Schewat/ Paraschat Beschalach

Die jüdischen Monate

Der Monat Tischri

(Aus Sefer Hatoda’a / Das Jüdische Jahr. Bearbeitet und ergänzt von S. Weinmann)

Die Namen der jüdischen Monate stammen aus der Zeit des babylonischen Exils: Tischri, Cheschwan, Kislew, etc.

Die Tora nennt den Monat Tischri "Hachodesch Haschewi'i – den siebten Monat – da ja die Zählung der Monate mit dem Nissan beginnt.

Alles "siebte" ist in der jüdischen Tradition von besonderer symbolischer Bedeutung: "Kol Haschwi'im Chawiwim Lema'ala – alle siebten sind von oben mit besonderer Liebe bedacht."

Unter den Himmeln ist Arawot der siebte: "… Solu Larochew Ba'arawot… - erhebt den Lenker der Höhen" (Tehillim 68, 5). In der Aggada spricht man von sieben Himmeln: Wilon, Rakia, Schechakim, Sewul, Ma’on, Machon und Arawot (Chagiga 12b).

Bei den Begriffen für "Land" ist "Tewel" der siebte: "Wehu Jischpot Tewel Bezedek – und Er richtet die Welt nach Gerechtigkeit …" (Tehillim 9, 9). Die sieben Bezeichnungen sind: Arez, Adama, Arka, Gai, Zija, Neschija und Tewel.

Bei den Generationen: Adam, Schet, Enosch, Kejnan, Mahalal’el, Jered, Chanoch. "Wajithalech Chanoch Et Ha'Elokim – es wandelte Chanoch mit G"tt" (Bereschit 5, 24).

Bei den Stammvätern: Awraham, Jizchak, Ja’akow, Lewi, Kehat, Amram, Mosche: "UMosche Ala El Ha'Elokim – und Mosche stieg zu G"tt hinauf" (Schemot 19, 3). Bei den Söhnen Jischais: Eliaw, Awinadaw, Schima, Netanel, Raddai, Ozem und Dawid (Diwrei Hajamim I 2, 15).

Bei den Königen: Schaul, Isch-Boschet, Dawid, Schlomo, Rechawam, Awija und Assa: "Wajikra Assa El Haschem Elokaw – da rief Assa zum Ewigen, seinem G"tt …" (Diwrej Hajamim II 14, 10). Sein Gebet wurde erhört, schneller als das seiner Vorgänger.

Bei den Jahren: "Wehaschewi'it Tischmetenna … - und das siebte lässt du brach liegen und überlässt es sich selbst" (Schemot 23, 11).

Bei den Tagen: "Wajewarech Elokim et Jom Haschewi'i – und G"tt segnete den siebten Tag…" (Bereschit 2, 3).

Bei den Monaten: "UwaChodesch Haschewi'i Be'Echad LaChodesch … - und im siebten Monat, am ersten des Monats …" (Bamidbar 29, 1).

So hat G"tt Seinen Namen mit allen siebten verbunden, hat sie auserwählt und mit Seinem Namen geheiligt. (Jalkut Jitro 276)

Unsere Weisen erklären auch (Jalkut 645), dass das Wort "Schewi'i" die gleichen Stammbuchstaben hat wie "Sowa" – Sattheit. Kein anderer Monat im Jahr ist so "gesättigt" mit Mizwot wie der siebte, der Tischri: Schofar-Blasen, Jom Kippur, Sukka und Arawa (4 Arten am Sukkot). Oder – kein anderer Monat ist so ertragreich und vorratsfüllend: Tennen, Kelter und Vorratskammern werden in diesem Monat gefüllt.

Zusätzlich ist er mit Festtagen gesättigt. Es gibt nämlich elf Festtage in diesem Monat: Zwei Tage Rosch Haschana (der zweite Tag von unseren Weisen angeordnet), Jom Kippur, sieben Tage Sukkot und Schemini Azeret. In der Gola – Diaspora – sind es sogar zwölf, mit Simchat Tora.

