Schewat/ Paraschat Beschalach

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Fasttag Tischa BeAw

Ergänzungen: S. Weinmann

 

Die Lehre von Kamza und Bar-Kamza  

Am kommenden Schabbat lesen wir Paraschat Dewarim. Dieser Schabbat fällt immer vor Tisch’a Be’Aw und wird auch Schabbat Chason genannt, weil die Haftara mit den Worten "Chason Jeschajahu..." beginnt. Dieser Schabbat fällt immer in die Periode der "Neun Tage" – die Tage der Trauer über den Churban Bejt Hamikdasch (die Zerstörung des Heiligen Tempels).

Chasal (unsere Weisen) lehren uns, dass der Grund für die Zerstörung des Zweiten Bejt Hamikdasch Sin’at Chinam (grundloser Hass) war.

Der Talmud (Traktat Gittin 55b-57a) erzählt uns, dass Jeruschalajim wegen Kamza und Bar-Kamza zerstört wurde. Es gab zwei Männer in Jeruschalajim, einer hiess Kamza und der andere Bar-Kamza. Eine gewisse Person, die Kamza gern hatte, Bar Kamza jedoch hasste, feierte ein Fest mit einer Mahlzeit. Er instruierte seinen Diener, Kamza zu seiner Mahlzeit zu bringen, aber sein Diener brachte versehentlich Bar Kamza.

Der Gastgeber traf ein und sah seinen Feind Bar Kamza am Tisch sitzen. Wütend forderte er ihn auf, den Saal zu verlassen. Bar Kamza wandte sich an den Gastgeber und bat ihn: "Lass mich bleiben, und ich werde für alles, was ich gegessen oder getrunken habe, bezahlen." Der Gastgeber weigerte sich jedoch.

"Ich werde die Hälfte der ganzen Festmahlzeit bezahlen, aber lass mich bitte bleiben", flehte er ihn an. Der Gastgeber lehnte dies jedoch ab.

"Ich werde die ganze Festmahlzeit bezahlen, aber lass mich doch bleiben (damit ich nicht beschämt werde)", bat er. Der Gastgeber weigerte sich jedoch kategorisch, packte den Bar Kamza gewaltsam und schmiss in hinaus.

Bar Kamza beschloss, dass nachdem auch Rabbiner anwesend waren und ihn nicht verteidigt hätten, sie mit seiner Beschämung einverstanden und daher auch sie für die Erniedrigung verantwortlich seien, die er erlitten hatte. Er ging und verleumdete sein Volk beim römischen Kaiser, und behauptete, dass die Juden gegen ihn rebellierten.

"Wie kann dies bewiesen werden?" fragte der Kaiser.

"Sende ein Opfer, das im Tempel dargebracht werden soll, und dann werden wir sehen, ob es dargebracht wird", antwortete Bar Kamza.

Der Kaiser sandte ein gesundes und fettes Kalb nach Jeruschalajim, aber Bar Kamza schnitt auf dem Weg dessen obere Lippen auf, sodass es einen Makel erhielt. (Erläuterung: Opfer wurden sowohl von Juden als auch von Nichtjuden für Haschem dargebracht. Juden konnten nur im Tempel Opfer darbringen, während Nichtjuden auch ausserhalb des Tempels Opfer darbringen konnten. Viele Makel, die ein Tier für ein Opfer eines Juden untauglich machen, würden ein Tier für einen Nichtjuden ausserhalb des Tempels nicht untauglich machen. Wenn jedoch der Nichtjude das Opfer im Tempel darbringen wollte, musste es gänzlich makellos sein wie dasjenige eines Juden. Der Makel an den Lippen disqualifizierte deshalb dieses Tier, das im Tempel dargebracht werden sollte.)

Zuerst dachten die Weisen das Opfer – wegen der Gefahr der Rebellions-Beschuldigung – darzubringen. Da sprach Rabbi Secharja ben Awkulas: Wie könnt ihr dies tun, man wird von dieser Handlung ableiten, dass fehlerhafte Tiere dargebracht werden dürfen. Sagten die Weisen, dann    müssen wir aber den Denunzianten Bar-Kamza umbringen, dass er uns nicht beim Kaiser verleumdet. Sprach Rabbi Secharja ben Awkulas abermals: Wer diese Handlung sieht, wird sagen, dass ein Mann, der an einem Opfer ein Makel macht, todesschuldig sei.

