Schewat/ Paraschat Beschalach

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Perspektiven zu Simchat Tora 5784

 

Von C. Goldwasser

Aus: DJZ, 14. Tischri / 2. Okt. 2020

 

Die Kraft wahrer Freude

 

Reb Mottel war ein wahrer Chassid von Rabbi Schmuel von Lubawitsch sZl. ("Maharasch" - der vierte Lubawitscher Rebbe). Da seine Heimatstadt von Lubawitsch recht weit entfernt war, war es keine einfache Sache, zum Rebben zu reisen. Manchmal verspürte Reb Mottel jedoch das Bedürfnis für Ratschläge, um seine Jiddischkeit (geistiges Level) zu verbessern, und machte sich auf die lange Reise. Dann blieb er so lange in Lubawitsch, bis er das Gefühl hatte, dass es seiner Neschama (Seele) wieder besser ging.

Eines Jahres wurde Reb Mottels Sohn im Elul schwer krank. Zuerst hofften seine Eltern, dass er bald wieder genesen würde, doch nach wenigen Tagen verschlechterte sich sein Zustand. Reb Mottel zog die besten Ärzte heran, doch niemand konnte ihm helfen.

Reb Mottel und seine Frau sagten Tehillim, gaben viel Zedaka und versuchten jede Segula (mystisches Heilmittel), die sie kannten. Als Reb Mottel jedoch sah, dass es seinem Sohn immer schlechter ging, wusste er, dass er zu seinem Rebben reisen musste, um dessen Beracha zu erhalten.

Und so spannte Reb Mottel sofort nach Jom Kippur sein Pferd vor den Wagen und machte sich auf den Weg. Er war sich bewusst, dass er Sukkot nicht richtig würde feiern können, wenn er unterwegs war, doch da das Leben seines Sohnes in Gefahr war, machte dies keinen Unterschied.

Reb Mottel wusste, dass der Rebbe im Monat Tischri sehr damit beschäftigt war, für ganz Klall Jisrael zu dawenen (beten), wie auch mit verschiedenen Mizwot beschäftigt war, die man nur in diesem erhabenen Monat erfüllen kann. Er wusste, dass der Rebbe deswegen keine Chassidim empfing. Er war sich nicht sicher, ob der Gabbai (Sekretär) des Rebben ihm eine Audienz gewähren würde, doch er hoffte und dawente, dass man eine Ausnahme machen würde.

Reb Mottel erreichte Lubawitsch am Chol Hamoed Sukkot. Sofort suchte er den Gabbai auf und erzählte ihm unter Tränen, was ihn dorthin gebracht hatte. "Ich weiss, dass der Rebbe den ganzen Monat dem Bringen von Jeschuot (Rettung, Hilfe) für Klall Jisrael widmet, doch ist dies eine Angelegenheit von Pikuach Nefesch (Lebensgefahr)", bat er.

Zu seiner Erleichterung versprach ihm der Gabbai, dass er ihn bei der erstbesten Gelegenheit eine Audienz beim Rebben erledigen würde.

Reb Mottel setzte sich ins Bejt Hamidrasch des Rebben, sein Herz voller Sorge. Er sah vor sich seinen kranken Sohn, wie er kraftlos im Bett lag. Dieser Jomtow war für ihn wirklich nicht ein Seman Simchateinu (Zeit der Freude). Er nahm sich ein Tehillim und steckte all seine Kräfte in die Pessukim (Verse).

Reb Mottel wusste, dass er sich auf sein Treffen beim Rebben vorbereiten musste. Einerseits war es möglich, dass der Rebbe ihm eine warme Beracha geben würde und dass sein Sohn bald wieder gesund werden würde. Doch er wusste, dass auch etwas anderes möglich war. Es konnte sein, dass er das Zimmer im Wissen verlassen würde, dass das Schicksal seines Sohnes besiegelt war und keine Tefillot (Gebete) dies ändern konnten.

Es war bekannt unter den Lubawitscher Chassidim, dass man vom Benehmen des Rebben, wenn er ein Kwittel (Zettel mit der Bitte) erhielt, erkennen konnte, ob man eine Jeschua (Rettung) erwarten konnte oder nicht. Wenn der Rebbe das Kwittel in seine Hand nahm und es las, war es sicher, dass die Bitte erfüllt werden würde. Wenn der Rebbe jedoch das Kwittel auf dem Tisch liegen liess, war dies ein Zeichen, dass nichts getan werden konnte, um das Himmlische Verhängnis abzuwehren.