In den Schriften der Propheten wird der Monat Tischri "Jerach Ha'ejtanim" – der Monat der Starken – genannt: "Und alle Männer versammelten sich zum Fest (Einweihung des Tempels) vor König Schlomo (Salomon) im Monat Ejtanim, dies ist der siebte" (Melachim I 8, 2). Unsere Weisen sagen, dass dieser Monat so heisst, weil unsere Stammväter, Awraham, Jizchak und Jakow, im Tischri geboren wurden [Traktat Rosch Haschana 11a].

Das Sternbild Waage

Es gibt zwölf Sternzeichen. Es sind dies Sterngruppen, die uns als Sternbilder erscheinen. Diese Sternbilder sind im Himmelskreis fixiert und jeden Monat erscheint ein anderes Sternbild. Das Sternbild des Monats Tischri ist die Waage, zwei Waagschalen mit einem Waagebalken dazwischen. Symbol für Gerechtigkeit und Justiz. In diesem Monat wird über die ganze Welt Gericht gehalten, die Taten jedes einzelnen Menschen werden in die Waagschale gelegt, und G"tt entscheidet über das Schicksal eines jeden, je nach Verdienst oder Schuld.

König David sagte vor G"tt: "(Verlasse dich nicht auf Menschen, denn…) Ein Nichts sind die Menschensöhne, ein Trug (auch) die (angesehenen) Menschenkinder – "Bamosnajim La'alot" – sollten  sie auf die Waagschale gelegt werden – so sie sind nur ein Hauch " (Tehillim 62, 10). Dazu sagt Rabbi Chija im Namen von Rabbi Levi: Alle Nichtigkeiten, mit denen sich Israel während des Jahres beschäftigt – "Bamosnajim La'alot" – lassen die Waagschale heraufsteigen (negativ) – aber G"tt vergibt ihnen unter dem Sternzeichen der Waagschale - "Bamosnajim La'alot" (positiv) - im Monat Tischri [Midrasch Tanchuma Schelach-Lecha 13].

Der 1. Tischri

Obwohl Tischri der siebte Monat ist, wird er in Bezug auf das Kalenderjahr als erster Monat des jüdischen Jahres gerechnet. Der erste Tischri ist der Anfang des neuen Jahres – Rosch Haschana. Dies gilt auch für das Schmittajahr / Schabbatjahr (jedes 7. Jahr) und Joweljahr (jedes 50. Jahr), sowie für Baumpflanzungen und für die Getreide- und Gemüseernte (Mischna, Rosch Haschana 1, 1).

Schmitta und Jowel: Mit Beginn des Monats Tischri des Schmitta- oder des Joweljahres ist von der Tora aus, das Pflügen und Säen untersagt.

Baumpflanzungen: Nach dem Einsetzen oder Pflanzen eines Fruchtbaumes werden die Früchte in den ersten drei Jahren "Orla" genannt und sind weder zum Essen noch zur Nutzniessung erlaubt. Im 4. Jahr werden die Früchte "Neta Rewai" genannt (wörtlich: die Pflanze des vierten) und werden, in natura oder der Erlös, in Jeruschalajim gegessen. Ist ein Fruchtbaum 45 Tag vor dem ersten Tischri gepflanzt worden, so beginnt das zweite Orla-Jahr am ersten Tischri.

Getreide- und Gemüseernte: Der erste Tischri wird als Neujahr für "Terumot" (die Abhebe für die Kohanim) und "Ma'assrot" (die Zehnten für die Leviten) des Getreides und der Bodenfrüchte betrachtet. Die Tora fordert, dass diese Abgaben für das laufende Jahr erhoben werden, es können also keine Terumot und Ma'asrot von der vorjährigen Ernte, d.h. bis zum ersten Tischri für die neue Frucht, die nach Rosch Haschana geerntet wird, abgesondert werden.

Rosch Haschana:

Der Tag der Verhüllung

Rosch Haschana – der erste Tischri - wird auch Jom Hakesse – der Tag der Verhüllung – genannt. "Tiku Wachodesch Schofar Bakesse Lejom Chagenu – am Neumond stosset ins Schofar, am Tag der Mondverhüllung, am Tag unseres Festes (Tehillim 81, 4). Es erinnern die Weisen auch an den Vers "Am Tage der Verhüllung des Mondes wird er nach Hause kommen" (Mischlei 7, 20). Die Ähnlichkeit der Worte "Kesse" – Verhüllung – und "Kisse" – Thron – deuten auf den Richterthron G"ttes hin, auf dem Er an diesem Tag sitzt. Kesse – Verhüllung – ist auch eine Andeutung auf die Barmherzigkeit G"ttes, dass Er an diesem Tag unsere Schuld verhüllen und unsere Sünden gnädig verbergen möge.