So kam es, dass die Kohanim schlussendlich das Tier nicht als Opfer darbrachten. Dadurch schien sich Bar Kamzas verleumderische Behauptung einer Rebellion zu bestätigen. Der Kaiser entsandte seine Armeen, die Jeruschalajim während drei Jahren belagerten und dies letztendlich zu seiner Zerstörung führte.

Rabbejnu Ascher, bekannt durch die Initialen-Abkürzung seines Namens "Rosch", schreibt in seinem Werk "Orchot Chajim" [vierter Tag, Paragraph 65] über Sin’at Chinam (grundlosen Hass): "Mische dich nicht in eine Auseinandersetzung ein, die nichts mit dir zu tun hat. Am Ende werden sie Frieden schliessen, aber du wirst zornig bleiben." Ihre Angelegenheit wird letztendlich eine Lösung finden, aber du, der nichts damit zu tun hattest, wirst in einem ungelösten Zustand bleiben.

Meine Frau und ich reden oft darüber, wie das Erziehen von Kindern uns einen aufschlussreichen Einblick in uns selbst gibt. Ich erinnere mich, wie mein ältester Sohn als junges Kind eine längere Zeit vor dem offenen Kühlschrank stand und hineinschaute. Schliesslich fragte ich ihn, was er wolle. "Ich weiss nicht was, aber irgendetwas", war seine Antwort. Ich erteilte ihm natürlich eine selbstgerechte Lektion, dass man den Kühlschrank nur öffnen sollte, um ein spezifisches Nahrungsmittel herauszunehmen. Ich blieb überzeugt und selbstzufrieden über meine erzieherischen Fähigkeiten, bis ich selbst zehn Minuten später den Kühlschrank nach etwas Interessantem durchsuchte.

Wir lachen oft, wenn Kinder vor uns stolzieren und verkünden: "Schaut meine neuen Schuhe an! Sind sie nicht schön?" Wir selbst würden so etwas natürlich nicht tun. Wir werden auf subtilere oder raffiniertere Weise sicherstellen, dass jeder den neuen Gegenstand von uns bemerkt. Oft sind unsere Kinder in einem Gerangel mit einem anderen Kind involviert. Wir sind wütig über die Ungerechtigkeit, die unserem kleinen Engel widerfährt. "Sie können mir etwas antun, wenn sie wollen, aber sie sollen nicht mit meinem Kind anfangen!" sagen wir zu uns selbst. Wir sagen unserem Kind, er solle nicht mit jenem Kind spielen, wenn dieser nicht schön spielen kann. Erstaunlicherweise sind sie zehn Minuten später wieder beste Freunde, und rennen Arm in Arm umher. Sie sind drüber hinweggekommen – wir jedoch nicht. Was denken wir? Wie hat er ihm so schnell verziehen?! Warum hegt er keine schlechten Gefühle und rächt sich nicht gegen seinen Widersacher (gegen das Gebot der Tora)? Warum habe ich ihn nicht erfolgreich dazu erzogen, hasserfüllt zu sein?

Es ist so leicht für uns, in jener Midda (Eigenschaft) verwickelt zu werden, die das Bejt Hamikdasch zerstörte. Ausserdem sind wir offensichtlich noch sehr in dieser Midda verstrickt, sonst hätten wir persönlich den Wiederaufbau des Bejt Hamikdasch erlebt!

In Erez Jisrael gab es zur Zeit der frühen 1900er Jahre zwei Spitäler für die Bewohner von Jeruschalajim. Eines war Scha’arej-Zedek-Spital, das von religiösen Juden geführt wurde, und das andere war ein Spital, das von Missionaren geführt wurde.