Als die Zeit kam, da Reb Mottel zum Rebben gehen konnte, legte Reb Mottel das Kwittel vorsichtig auf den Tisch vor dem Rebben hin. Angespannt wartete er darauf, dass der Rebbe es aufheben und lesen sollte. Zu seiner Verzweiflung blieb der Zettel jedoch auf dem Tisch liegen.

Frische Tränen traten aus Reb Mottels Augen, da er verstand, wie schwerwiegend die Situation war. Der Rebbe schaute von Reb Mottel zum Kwittel und dann wieder zurück, doch er hob das Kwittel nicht auf.

Reb Mottel stolperte aus dem Zimmer, geblendet vor Tränen. Sein geliebter Sohn würde von ihnen genommen werden, in einem solch jungen Alter. Er weinte herzzerbrechend während langer Zeit, bis er endlich einschlief.

Die nächsten Tage waren für Reb Mottel sehr schwierig. Er war so traurig und so voller Schmerzen, dass er sich nicht dazu bringen konnte, etwas zu essen. Um ihn herum versammelten sich Chassidim, um die festlichen Chol-Hamoed-Mahlzeiten zu essen, doch obwohl sie versuchten, ihn zu trösten und aufzumuntern, war er untröstlich.

In der Nacht von Simchat Tora war das Bejt Hamidrasch des Rebben voller Chassidim, die angereist waren, um Jomtow mit dem Rebben zu verbringen. Die Stimmung war voller Freude, als alle darauf warteten, dass der Rebbe eintreten und mit den Hakafot beginnen würde. Auch Reb Mottel war dort, doch die Freude konnte ihn nicht berühren. Sein Herz und seine Gedanken waren weit entfernt bei seinem kranken Sohn (oder war das Schlimmste schon geschehen?)

Der Rebbe trat ein und die Tefilla begann. Reb Mottel sagte die heiligen Worte zusammen mit den anderen, doch sein Herz war schwer. Und dann begannen die Hakafot. Freude durchdrang das Bejt Hamidrasch, als die Leute sangen und tanzten. Nur Reb Mottel stand still in einer Ecke und starrte die Leute mit leerem Blick an.

Langsam begann die Freude jedoch sein eisiges Herz zu durchdringen. Die Freude war so gross, dass sie sogar auf ihn eine Wirkung hatte. Er schaute sich um und dachte plötzlich: Hatten alle anderen, die hier tanzten, keine Sorgen? Gab es nicht auch andere, denen es schlecht ging?

Da war zum Beispiel Schmerel, ein Bettler, der kein Geld hatte, um für seine Kinder Essen zu kaufen. Chaskel hatte einige Kinder, die nicht gesund waren. Mosches Tochter brauchte dringend einen Schidduch. Und sie alle tanzten. Ihre Gesichter leuchteten. Es war ihnen gelungen, ihre persönlichen Probleme zu verdrängen, um ihrer grossen Freude über die heilige Tora Ausdruck zu geben.

Reb Mottel spürte, wie sich seine Gefühle änderten. Er war inmitten einer schlimmen Zara, doch auch er war dankbar für die Tora! Er ging in den Kreis, der ihm am nächsten war, und liess es zu, von der Menge mitgerissen zu werden. "Sissu wesimchu beSimchat haTora", sangen die Chassidim, und Mottel sang voller Leidenschaft mit.

Reb Mottel tanzte in der Nacht und dann wieder am Morgen. Es gelang ihm, den Grund für seine Reise nach Lubawitsch zu verdrängen.

Am Tag nach Simchat Tora ging Reb Mottel, um sich vom Rebben zu verabschieden. Da er sich mit der Situation abgefunden und Haschems Urteil mit Liebe akzeptiert hatte, erwähnte er seinen Sohn nicht einmal.

Zu seiner grossen Überraschung begrüsste ihn der "Maharasch" mit einem leuchtenden Gesicht. "Du sollst wissen", sagte der Rebbe, "dass als du am Chol Hamoed um eine Beracha für deinen Sohn gebeten hast, der keine Lebenschance hatte. Die Gesejra (Entscheid im Himmel) war beschlossen und ich konnte nichts dagegen tun. Doch am Simchat Tora, als du deinen persönlichen Schmerz verdrängt und dich mit der Tora gefreut hast, hat deine Freude das Himmlische Urteil zerrissen, und dein Sohn wird wieder gesund werden.

Es muss wohl nicht gesagt werden, dass als Reb Mottel nach Hause kam, er seinen Sohn gesund und munter vorfand!

Ein Leitfaden für unser Leben.

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Die Bearbeitung dieses Beitrages erfolgte durch Mitarbeiter des Jüfo-Zentrums in Zürich

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