Alles wird an diesem Tag mit Verhüllung in Zusammenhang gebracht. Während alle anderen Festtage im Jahr zur Vollmondszeit fallen, oder davor oder danach, fällt Rosch Haschana auf den ersten des Monats, wenn der Mond noch verhüllt ist. Symbolisch wird auch das Volk Israel mit dem Mond verglichen, denn es strahlt an seinen Schabbat- und Festtagen in vollem Glanz. An Rosch Haschana jedoch zieht es sich in Ehrfurcht vor dem grossen Tag des Gerichts zurück. Auch der Allmächtige breitet über Sein Volk eine Hülle, verbirgt damit seine Sünden und gewährt ihm dann Verzeihung und Vergebung (Siehe Pesikta Rabbati, 40).

Auch in der Tora selbst ist das Wesen, der Charakter des Jom Hadin, des Tags des Gerichtes, nicht ausdrücklich erwähnt. Er ist eher verhüllt angedeutet, damit die Teschuwa – die Rückkehr zu G"tt – nicht nur auf diesen einen Tag beschränkt bleibe, sondern, dass der Mensch auch während des Jahres die Möglichkeit zur Teschuwa ergreife. Auch soll dem Satan – dem Behinderer – der genaue Zeitpunkt "verhüllt" bleiben, damit er nicht als Ankläger erscheine. Aus diesem Grund pflegt man auch kein "Birkat Hachodesch" – die Neumondsverkündung – am Schabbat vor Rosch Haschana zu machen, wie sonst für alle anderen Monate Brauch ist.

Tag der Anfänge

Der erste Tischri ist, nach Rabbi Elieser, der Tag, an dem G"tt den Menschen geschaffen hat als Krönung der Schöpfung (Rosch Haschana 10a). Ebenso sagt Rabbi Elieser, dass unsere Stammväter im Tischri geboren wurden, da sie Anfang für eine Welt waren, die bisher sündhaft war. Am Rosch Haschana wurden Sara, Rachel und Chana bedacht. Sie waren vorher kinderlos, doch von diesem Tag an schenkte ihnen G"tt die Hoffnung auf Kindersegen.

Am Rosch Haschana wurde Josef aus dem Gefängnis entlassen, in dem er zwölf Jahre lang unschuldig eingesperrt war. Von diesem Tag an begann sein Licht zu leuchten.

Am Rosch Haschana wurde der Sklaverei unserer Väter in Ägypten ein Ende gesetzt, und so wurde der Tag der Anfang der Erlösung.

Schon am ersten Rosch Haschana der Welt, an dem Tag, an dem der Mensch erschaffen wurde, sind die Begriffe von Gericht und Vergebung gegenwärtig. Unsere Weisen sagen, dass an jenem Tag Adam G"ttes Gebot in Bezug auf den Baum des Wissens übertreten hat und dafür gerichtet wurde. Aber auch Verzeihung wurde ihm zuteil. Dies sei ein Zeichen für deine Kinder, sagt G"tt zu ihm: genau wie du an diesem Tag verurteilt wurdest, aber dir auch vergeben wurde, so werden auch deine Kinder an diesem Tag gerichtet werden, aber auch Verzeihung erhalten (Pesikta Deraw Kahana, Bachodesch Haschewi'i).

"Lo A'D'U Rosch…" - Tage, an denen Rosch Haschana nie beginnt

Der erste Tag Rosch Haschana kann nur auf Montag, Dienstag, Donnerstag oder Schabbat fallen, niemals jedoch auf Sonntag, Mittwoch oder Freitag.  Dies bedeutet "A’D’U’ (im Hebräischen ALEF-DALET-WAW – Sonntag-Mittwoch-Freitag) "Lo Rosch" kann nicht Rosch Haschana sein.  Dies ist eine "Takkanat Chachamim" – eine Anordnung unserer Weisen. Dies wird im Kapitel über das Kalenderjahr noch genauer erklärt.

