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Raw Wein zu Parschat Ha’asinu 5768

Die Fähigkeit zuzuhören

Das erste Wort dieser eindrücklichen Parscha, obwohl von Mosche an die Himmel gerichtet, ist eine Zusammenfassung der Torah und der Ansprüche, die sie an uns richtet. Ha’asinu bedeutet ‘zuhören’, ‘Aufmerksamkeit schenken’, ‘sich konzentrieren’. Die Torah betont oft die Wichtigkeit des Zuhörens. Eigentlich basiert die ganze Torah auf Hören – nach der Verpflichtung von ‘na’asse‘, erscheint die gleich wichtige und ebenso wesentliche Verpflichtung von ‚nischma‘.

Es ist nicht genug, nur zu tun, man muss auch hören und verstehen können. Die Mischna sagt uns, es existiert ein Echo („Bat Kol“) vom Berge Sinai, das an jedem Tag unseres Lebens vernommen werden kann. Viele Jehudim hören aber dieses Echo der Heiligkeit und des Lebenszweckes nicht, weil sie nicht hinhören. Die Stimme vom Sinai, gleich wie die Stimme von Ha’asinu selbst, ist eine innere Stimme, die von unseren Seelen und unserem Gewissen ausgeht. Sie sagt uns instinktiv, was richtig und was falsch ist, was wir tun und was wir meiden sollen.

Doch die innere Stimme – wie hartnäckig sie auch sei – kann einfach ignoriert und abgestellt werden. Wenn wir nicht bereit sind, hinzuhören und dieser Botschaft
wirklich zu lauschen, dann wird sie mit der Zeit schwächer und schwächer, bis es so weit kommt, dass sie sogar dann, wenn wir ihr zuhören wollten, nicht mehr hörbar ist.

Deshalb dürfen wir keinen Aufwand scheuen, wir müssen uns darauf konzentrieren hinzuhören, das Echo vom Sinai in uns zu erkennen und dann so zu handeln, wie diese Stimme es uns vorschlägt und gebietet.

Hinhören kann oft schwierig sein. Wir sind von Haus aus negativ eingestellt, wenn es sich um Kritik an unserer Person und unserem Benehmen handelt. Dies ganz besonders, wenn es konstruktive Kritik ist. Wenn man jedoch fähig ist, zuzuhören, was andere über einem zu sagen haben, genau hinzuhören, sogar wenn man das Gefühl hat, dass die Worte und Anschuldigungen ungerechtfertigt seien, dann ist dies ein Zeichen von Heiligkeit und ein Bekenntnis zu Selbstkritik.

Rabbi Jisrael Lipkin aus Salant, der grosse Gründer der Mussar-Bewegung im Litauen des neunzehnten Jahrhundert, erklärte einmal einen Pasuk der Psalmen wie folgt: Es steht: “Wenn Menschen, die mir übel wollen, gegen mich aufstehen, dann lass meine Ohren sie hören.” Die einfache Erklärung ist, wenn Menschen aufstehen, um mir zu schaden, dann lass mich vorher gewarnt sein, damit ich ihre Pläne vereiteln kann.

Doch Rabbi Jisrael legte diesen Pasuk anders aus. Er sagte, wenn Menschen, die mir kritisch gegenüber stehen, die mich nicht besonders schätzen und dies auf Gegenseitigkeit beruht, zu mir kommen und Dinge gegen mich sagen, dann gib mir die Charakterstärke und Kraft, ihnen zuzuhören. Vielleicht werden sie das eine oder andere Argument vorbringen, das korrekt ist und dann werde ich übersehene Fehler korrigieren und von ihrer Erfahrung profitieren können.

Der Schlüssel zur Selbstvervollkommnung liegt deshalb sicherlich in der Fähigkeit zuzuhören – sowohl anderen Menschen, als auch unserer inneren Stimme vom Sinai. Mosches mächtige Worte in dieser Parscha, dass wir zuhören sollen, sind also nicht nur an die Himmel gerichtet, sondern auch an uns. Hinhören soll uns irdische Wesen emporheben, näher zu einer himmlischen Lebensrichtung und Lebensart.

Schabbat schalom.

Rabbi Berel Wein

Quellen und Persönlichkeiten:
1810 - 1883 Rabbi Jisrael Salanter: Gründer der Mussarbewegung (Schulung des Charakters); Rosch Jeschiwa in Wilna und Kovno; Litauen.



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