Schewat/ Paraschat Beschalach

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Raw Frand zu Parschat Schemot 5765

Was macht einen „Gadol“ aus?

In dieser Parscha steht: „Und das Kind wurde gross („vajigdal ha’Jeled“) und sie brachte ihn zur Tochter Pharaos und er war ihr ein Sohn. Sie nannte seinen Namen Mosche, denn sie sagte: „weil ich ihn aus dem Wasser gezogen habe“.“ [Schemot 2:10] Im darauffolgenden Pasuk steht: „Und es geschah in diesen Tagen, dass Mosche gross wurde („vajigdal Mosche“) und er ging zu seinen Brüdern hinaus und er sah ihre Bedrängnis.“ [2:11]

Der Ramban weist darauf hin, dass diese zwei aufeinanderfolgenden Pesukim denselben Ausdruck „vajigdal“ verwenden, um Mosches Wachstum zu beschreiben. Der Ramban meint, dass der erste Pasuk von Mosches körperlichem Wachstum spricht und der zweite von seiner geistigen Entfaltung. Der erste Pasuk beschreibt Mosches körperliches Wachstum. Im zweiten Pasuk wird beschrieben, wie er ein „Gadol“, ein Mann von geistigem Format wurde. Dieser Pasuk gibt einen Hinweis darauf, was aus Sicht der Torah einen „Adam gadol“ (eine grosse Persönlichkeit) ausmacht.

Der Midrasch erklärt den Satz „Mosche wurde gross und er ging zu seinen Brüdern hinaus und er sah ihre Bedrängnis“so, dass Mosche ihre Lasten sah und deswegen weinte. Er rief: „Weh mir ob eurem Schicksal. Könnte ich doch statt euch die Leiden tragen.“ Daraufhin krempelte er sozusagen die Ärmel hoch und half ihnen bei ihrer Sklavenarbeit.

Die Verdoppelung des Ausdruckes „Gadol“ (welchen der Ramban mit geistiger Grösse verbindet) und das Erwähnen von Mosches Anteilnahme am Leiden seiner Brüder, weist klar darauf hin, dass die Torah unter einem Gadol einen Menschen versteht, der sich um das Schicksal seines jüdischen Mitmenschen sorgt. Je mehr einem Menschen der Schmerz und die Schwierigkeiten eines anderen Juden wehtun, desto eher ist er zum „Gadol“ geschaffen.

Dies ist eines der Wahrzeichen grosser jüdischer Persönlichkeiten. Für einen „Adam Gadol“ in Israel genügt es nicht, einzig in der Torah bewandert zu sein. Er ist nicht einfach ein Mensch, der die Mizvot (Gebote) beflissen ausführt. Er ist nicht nur ein Mensch, der über perfekte Charaktereigenschaften (Midot) verfügt. Der wahre Gadol be’Jisrael ist ein Mensch, der die Ängste und Sorgen seines Nächsten unter den Kindern Israels mitfühlt und in sein Handeln einbezieht.

Wenn wir vor unserem geistigen Auge die Menschen vorbeiziehen lassen, die – gegenwärtig oder früher – den Titel „Gadol be’Jisrael“ verdient haben, stellen wir unweigerlich fest, dass eine der Qualitäten dieser Menschen darin bestand, dass sie sich um die Bedürfnisse des Volkes kümmern.

Wie erreicht man eine solche geistige Stufe? Rav Schimon Schkop schreibt folgendes in der Einleitung seines klassischen Werkes „Scha’arej Joscher“: In jedem Menschen gibt es gegensätzliche Kräfte. Von seiner Ankunft in dieser Welt an ist der Mensch an einer, und nur an einer Sache interessiert: an sich selbst! Wenn ein Kind geboren wird und um 2 Uhr nachts gefüttert werden will, ist es dem Kind einerlei, ob seine Mutter schläft oder nicht. „Ich bin hungrig. Ich will gefüttert werden.“ Das ist alles, was das Kind interessiert.

Wenn das Kind zum Kleinkind heranwächst, stellt es fest, dass es ausser ihm noch andere Menschen auf der Welt gibt; aber trotzdem befasst es sich vorwiegend mit sich selbst. Um das dreht sich beim Menschen alles. Zuallererst kümmert sich ein Mensch um sich selbst. Trotz alledem hat ein Mensch die Verpflichtung, sich um mehr zu kümmern als nur um sich selbst. Er muss sich auch um seinen Nächsten sorgen. Offensichtlich widerspricht die Sorge um den Nächsten jedoch der tief verwurzelten menschlichen Eigenschaft, sich ausschliesslich auf sich zu konzentrieren.

Rav Schimon Schkop frägt: „Wie überbrückt man den Gegensatz zwischen der ausschliesslichen Sorge um sich selbst und der Besorgtheit um seinen Nächsten?“ Der „Trick“, so sagt er, ist, dass man die Grenzen seines „Ich“ erweitert.