Perspektiven zu Rosch Haschana 5783 (2. Teil)

Aus Sefer Hatoda’a / Das Jüdische Jahr. Bearbeitet und ergänzt von S. Weinmann

Rosch Haschana – zwei Tage – warum?

Rosch Haschana wird zwei Tage lang gefeiert, am ersten und am zweiten Tischri, obwohl in der Tora nur von einem Tag die Rede ist: "Im siebten Monat, am ersten Tag des Monats, soll euch ein Tag der Ruhe, der Erinnerung durch den Schall des Schofars, Tag der heiligen Berufung sein" (Wajikra, 23, 24).

Die Bestimmung, Rosch Haschana zwei Tage lang zu feiern, wurde schon von den Newi'im Rischonim – den ersten Propheten – festgelegt [Jeruschalmi, Eruwin, Perek 3 Halacha 9]. Der Grund dafür ist die Tatsache, dass der neue Monat dauernd durch Zeugenaussagen vom Obersten Gerichtshof bestimmt und geheiligt wurde. Diese Zeugen mussten das Erscheinen des "Molad" – des Neumondes – gesehen haben und dies vor dem Gerichtshof bezeugen. Deshalb musste der Beginn des Monats Tischri – Rosch Haschana - sofort beim Eintritt der Nacht, nach dem 29. Elul (dem vorangehenden Monat), festgelegt werden, da die mögliche Ankunft von Zeugen am Morgen des nächsten Tages eine Heiligung des Vorabends verursachen könnte.

Kamen solche Zeugen, dann war dieser selbe Tag "Kodesch" – heilig – und der nächste Tag wäre dann "Chol", ein gewöhnlicher Wochentag. Wenn aber den ganzen Tag durch keine Zeugen kamen, so war der darauffolgende Tag automatisch "Kodesch", und der vorherige Tag wäre dann ein gewöhnlicher Wochentag (30. Elul) gewesen. Damit nun die Heiligkeit des ersten Tages des Zweifels wegen nicht missachtet werde, ordneten die Propheten an, dass Rosch Haschana immer zwei Tage lang gefeiert werden muss. Werkverbot, Schofarblasen und Gebetsordnung, sowie alle anderen Einzelheiten der Festordnung sind für beide Tage bindend. Beide Tage zusammen werden "Joma Arichta" – ein langer Tag – genannt, das heisst, dass die zweimal vierundzwanzig Stunden als ein geheiligter Tag gerechnet wird, nicht als zweifelhafte, sondern als gewisse Heiligkeit. Bei der Vorbereitung der Mahlzeiten werden sie jedoch als zwei Tage betrachtet, es ist also nicht erlaubt, von einem Tag auf den nächsten Tag zu kochen.

Der Rambam – Maimonides – schreibt [Hilchot Kiddusch Hachodesch, Kap. 5, 7-8]: "Die Mehrzahl der Bewohner des Landes Israel pflegten den "Jom Tow" (Feiertag) von Rosch Haschana des Zweifels wegen zwei Tage lang zu begehen, denn sie wussten nicht, auf welchen Tag der Gerichtshof in Jeruschalajim den Monatsanfang festgesetzt hatte, da ja die Boten am Feiertag selbst nicht hinausgehen durften, um allen den exakten Monatsanfang zu verkünden.

Fernerhin, sogar in Jeruschalajim, Sitz des Gerichtshofes, wurde Rosch Haschana sehr oft zwei Tage lang gefeiert. Wenn nämlich die Zeugen während des 30. Tages nicht erschienen, wurde der Tag in Erwartung der Zeugen als heilig gehalten, und auch der nächste Tag war dann unweigerlich heilig (nie kann ein Monat mehr als 30 Tage haben). Da man zwei Tage lang feierte, auch wenn der Monat anhand von Augenzeugen bestimmt wurde, setzte man fest, dass Rosch Haschana auch in Erez Jisrael zwei Tage lang gehalten werden müsse, selbst heute, wo der Monatsbeginn durch Berechnung festgelegt ist. Daraus lernt man, dass der zweite Tag Rosch Haschana heutzutage "MiDiwrej Sofrim" – eine Anordnung der Weisen – ist."

