalb seine eigene Bosheit ausgleichen werden, wenn der Tag des Urteils eintrifft. Dies ist der Grund, warum der Passuk sagt: Deshalb wird der Ewige nicht bereit sein, diesem Menschen zu verzeihen." G"tt wird diese Person von den gerechten Massen abtrennen und ihn individuell bestrafen.
Theoretisch hat dieser Intrigant Recht. Es gibt in der Tat eine grosse Stärke, wenn man Teil einer Gemeinschaft ist. Es ist nur, weil G"tt warnt: "Ich werde dies nicht akzeptieren", dass dieser Plan versagen wird. Theoretisch hat der Plan eine Logik in sich. Es ist berechtigt, zu glauben, dass die Tatsache, dass man Teil eines Zibburs (Gemeinschaft) ist, dies einem einen Schutz gewährt.
Die Mirrer Jeschiwa war die einzige europäische Jeschiwa, die den Holocaust des Zweiten Weltkriegs unversehrt überlebte. Sie reisten von Polen nach Litauen, nach Russland, durch Sibirien hindurch nach Kobe (Japan) und dann nach Schanghai, wo sie mehrere Jahre während des Krieges verbrachten. Sie reisten alle zusammen als Gemeinschaft. Die Administration der Jeschiwa forderte jeden auf, als Zibbur zusammen zu bleiben, um überleben zu können.
Sie betonten diesen Gedanken auch, als die Dinge noch halbwegs normal waren und es Bejn Hasmanim (Schulferien) von Sukkot war. Die Jeschiwa erlaubte keinem Bachur, für Sukkot nach Hause zurückzukehren, sondern beharrte darauf, dass sie - als Strategie für ein Überleben - mit der Jeschiwa zusammenbleiben sollten. Aus demselben Grund sagte Rav Chajim Schmuelewitz den Studenten, dass sie alle im gleichen Bejt haMidrasch (Lernsaal) lernen müssten, sodass sie die Macht und das Verdienst einer Gemeinschaft als Schutz haben sollten.
Dies ist der Grund, warum sie es schafften alle zu überleben. Obwohl jeder Bachur allein vielleicht dessen nicht würdig gewesen wäre, ist dies die Segula (spirituelle Handlung) des Schutzes, wenn man Teil einer grösseren Gemeinschaft ist.
Dies ist der Denkprozess des irregehenden Juden, der der Meinung ist, dass "es mir (trotz meines Eigensinns) gut gehen wird". "Ich vertraue auf das Verdienst der Gemeinschaft, sodass ich glaube, dass ich trotz meiner Sünden ungestraft davonkommen werde und in Frieden leben kann." Er hätte Recht, wenn G"tt nicht spezifisch eine Warnung für diese Situation ausgesprochen hätte.
Der Sohar Hakadosch erwähnt denselben Gedanken in Paraschat Noach und rät Personen davor ab, im Himmel zur Zeit des Urteils eine bevorzugte Behandlung zu fordern. Der Sohar erwähnt die Geschichte von Elischa und seiner schunamitischen Gastgeberin, wie es in Melachim/Könige II, Kap. 4, aufgezeichnet ist. Laut dem Sohar wohnte Elischa in ihrem Haus am Rosch Haschana, einer Zeit, wenn der Ewige über die Welt urteilt. Elischa fragte sie: "Hast du eine Sache an den König oder an den Feldhauptmann?" (Melachim II 4:13) Die einfache Auslegung dieses Passuks ist, dass er sich darauf bezieht, vom König Israels für sie einen günstigen Vorteil zu erbeten.
Der Sohar jedoch interpretiert das Wort "König" als den Heiligen, Gelobt sei Er. Die schunamitische Frau könnte solch ein Angebot doch nicht zurückweisen! Der grosse Prophet bot ihr an, für sie am Tag des Urteils Fürsprache beim König der Könige einzulegen! Wer von uns würde solch ein Angebot nicht annehmen? Die schunamitische Frau weist Elischa jedoch ab und antwortet: "(Nein danke). Ich wohne inmitten meines Volkes." Sie antwortet gemäss dem Sohar, dass sie ein Urteil als Teil der Gemeinschaft dem Angebot, ihren individuellen Fall vor den Ewigen zu bringen, vorziehe, auch wenn ein Prophet sich für sie einsetzen würde. Wenn jemand hervorgehoben wird, muss er eigene grosse Verdienste haben, denn all seine Sünden werden neben seinen guten Taten geprüft. Ein Urteil als Teil einer Gemeinschaft ist ein viel milderer Prozess.
In ähnlicher Weise sass Rav Lejser Judel Finkel (der Sohn des Alten von Slobodka), der Rosch Jeschiwa der Mirrer Jeschiwa in Europa und in Erez Jisrael, nicht an der Misrach(Vorder)-Wand der Jeschiwa (zumindest an den Hohen Feiertagen). Er wollte (wie die Worte der schunamitischen Frau) "inmitten seines Volkes verweilen".
Diese Methode, sich mit der allgemeinen Gemeinschaft zu identifizieren, ist eine der altehrwürdigen Segulot, aus dem Urteil des Himmels verdienstvoll hervorzugehen. Mögen wir alle angemessene Wege finden, uns der Gemeinschaft anzuschliessen, mehr ein Teil des Zibburs zu werden, und Dinge für den Zibbur zu tun, damit das Verdienst der Gemeinschaft uns beschützen soll, wenn wir uns den kommenden Tagen des Urteils nähern.
Quellen und Persönlichkeiten:
- Sohar (Hakadosch): Jüdische Mystiklehre (Kabbala), gelehrt von Rabbi Schim’on bar Jochai (ca. 67-160).
- Der Alte von Slobodka, Rav Nosson Zvi Finkel (1849-1927), Kelm, Slobodka (Litauen), Jerusalem. Er war ein einflussreicher Führer des orthodoxen Judentums in Osteuropa und Gründer der Slobodka Jeschiwa in der Stadt Vilijampolė (Kowno), wie der Jeschiwa in Chewron im Jahre 1924.
- Rabbi Elieser Jehuda (Lejser Judel) Finkel (1879- 1965); Sohn von Rabbi Nosson Zwi Finkel (Der Alte von Slobodka). Rosch Jeschiwa in Mir (Litauen, heute Weissrussland). Flüchtete im 2. Weltkrieg nach Wilna, von dort aus gelang es ihm nach Erez Jisrael zu flüchten. Gründete nach dem 2. Weltkrieg die Mirer Jeschiwa in Jerusalem.
- Rav Chajim Schmuelewitz (1902 – 1978), Schwiegersohn von Rabbi Elieser Jehuda (Lejser Judel) Finkel. Rosch Jeschiwa in Mir (Litauen), Schanghai (China) und Jerusalem.
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Die Bearbeitung dieses Beitrages erfolgte durch Mitarbeiter des Jüfo-Zentrums in Zürich
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