Die meisten Menschen haben ein weitläufigeres „Ich“ als ausschliesslich sich selbst. Bei seiner Heirat verändert sich das „Ich“ eines Menschen. „Die Frau des Menschen ist ein Teil von ihm.“ Wenn jemand etwas für seine Frau tut, denkt er nicht nach dem Schema: „Ich tue jemand anderem einen Gefallen.“ Sein „Ich“ ist gewachsen und umfasst mehr als seine eigene Person. Seine Frau ist darin auch miteinbezogen.

Für die meisten selbstbezogenen Menschen endet ihr „Ich“ an ihrer Nasenspitze. Andere verfügen über ein „Ich“, welches einen Ehepartner, Eltern und Kinder umfasst. Der Kreis der Familie wird üblicherweise nicht als fremd angesehen, wenn es darum geht, einen Gefallen zu erweisen.

Rav Schimon sagt, dass das „Ich“ eines grossen Menschen, von jemandem, der auf dem Pfad der Torah wandelt, die ganze jüdische Nation umfasst. Wenn ein Mensch die Grenzen seines eigenen „Ich“ so ausweitet, dass es die ganze Gesellschaft umfasst, ist er ein grosser Mensch. Je umfassender jemand sein „Ich“ festlegt, desto höher ist seine Stufe von „Gadlus“.

Rav Schimon gibt damit eine scharfsinnige Auslegung der berühmten Mischna in Avot [1:14]: „Wenn ich nicht für mich bin, wer wird dann für mich sein?“ Natürlich, so sagt Rav Schimon, muss ein Mensch für sich selbst sorgen; wer wird es denn sonst tun, wenn er es nicht tut? Aber „k’sche’ANI le’azmi“ – wenn mein ganzes „Ich“ nur aus mir besteht, wer bin ich dann schon? Ich bin nur der selbstbezogene Einzelne, dessen „Ich“ an seiner Nasenspitze endet.

1905 gab es in Brisk eine Feuersbrunst. In alten Zeiten gab es keine gut ausgerüstete und effiziente Feuerwehr, sondern man bekämpfte das Feuer mit „Kübelbrigaden“. Leider brannte ein grosser Teil der Stadt ab. Die Menschen hatten kein Dach mehr über dem Kopf. In diesen Zeiten schlief Rav Chajim von Brisk nicht in seinem Bett. Er schlief in einem Raum neben der Schul (Synagoge). Seine Familie versuchte, ihn zu überreden, wieder in sein normales Schlafgemach zurückzukehren. Er entgegnete: „Wie kann ich in meinem bequemen Bett schlafen, wenn andere kein Dach über dem Kopf haben?“

Das ist ein „Adam Gadol“. Rav Chajim war ein Mensch, dessen „Ich“ seine ganze Stadt und sein ganzes Volk umfasste.

Damit könnte auch die Bedeutung des uralten Gebetes bei der Beschneidung sein: „Dieses kleine Kind wird ein Gadol werden“ („seh haKatan Gadol jih’jeh“). Wieviele der Millionen und Abermillionen von Kindern, bei deren Beschneidung dieses Gebet rezitiert wurde, sind wirklich zu einem „Gadol“ aufgewachsen?

Vielleicht wird damit nicht gemeint, dass das kleine Baby zu einem „Gadol“ im (Torah-) Lernen wird. Ein Mensch kann auch auf andere Weise ein „Adam Gadol“ werden. Dieses acht Tage alte Baby, das momentan nur an einem interessiert ist – an sich selbst -, wird eines Tages zu einem „Gadol“ werden. Es soll heranwachsen und seinen Horizont in solchem Masse erweitern, dass es mehr wird als eine selbstbezogene Einzelperson („ANI le’azmi“).

Menschen kommen mit geballten Fäusten auf die Welt. Wenn ein Mensch nach 120 Jahren stirbt, ist es Sitte, seine geballten Fäuste zu öffnen. Ein bekanntes Sprichwort sagt, dass ein Mensch bei seiner Geburt alles für sich packen will. Wenn ein Mensch hingegen diese Welt verlässt, so verlässt er sie mit geöffneten Händen. Die Lebensaufgabe eines Mensch ist, seine Hände zu öffnen und seine Gedanken nicht nur um das reine „Ich“ kreisen zu lassen, sondern die ganze Welt zu umfassen.


Quellen und Persönlichkeiten:
Ramban: Rabbi Mosche ben Nachman (1194 - 1270), einer der führenden Toragelehrten des Mittelalters; Gerona, Spanien, Jerusalem.
Midrasch: Erklärung zur Torah, oft mit Gleichnissen.
Rav Schimon Schkop (1860 – 1939): Rabbiner in Bryansk, Russland und Rosch Jeschiva in Grodno, Weissrussland.
Rav Chajim Solovieitschik (1853 – 1918): Rabbiner in Voloschin, Brisk (Brest-Litovsk), Litauen.



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