Es besteht aber ein Unterschied zwischen der Zeit, da man die Monate durch Augenzeugen festgelegt hat, und zwischen der heutigen Zeit. Als der Monat noch durch Augenzeugen geheiligt wurde, und die Zeugen, die den Neumond gesehen hatten, nicht zur rechten Zeit erschienen waren, war der erste Tag von Rosch Haschana "MideRabbanan" – als Anordnung der Weisen - bestimmt, der zweite Tag jedoch, der erste Tischri, "Min Hatora" – als Toragesetz – festgesetzt. Heute jedoch, da die Monate und Feiertage durch Berechnungen festgelegt werden, und der erste Tag von Rosch Haschana immer auf den ersten Tischri fällt, gilt der erste Tag "Min Hatora" und der zweite "MiDiwrej Sofrim (Anordnung der Weisen)".

Der Tag des Gerichtes

Rosch Haschana ist der Tag des Gerichtes für alle Sterblichen dieser Welt. An diesem Tag wird der Mensch gerichtet, und alles, was ihm im kommenden Jahr geschehen soll, wird an diesem Tag bestimmt. Denn so heisst es: "Die Augen des Ewigen, Deines G"ttes, sind stets auf das Land gerichtet vom Anfang des Jahres bis zu seinem Ende" [Dewarim 11, 12]. "Am Beginn des Jahres wird geurteilt, was am Ende sein soll!" [Rosch Haschana 8a].

Auch von der Art und Weise, wie G"tt Sein Volk beurteilt, sprechen unsere Weisen: "Alle Bewohner der Welt ziehen an Ihm vorüber wie Schafe – Kiwnej Maron" [Rosch Haschana 16a]. Sie ziehen vor ihm einzeln vorbei, einer nach dem anderen (die Taten eines jeden einzelnen werden genau geprüft), dennoch werden alle gemeinsam im gleichen Moment gerichtet, wie es heisst [Tehilim/Psalm 33:15]: "Er, Der ihr Herz gemeinsam bildet, Der alle ihre Taten versteht".  G"tt, der Schöpfer, sieht in die Herzen eines jeden zu gleicher Zeit und versteht alle ihre Taten.

Rabbi Kruspedal sagte im Namen von Rabbi Jochanan: "Drei Bücher werden am Rosch Haschana geöffnet: Das eine für Rescha’im Gemurim (Bösewichte), eines für die Zaddikim Gemurim (Fromme, Gerechte), und eines für die Bejnonim (Mittelmässigen). Die Zaddikim Gemurim werden sofort ins Buch des Lebens eingeschrieben und besiegelt. Die Rescha’im Gemurim werden sofort zum Tode verurteilt und so eingeschrieben; die Bejnonim aber erhalten eine Frist bis Jom Kippur, dem 10. Tischri. Wenn sie es verdienen, d.h. wenn sie sich zu Teschuwa (zur Rückkehr) besonnen haben, werden auch sie in das Buch des Lebens eingeschrieben. Wenn aber nicht, sind auch sie zum Tode verurteilt [Rosch Haschana 16b].

Aus zwei Gründen wird Rosch Haschana als "Jom HaDin" (Tag des Gerichts) betrachtet. Erstens, weil an diesem Tag die Schöpfung vollendet wurde (es war der sechste Tag der Schöpfung), und G"ttes Plan es war, die Welt mit "Middat HaDin" – mit Recht und Strenge – zu regieren. Zweitens, weil an diesem Tag der erste Mensch sündigte, gerichtet wurde, seine Schuld einsah, Teschuwa tat und G"tt ihm verzieh. "Dies sei ein Zeichen für deine Kinder - sagte G"tt zu ihm - genau wie du an diesem Tag verurteilt wurdest, aber dir auch vergeben wurde, so werden auch deine Kinder an diesem Tag gerichtet werden, aber auch Verzeihung erhalten".

Diese beiden Gründe werden auch im Mussafgebet von Rosch Haschana erwähnt: "Du bringst herbei das festgesetzte Gedenken, an dem bedacht wird jeder Geist und jede Seele, dass der vielen Taten gedacht wird und der endlosen Fülle der Geschöpfe. Von Anbeginn hast du so kundgetan und von Anfang an dies enthüllt. Heute ist der Tag des Anbeginns Deiner Werke, eine Erinnerung an den ersten Tag." Somit ist dieser Tag Erinnerung an die Vollendung der Schöpfung und gleichzeitig Erinnerung an den ersten Tag des Gerichts.