Zu jener Zeit hatten sehr viele nichtreligiöse Führer eine feindselige Haltung gegenüber den religiösen Führern. Raw Josef Chajim Sonnenfeld, der altehrwürdige Rabbiner von Jeruschalajim, war das Objekt ihrer hasserfüllten Verachtung. Einer dieser aggressiven antireligiösen jüdischen Führer wurde sehr krank. Nachdem er zwei Wochen im Spital der Missionare gelegen war, verschlechterte sich sein Gesundheitszustand, und die dortigen Ärzte gaben verzweifelt auf. Seine Familie wollten ihn ins Scha’arej-Zedek Spital bringen. Der Verwalter des Spitals weigerte sich, ihn aufzunehmen, nachdem er wusste, dass er ein verbissener Gegner des toratreuen Judentums sei und deshalb ins Spital der Missionare gebracht wurde. Ein Verwandter des Kranken realisierte, dass der einzige Mensch, der den Spital-Verwalter dazu bringen konnte, seine Meinung zu ändern, Raw Josef Chaim Sonnenfeld war.

Der Verwandte erzählte: 'Ich rannte im strömenden Regen zu Raw Josef Chajims Haus und kam dort total durchnässt an. Als ich in sein Zimmer eintrat, war er über einen grossen Talmudband geneigt, tief im Lernen versunken. Ich wusste, dass er traurig war, dass ich den Weg meiner Eltern verlassen hatte, aber er grüsste mich trotzdem warm und lud mich ein, mich zu setzen.

Ich entschuldigte mich für die Störung und erzählte ihm die ganze Geschichte. Ich sagte ihm, wer der Kranke sei und in welchem Spital er gewesen war.

Raw Josef Chaim bog sanft die Ecke der Seite ein, die er gelernt hatte, schloss den Talmud, stand auf und begann, seinen Mantel anzuziehen. Ich erklärte, dass ich ihn nicht bemühen wollte, ins Spital zu gehen – ich wollte nur einen Brief für den Verwalter haben.

"Wenn es um die Rettung eines Menschenlebens geht, schreibt man keine Briefe", rügte er mich. Er rannte die Treppen hinab und eilte durch die Strassen. Obwohl er fünfundsiebzig Jahre alt und ich noch recht jung war, konnte ich kaum mit ihm mithalten. Der Regen war intensiver geworden, und ich schlug vor, unter einem Dächlein zu warten, bis der Regen sich beruhigen würde. Er beschleunigte seine Schritte, und ich hörte ihn zu sich selbst sagen: "Wir retten ein Leben, und ich sollte mich von Regentropfen abschrecken lassen?"

Ich kam hinter ihm ins Spital und eilte in das Verwaltungsbüro, wo ich seine Worte an den Spital-Verwalter hörte: "Seit wann beschliessen Sie halachische Fragen von Leben und Tod? Nehmen Sie ihn ins Spital auf und dann können wir darüber sprechen!" Er wandte sich dann an mich und sagte: "Bringe den kranken Mann, jeder Moment ist kostbar."

Mein Verwandter wurde ins Spital aufgenommen und wurde nach nur zwei Wochen gesund entlassen. Ich war zutiefst beschämt, ihm sagen zu müssen, dass der Mann, den er so hasst, derjenige ist, der sein Leben gerettet hat!'

Quellen und Persönlichkeiten:

Rosch (ca. 1250 – 1327) [Rabbi Ascher ben Jechiel]: Jüdischer Rechtsgelehrter, einer der bedeutendsten Rischonim; Worms (Deutschland) und Toledo (Spanien). Eines seiner Werke ist das Buch „Orchot Chajim“, ein Sefer Mussar (Buch über Verhaltensweisen, Moralregeln, Schulung des Charakters), mit ganz kurzen Mussar-Sprüchen, geteilt in sieben Teile, für jeden Wochentag ein Teil.

Rav Josef Chajim Sonnenfeld (1848 - 1932): Verbó, Seminiz, Pressburg, Kobersdorf (Ungarn/Slowakei), Jeruschalajim. Rav von Jeruschalajim.

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Die Bearbeitung dieses Beitrages erfolgte durch Mitarbeiter des Jüfo-Zentrums in Zürich

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