Unsere Weisen fügen hinzu: Komme und schau: G"ttes Wege sind nicht die Wege von Fleisch und Blut. Der Mensch aus Fleisch und Blut richtet seinen Freund in einer günstigen Zeit, wenn er ihm wohlgesinnt ist. Den Feind hingegen richtet er, wenn er zornig auf ihn ist, um ihn mit Strenge zu verurteilen. Nicht so G"tt: Er richtet die ganze Welt auf einmal, und es sind auch diejenigen miteinbegriffen, die Seinen Willen nicht beachten, also alle zusammen in einer günstigen Zeit, nämlich im Monat Tischri. In diesem Monat gibt es viele Feste und viele Mizwot zu erfüllen. Sie bieten somit Gelegenheit, die innige Verbindung zwischen Ihm und Seinen Geschöpfen wiederherzustellen. So können sich die Menschen im Gebet und durch Rückkehr wieder zu Ihm wenden. G"tt wird Sich auch ihnen wieder in Liebe zuneigen.

Schuld und Verdienste des Menschen auf der Waage

Jeder Mensch hat Verdienste aber auch Schuld. Sind die Verdienste grösser als die Schuld, so spricht man von einem Zaddik, einem Gerechten. Ist die Schuld grösser als die Verdienste, so nennt man ihn Rascha, einen Bösen. Ist beides im Gleichgewicht, so spricht man von einem Bejnoni, einem Mittelmässigen.

Das gleiche gilt auch für Länder. Sind die gemeinsamen Verdienste der Bewohner grösser als ihre Schuld, ist es ein gerechtes Land. Ist die Schuld grösser als die Verdienste, ist es ein schändliches Land.

All dies bezieht sich auch auf die ganze Welt.

Ist die Schuld eines Menschen grösser als seine Verdienste, muss er sofort wegen seiner Sünden sterben, denn es steht geschrieben: "…al Row Awoncha – wegen der Überzahl deiner Schuld…" [Hoschea 9:7]. Ist die Schuld eines Landes grösser als seine Verdienste, so ist es dem Untergang geweiht, denn es steht geschrieben: "Sa'akat Sedom wa'Amora ki Rabba – das Wehgeschrei von Sedom und Amora ist gross" [Bereschit 18, 20]. Dies gilt auch für die ganze Welt, denn es steht geschrieben: "Wajar Haschem ki Rabba Ra'at ha'Adam – und G"tt sah, dass das Böse der Menschen gross war" [Bereschit 6, 5].

Das Ausschlaggebende ist hierbei nicht das Zahlenmässige, sondern das Ausmass des Guten und des Bösen. Es gibt Verdienste, die schwerer wiegen als eine grosse Anzahl von Sünden, so wie es heisst: "Ja'an nimza bo Dewar Tow el Haschem – weil an ihm (Jarow’am – sündiger König Jisraels) Gutes gegenüber G"tt gefunden wurde" [Melachim/Könige I, 14, 13]. Aber auch umgekehrt kann eine Schuld schwerwiegender sein als viele Verdienste, denn es steht geschrieben: "WeChote echad je’abed Towa harbe – und eine Sünde lässt viel Gutes verlorengehen" [Kohelet/Prediger 9, 18]. Nur G"tt, Dessen Wissen allumfassend ist, kann entscheiden, welche Wertmassstäbe anzulegen sind, wenn es darum geht, Schuld und Vergehen abzuwägen.

Darum sollte sich jeder Mensch während des ganzen Jahres so betrachten, als sei er halb schuldig und halb verdienstreich. Auch die Welt sollte er so betrachten, als sei sie halb schuldig und halb verdienstreich. Wenn er sich dann durch irgendeine Tat schuldig macht, so hat er nicht nur die Waagschale seines eigenen Schicksals belastet, sondern die der ganzen Welt, und könnte so deren Zerstörung verursachen, genau wie den Verlust seines eigenen Lebens. Hat er hingegen eine Mizwa erfüllt, so ist es möglich, dass er das Zünglein der Waage für sich selbst und für die ganze Welt entscheidend bewegt hat, und zu seiner Errettung, so wie auch zur Rettung der ganzen Welt beigetragen hat. So steht geschrieben: "WeZaddik Jessod Olam – und der Gerechte ist der Grundpfeiler der Welt" [Mischlei 10, 25]. Wer das Rechte tut, hat für die ganze Welt Verdienst errungen und sie gerettet [Rambam Hilchot Teschuwa Kap. 3, 1-5].

Perspektiven zu Rosch Haschana 5784 (3. Teil)

Aus Sefer Hatoda’a / Das Jüdische Jahr. Bearbeitet und ergänzt von S. Weinmann

Was bedeutet "Tag des Gerichts"?

Unsere Weisen haben gesagt, dass der Mensch am Rosch Haschana gerichtet wird. Bei diesem Gerichtsspruch geht es nicht darum, ob er das Gan Eden und Olam Haba – die zukünftige Welt – verdient hat oder nicht. Das Urteil, das am Rosch Haschana gefällt wird, bezieht sich nur auf die Dinge dieser Welt, ob der Mensch es verdient, weiterzuleben und in Frieden zu leben, oder ob er leiden oder gar sterben muss. Im Mussaf-Gebet am Rosch Haschana sagen wir: "Se hajom Techilat Ma’assecha - Dies ist der Tag, an dem Dein (G"ttes) Werk begann (Adam und Chawa wurden erschaffen), "Sikaron leJom Rischon" - Erinnerung an den ersten Tag (Adam und Chawa wurden da gerichtet). "Ki Chok LeJisrael Hu" – denn es ist ein Gesetz für Israel (an diesem Tag Schofar zu blasen, "Mischpat leLokej Ja’akow" – Tag des Gerichtes für den G"tt Ja’akows. "We’al Hamedinot bo je’amer" - Für die Staaten wird ebenfalls beschlossen, welches Land Krieg führen muss und welches in Frieden leben kann, welches Hungersnot erleiden wird und welchem Überfluss beschieden ist. "Uberiot bo jipokejdu" - An ihm werden die Geschöpfe bedacht, um sie zum Leben oder Tod zu bestimmen." Am Rosch Haschana werden die Handlungen des Menschen gewogen, es wird dann eingeschrieben und besiegelt, je nach Verdienst und Schuld; gemäss seinen Taten in dieser Welt erhält er den Anteil, der ihm gebührt. Erst wenn der Mensch stirbt und in seine ewige Heimat gerufen wird, werden seine Taten gewogen und die Entscheidung gefällt, ob er sich für die "Welt der Seelen" würdig erwiesen hat (Ramban, zitiert von Awudraham).

Sogar wenn ein Mensch das ganze Jahr hindurch gesündigt hat, soll er nicht verzweifeln, denn er hat die Möglichkeit zur Teschuwa, zur Rückkehr, er kann immer den richtigen Weg einschlagen, bevor er zum Gericht kommt. Er muss im innersten Herzen daran glauben, dass er imstande ist, das Zünglein an der Waage zu seinen Gunsten und zugunsten der Welt zu bewegen. Aus diesem Grund ist es auch Brauchtum, dass man zwischen Rosch Haschana und Jom Kippur mehr Wohltätigkeit übt und sich bemüht, Mizwot und gute Taten zu tun, mehr als an allen anderen Tagen des Jahres.

"Ein Mensch wird nur in Bezug auf seine augenblicklichen Taten beurteilt" [Traktat Rosch Haschana 16b]. Auch wenn er während des ganzen Jahres in Sünde versunken war, bezeugt G"tt, dass Israel Seinen Willen ausführen will. Und obwohl der Ewige auch die Zukunft kennt, wenn es am Tag des Gerichts Reue zeigt und zurückkehrt, um G"ttes Willen zu erfüllen, dann wird es beurteilt für das, was es augenblicklich ist.

Am Rosch Haschana wird kein Hallel gesagt

Da Rosch Haschana Tag des Gerichts ist, soll jeder Mensch g"ttesfürchtig sein, da er sich ja vor Seinem Gericht zu verantworten hat. Er sei nicht leichtsinnig und lasse sich von nichts ablenken, damit er sich ehrfurchtsvoll und bangend vor das Gericht stellt.

In diesen Tagen ist das Volk Israel so sehr vor Furcht vor dem G"ttlichen Urteil erfüllt, dass es am Rosch Haschana kein Hallel sagt, obwohl Rosch Haschana ein Feiertag ist. Israel sagt nur Hallel, wenn sein Herz von Freude erfüllt ist, aber an den Tagen des Gerichts ist das Zittern grösser als die Freude. Darum sagt man kein Hallel.

"Die diensthabenden Engel sagten vor G"tt: Herr der Welt, warum sagt Israel kein Hallel am Rosch Haschana und am Jom Kippur? Da antwortete Er ihnen: Wenn der König zu Gericht sitzt, und die Bücher des Lebens und des Todes vor Ihm geöffnet sind, kann Israel dann ein Loblied singen?" [Rosch Haschana 32b].

Trotz alldem sollte der Mensch nicht traurig sein, wegen der Furcht vor dem Gericht, er soll sich die Haare scheren, sich waschen zu Ehren des Festes und Feiertagskleider anziehen, um damit kund zu tun, dass er glaubt, dass G"tt uns ein günstiges Urteil sprechen wird. Darum weinen wir auch nicht am Rosch Haschana. Jedoch während des Gebetes ist es erlaubt zu weinen. Die Frommen vergiessen Tränen, während des Gebetes an den Hohen Feiertagen. Sie weinen wie kleine Kinder, um die Barmherzigkeit des Himmels zu erwecken. Auch wenn wir glauben, weise und einsichtig zu sein, so sind wir doch vor dem Heiligen, gelobt sei Er, wie kleine Kinder, die sich nicht schämen, vor ihrem Vater zu weinen, wenn sie etwas von ihm erbitten wollen.

Esra, der Schriftgelehrte, veranstaltete am ersten Tischri eine Toravorlesung vor der Gemeinde, die aus dem Exil zurückgekehrt war. Das Volk, beeindruckt von den eindringlichen Worten der Tora, begann zu weinen. Esra und Nechemia sprachen zu ihnen: "Al Tit’abelu we'al Tiwku" – seid nicht traurig und weinet nicht! … geht und esst fettes Essen und trinkt das Süsse und sendet auch denen davon, die nichts vorbereitet haben, denn dieser Tag ist heilig unserem Herrn. Seid nicht traurig, denn die Freude G"ttes (die Freude des Feiertages) ist eure Stärke" [Nechemia 8, 9-10].

"Umi Goi Gadol… Und wo ist eine Nation, mag sie noch so gross sein, die so gerechte Gesetze und Rechtsvorschriften hätte, wie sie die ganze Lehre enthält, die ich euch heute vorlege?" [Dewarim 4, 8]. "Wer gleicht einer solchen Nation? In der ganzen Welt ist es Sitte, dass man am Tag des Gerichts dunkle Kleider anlegt, sein Haupt in Schwarz hüllt und sich nicht schert, denn man weiss ja nicht, wie das Urteil ausfällt. Bei Israel ist dies aber nicht so, sie legen weisse Gewänder an, hüllen ihr Haupt in Weiss, essen, trinken und sind fröhlich. Sie wissen, dass der Heilige, gelobt sei Er, ihnen Wunder tut" [Talmud Jeruschalmi, Traktat Rosch Haschana Kap. 1, Halacha 3].

__________________________________________________________________________________

 

Die Bearbeitung dieses Beitrages erfolgte durch Mitarbeiter des Jüfo-Zentrums in Zürich

_________________________________________________________

 

Copyright © 2023 by Verein Lema'an Achai / Jüfo-Zentrum.

Zusätzliche Artikel und Online-Schiurim finden Sie auf: www.juefo.com und www.juefo.ch

Weiterverteilung ist erlaubt, aber bitte verweisen Sie korrekt auf die Urheber und das Copyright von Autor und Verein Lema'an Achai / Jüfo-Zentrum.

Das Jüdische Informationszentrum („Jüfo“) in Zürich erreichen Sie per E-Mail: Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein! für Fragen zu diesen Artikeln und zu Ihrem Judentum.

 

What do you think?

Send us feedback!

Drucken E-Mail

Aktuell sind 86 Gäste und keine Mitglieder online